Über den Nord-Ost-Ring wird seit Jahrzehnten gestritten. Die Idee einer Schnellstraße zwischen Kornwestheim und Fellbach schien bereits gestorben zu sein, doch plötzlich taucht sie wieder auf. Befürworter und Gegner sortieren sich neu.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart - Die Auferstehung hat in der Adventszeit stattgefunden. Am 2. Dezember trat der Bundestag zusammen, um das „Fernstraßenausbaugesetz zur Umsetzung des Bundesverkehrswegeplans“ zu beschließen. Darin schreibt die Republik fest, den Bau welcher Fernstraßen sie im Zeithorizont bis 2030 für sinnvoll erachtet. Darunter findet sich auch der Nord-Ost-Ring.

 

Die Idee eines autobahnähnlichen Lückenschlusses zwischen der B 27 bei Kornwestheim im Kreis Ludwigsburg und der B 14/29 bei Fellbach im Rems-Murr-Kreis hatten schon viele zu Grabe getragen. Nicht zuletzt Verkehrsminister Winfried Hermann hielt das Vorhaben für tot. Doch der Grüne muss nun mit ansehen, wie dem Vorhaben durch den Beschluss der Berliner Regierungskoalition neues Leben eingehaucht worden ist. So bewerten zumindest die Befürworter des Straßenneubaus die Entscheidung an der Spree.

Erfahren im Protest gegen Straßenbauvorhaben

Joseph Michl gehört ganz sicher nicht zu ihnen. Der Vorsitzende der Arge Nord-Ost steht auf dem weiten Feld zwischen Kornwestheim im Norden und dem Stuttgarter Stadtteil Zazenhausen im Süden, um seinen Kampf gegen den Untoten fortzuführen. Michl kennt sich aus in solchen Angelegenheiten. Seine Schutzgemeinschaft Krailenshalde etwa hat einen gehörigen Anteil daran, die Fortführung der B 10/27 durch das namensgebende Gewann bei Zuffenhausen und Feuerbach bis zum Pragsattel zu verhindern. Lediglich ein überdimensioniertes Brückenbauwerk am südlichen Eingang von Zuffenhausen erinnert an die einst baureifen Pläne. Stattdessen ist mittlerweile die Heilbronner Straße sechsspurig ausgebaut. Doch das sind Erfolge der Vergangenheit. Nun zieht der Agraringenieur Michl einmal mehr im wahren Sinn des Wortes zu Felde. In diesem Fall ist das eine landwirtschaftliche Fläche im Norden der Landeshauptstadt. Dort, wo heute Bauern ihre Äcker bestellen, wo laut Michl eines der bedeutendsten Feldlerchenvorkommen eine Heimat findet und ein großer Bauernhofbetrieb mit verschiedensten Angeboten den Stadtkindern wenigstens ein bisschen Landleben nahebringt, könnte eine vierspurige Straße entstehen.

Uneinigkeit in der Berliner Koalition

„Man kann diese Fernstraße schon bauen, aber dann muss man sie auch so nennen“, sagt er. Michl wendet sich damit gegen das aus seiner Sicht fadenscheinige Argument, der Nord-Ost-Ring bringe spürbare Entlastung für die Region. „Die Straße ist eine Fernverkehrsanbindung für das Remstal und Ostwürttemberg“, schildert Michl seine Sicht der Dinge. Deswegen ist für ihn auch ausgemacht, wer hinter der soundsovielten Blüte der stets umstrittenen Pläne steckt. „Die Bundestagsabgeordneten Joachim Pfeiffer und Norbert Barthle haben Druck gemacht“, sagt Michl. Beide sind von der CDU, der eine, Pfeiffer, hat seinen Wahlkreis in Waiblingen, Barthle vertritt Backnang/Schwäbisch Gmünd – und ist Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, das den Bundesverkehrswegeplan erstellt hat. Dass das Vorhaben in den Regierungsfraktionen alles andere als unumstritten ist, zeigt sich am Beispiel von Ute Vogt. Die Sozialdemokratin, im Wahlkreis Stuttgart I zu Hause und über die Landesliste eingezogen, hat vor der Abstimmung eine Erklärung abgegeben, wonach sie zwar dem vorgelegten Fernstraßenausbaugesetz als Ganzes zustimmen werde – den darin enthaltenen Nord-Ost-Ring lehne sie aber entschieden ab. Befremdlich sei es, wie das Projekt den Weg zurück in den Bundesverkehrswegeplan gefunden habe – zumal das Land dies auch gar nicht beantragt habe.

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Wird künftig in Berlin geplant?

Womöglich – und das bereitet Michl und seinen Mitstreitern nicht wenig Sorge – wird die Haltung des Landes aber auch gar nicht mehr so entscheidend sein. Denn in langwierigen Verhandlungen hat der Bund den Ländern die Schaffung einer Bundesfernstraßengesellschaft abgetrotzt. Die Behörde würde die Planung und den Bau von Straßen von überregionaler Bedeutung erledigen. „Wenn der Planer in Berlin sitzt, spielen lokale Betroffenheiten vielleicht keine so große Rolle mehr“, fasst Michl seine Befürchtungen zusammen. Im grün-schwarzen Koalitionsvertrag heißt es: „Das Land schafft seinerseits bei Planung und Bau die Voraussetzungen, die Maßnahmen des Bundesverkehrswegeplans in seiner Laufzeit umzusetzen.“ Und in diesem Bundesverkehrswegeplan steht der Nord-Ost-Ring nun eben drin – wenn auch nicht in der höchsten Priorisierung.

90 Mitglieder hat die von Joseph Michl vertretene Arge Nord-Ost, viele davon sind Vereine oder Verbände, darunter auch der Bürgerverein Mühlhausen. Dessen Vorsitzender Heinz Morhard erinnert an den fast vier Jahrzehnte währende Kampf seines Vereins gegen den Nord-Ost-Ring. Ebenfalls mit ihm in der Arge ist der Bürgerverein Kornwestheim – und nimmt dabei dieselbe Haltung ein wie die Rathaus-Mehrheit der Stadt im Landkreis Ludwigsburg. Fellbach und Stuttgart lehnen das Vorhaben ebenfalls ab. Der Planungsausschuss der Region Stuttgart hat hingegen Ende Januar beschlossen, der Ausweitung eines Landschaftsschutzgebiets bei Hegnach und Oeffingen nicht zuzustimmen – die Erweiterung würde auch die Trasse des Nord-Ost-Rings umfassen.

Auch die Neubaubefürworter sortieren sich

Die politische Gemengelage ist also nicht ganz einfach. Das Vorhaben hat dennoch auch außerhalb von politischen Gremien Anhänger – und die organisieren sich mittlerweile. „Es kann ja nicht sein, dass immer nur die Argumente der Arge in der Öffentlichkeit diskutiert werden“, sagt Dieter Schreiner, Sprecher des Vereins Wir für morgen, Untertitel Initiative Pro Nord-Ost-Ring. Den Vereinsstatus hat die noch junge Gruppierung aus Remseck am Neckar seit September 2016. Aktuell stehen knapp 70 Namen in der Mitgliederliste.

Schreiner steht mit Otto Sudrow in der Nähe der Sportanlagen des TV Oeffingen. Der Blick geht Richtung Nordwesten. Aus dieser Richtung käme die Trasse des Nord-Ost-Rings aus dem Neckartal wieder heraufgeklettert, nachdem sie den Fluss überquert hat. Die beiden Männer bekennen, „sehr überrascht“ gewesen zu sein, als die Entscheidung gefallen war, das Projekt im Bundesverkehrswegeplan wieder mit dem Zusatz „mit Planungsrecht“ zu versehen. Dass diese Planungen womöglich künftig von einer Bundesfernstraßengesellschaft vorangetrieben werden könnten, sehen Schreiner und Sudrow als Vorteil. „Dann herrscht da vielleicht mehr Objektivität“, sagt Schreiner.

Vergleiche mit der Landesmesse und mit Stuttgart 21

Dass seine Initiative im Vergleich mit der Arge Nord-Ost noch in den Kinderschuhen steckt, ficht den Diplom-Ingenieur nicht an. Er sieht die „stille schweigende Mehrheit der Autofahrer“ hinter den Ideen des Vereins. Um ihnen eine Stimme zu geben, sollen alsbald Plakate längs der Trasse auf das Anliegen aufmerksam machen. Gegner und Befürworter des Nord-Ost-Rings sieht Schreiner „in einer Pattsituation“. Für ihn und seine Mitstreiter ist die Straßenverbindung essenziell für den Großraum. „Die Region Stuttgart muss sich im Klaren sein, was sie will.“ Sie könne Themen steuern oder aber die Dinge auf sich zukommen lassen. Nur eine intakte Infrastruktur locke neue innovative Unternehmen an, die in der noch prosperierenden Region Stuttgart die Folgen des sich abzeichnenden Strukturwandels in der Automobilindustrie abfedern könnten.

Ärger um Brückenpläne in Remseck

Schreiner und Sudrow sagen offen, dass sie sich vom Straßenneubau auch eine Entlastung ihres Orts Remseck versprechen. Über die dortige Neckarbrücke quälten sich täglich 35 000 Autos und zwischen 6000 und 7000 Lastwagen – Tendenz steigend. In der Stadt erwägen sie deshalb den Neubau einer Brücke über den Fluss. Auf den durch die Straßenverlegung frei werdenden Fläche könne eine „neue Mitte“ entstehen.

Die Idee dieses Brückenschlags beäugt die Initiative um Dieter Schreiner kritisch. Sie befürchten, der neue Neckarübergang könne den Plänen für den Nord-Ost-Ring endgültig den Garaus machen. Sollte die Stadt Remseck das Projekt vorantreiben, fordert Schreiner einen Bürgerentscheid. Die notwendigen Unterschriften beizubringen sei kein Problem.

Nicht minder entschlossen ist Joseph Michl auf der anderen Seite des Neckars. Im Kampf um das Straßenbauprojekt erkennt er Parallelen zu den Auseinandersetzungen um die neue Landesmesse oder Stuttgart 21. Die nächste Runde im Ringen um den Nordosten ist eingeläutet.