Der Bau des Radwegs an der Waiblinger Straße erhitzt die Gemüter und wird im Internet diskutiert. Trotz der überwiegend kritischen Stimmen ist auch Vorfreude zu spüren.

Bad Cannstatt - Beim Anblick der Absperrungen sehen viele Cannstatter zurzeit nur noch rot. Der Grund dafür sind lange Staus, die sich auch während der Ferienzeit auf und um die Waiblinger und die Nürnberger Straße herum bilden. Seit Ende Mai wird die Hauptradroute 1 ausgebaut und damit die Verbindung zwischen Fellbach und Stuttgart für den Radverkehr fit gemacht. Auf knapp 1,4 Kilometern wird es künftig nur noch eine Fahrspur pro Richtung geben. Während der Bauarbeiten wird der Verkehr entweder ebenfalls auf einer Fahrspur an der Baustelle vorbei geführt oder über Nebenstraßen umgeleitet.

 

Ärger über die neue Verkehrsführung

Die meisten Cannstatter sehen die neue Verkehrsführung mehr als kritisch, wie die Reaktionen auf Bilder von der Baustelle auf der Facebook-Seite für den Stadtbezirk von unserer Redaktion zeigen. „Die ohnehin schon völlig verstopfte Strecke auch noch einspurig zu machen, ist so was von unnötig“, schreibt der Cannstatter Jochen Möllers. Mit vielen Facebook-Nutzern teilt der 38-Jährige die Befürchtung, dass der rund 1,5 Millionen Euro teure neue Fahrradweg kaum genutzt werde, angesichts attraktiverer Strecken, die parallel durch die Wohngebiete Kurpark und Seelberg verlaufen. Auf diesen Nebenstraßen regiert laut den Kommentaren im Netz derzeit das Chaos: „Selbst ohne die Sperrung weichen jetzt schon viele auf Parallelstraßen aus, so dass nicht nur die Waiblinger Straße dicht ist, sondern auch die Wildunger-, Decker- und Augsburger Straße“, schreibt eine Userin. Über die schmale Kreuznacher Straße werden die Fahrzeuge derzeit umgeleitet, was im Wohngebiet zu Behinderungen führt.

Obwohl die kritischen Stimmen überwiegen, gibt es auch Vorfreude: „Endlich kann ich mit meinem Fahrrad sicher nach Cannstatt fahren. Cool wäre noch eine Verlängerung des Radweges bis nach Stuttgart“, schreibt ein Fan der Facebook-Seite unserer Redaktion. Matthias Dietrich plädiert für mehr Aufgeschlossenheit: „Seit meinem Umzug nach München, wo es Fahrradwege auf Straßen jeder Größe gibt, sehe ich, wie es sein kann“, schreibt der 29-Jährige, der bis vor Kurzem im Seelberg gewohnt hat. Seiner Erfahrung nach müssen Scheuklappen abgelegt werden: „Lasst euch auf Veränderungen ein“, plädiert Dietrich.

Eine Fahrspur reicht für die Verkehrsmenge aus

Seine Aufforderung könnte so oder ähnlich auch von der Stadtplanerin Susanne Scherz kommen. „Die Verkehrsmenge ist hoch. Aber Untersuchungen haben ergeben, dass diese Verkehrsmenge über eine Fahrspur abgewickelt werden kann.“ In den Spitzenstunden – vor allem morgens – müsse damit gerechnet werden, dass sich die Reisezeiten verlängern. In erster Linie rechnet Scherz jedoch nicht mit einer Verschlechterung der Situation, sondern mit der Verlagerung eines bekannten Problems: Während sich bisher häufig am Uff-Kirchhof Staus entwickelt hätten, wo schon immer zwei Spuren zu einer zusammen geführt wurden, werde der Verkehr künftig vermutlich schon weiter stadtauswärts stocken, etwa auf Höhe der Remstalstraße, wo in Zukunft die Einspurigkeit beginnt. „Sobald sich der Verkehr einsortiert hat, wird er aber auch wieder fließen“, sagt Scherz. Aus den Staus während der Bauzeit dürfe nur bedingt auf die Zukunft geschlossen werden: „Eine solche Veränderung muss sich erst einmal setzen.“ Außerdem dürfe nicht vergessen werden, dass die Signalprogramme der Ampeln zurzeit noch auf zwei Fahrstreifen ausgerichtet seien und erst noch an die veränderte Verkehrsführung angepasst würden. Nach einer Eingewöhnungszeit würden Zahlen erhoben und überprüft. Gegebenenfalls könne dann nachjustiert werden.

Geduld werden Autofahrer in den kommenden Wochen allerdings noch aufbringen müssen. Nachdem der stadteinwärts führende Radweg fertig ist wird zurzeit in stadtauswärtiger Richtung gearbeitet. „In den kommenden zwei bis drei Wochen wird zwischen Kreuznacher Straße und Martin-Luther-Kirche sowie zwischen Martin-Luther Kirche und Augsburger Platz der Spritzschutz abgebaut, die Bordsteine versetzt und der breitere Gehewege wieder hergestellt“, sagt Rainer Kästel vom Tiefbauamt. Bis Monatsende bleiben diese Abschnitte der Waiblinger Straße deshalb noch gesperrt. In der ersten Septemberwoche müsse die Waiblinger Straße außerdem zwischen Wilhelmsplatz und Daimlerstraße gesperrt werden, um die Aufstellfläche für Fußgänger am Stadtbahnübergang zu vergrößern.

CONTRA

Mehr Rücksicht

Die Leidtragenden sind die Anwohner. Maira Schmidt

Verkehrschaos - Es sei dahingestellt, ob ein Radweg an der Waiblinger Straße sinnvoll ist; die Planung während der Bauzeit ist es sicher nicht. Die Idee, den Verkehr in Richtung Fellbach über die Kreuznacher Straße umzuleiten, musste im Chaos enden. Bereits an der nächsten Ecke, einer Rechts-vor-links-Kreuzung, kommt der Verkehr in den Spitzenzeiten zum Erliegen. Viele folgen zudem nicht der Umleitung, sondern versuchen, sich auf eigene Faust einen Weg durchs Wohngebiet zu bahnen. Ein Vorhaben, das angesichts zahlreicher Sackgassen scheitern muss.

Die Leidtragenden sind die Anwohner. Das Gefühl, wenn man 100 Meter vor der Haustür im Stau steht, bringt den entspanntesten Autofahrer an seine Grenzen. Hinzu kommt, dass niemand lärmende Autoschlangen unter seinem Fenster schätzt. In Zukunft sollten die Planer mehr Rücksicht auf die Anwohner nehmen. Vielleicht wäre es sinnvoll, den Verkehr großflächig umzuleiten und die entlang der Waiblinger Straße gelegenen Wohngebiete nur für Anlieger freizugeben. Schön wäre in jedem Fall, wenn die Betroffenen besser informiert würden. In der Vergangenheit war es eine tägliche Überraschung, ob die Taubenheimstraße gesperrt ist oder nicht.

PRO

Neue Blickwinkel

Der Radweg ist ein richtiger Schritt. Annina Baur

Nachhaltigkeit - Zugegeben: Es gibt kaum Nerv tötenderes, als im Stau zu stehen. Verspätet zu Terminen oder in den Feierabend zu starten, ist ärgerlich. Umso mehr trauert man – zu Untätigkeit verdammt – der verlorenen Lebenszeit nach. Auf der Waiblinger Straße bleibt derzeit viel Lebenszeit auf der Strecke. Die Schuld dafür allein beim Bau des Radweges zu suchen, ist aber zu kurz gedacht. Auch zuvor war die Verkehrsachse chronisch überlastet und verstopft, wie viele andere Stellen in Bad Cannstatt und im Stadtgebiet auch. Das gibt zu denken.

Auch wenn sich trefflich über den Sinn eines Fahrradwegs entlang einer viel befahrenen Hauptverkehrsstraße diskutieren lässt – Radweg und Rückbau der Verkehrsachse bieten Chancen: Für die Gesundheit der an der Straße lebenden Cannstatter, die schon lange über hohe Feinstaub- und Stickoxid-Werte klagen. Für die Sicherheit der Fahrradfahrer, die sich nicht mehr über Gehwege und durch Nebenstraßen schlängeln müssen. Und nicht zuletzt für alle, die bereit zum Umdenken sind: Wer selbst einmal aufs Rad oder die Stadtbahn umsteigt und den Blickwinkel wechselt, schont nicht nur Nerven, Zeit und Umwelt, sondern kann auch an Lebensqualität gewinnen.