Seit 20 Jahren gibt es die Konvention zum Verbot von Chemiewaffen. Der allergrößte Teil der Kampfstoffe ist vernichtet, doch noch immer gibt es Länder, die sich der Kontrolle entziehen. Eine immer größere Gefahr geht von Terroristen aus.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Den Haag - Niemand zweifelt daran: das Regime in Damaskus besitzt Chemiewaffen. Seit Beginn des Bürgerkrieges in Syrien geht deshalb die Angst um, dass der Präsident Baschar al-Assad die Massenvernichtungswaffen im immer brutaler werdenden Kampf gegen die Rebellen einsetzen könnte. Völlig unklar ist, wie groß und welcher Art das Arsenal des Diktators tatsächlich ist. Eine Überprüfung war in der Vergangenheit nicht möglich. Denn Syrien ist nicht Mitglied der Organisation zum Verbot von Chemiewaffen (OPCW).

 

Jüngst meldeten die Aufständischen, syrische Soldaten hätten bei einem Raketenangriff auch Chemiewaffen eingesetzt. Dabei wurden einer oppositionsnahen Beobachtungsstelle zufolge 26 Menschen getötet, darunter mindestens 16 Soldaten. Augenzeugen sprachen von Opfern mit Atemnot, es gab Berichte über Chlorgeruch und rosafarbenen Rauch in den Straßen. Eine Bestätigung für einen Chemiewaffeneinsatz gab es weder von westlicher Seite noch von internationalen Organisationen. Angesichts dieser Meldungen hat die OPCW den Vereinten Nationen angeboten, an einer Mission zur Überprüfung der Vorwürfe teilzunehmen; doch al-Assad wird wohl kaum eine unabhängige Beobachtergruppe ins Land lassen. Der Krieg in Syrien zeige, wie wichtig der Kampf gegen die Verbreitung von Chemiewaffen sei, sagt der Generaldirektor der OPCW, Ahmet Üzümcü. Der Konflikt wird in den kommenden Tagen eines der zentralen Themen bei der 3. Überprüfungskonferenz der Konvention zum Verbot von chemischen Waffen sein. Das Treffen mit dem etwas sperrigen Titel findet alle fünf Jahre statt und ist eine Art Standortbestimmung im Kampf gegen Chemiewaffen. Unterzeichnet wurde die Konvention am 13. Januar 1993 in Paris, am 29. April 1997 trat sie in Kraft. Derzeit gehören ihr 188 Staaten an. Nur acht Länder verweigern sich bisher einem Verbot: Nordkorea, Myanmar, Angola, Somalia, der Südsudan, Ägypten, Israel und Syrien.

Die Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg

Das Abkommen verbietet den Staaten nicht nur, Giftgase anzuwenden. Sie dürfen die Kampfstoffe auch nicht herstellen oder besitzen und müssen vorhandene Bestände vernichten. Alljährlich müssen die Regierungen der OPCW über die Umsetzung der Regelung berichten. Diese firmiert als autonome internationale Organisation, ist aber über vielerlei Verträge an die Vereinten Nationen gebunden. Die OPWC kontrolliert nicht nur die Vernichtung von Chemiewaffen, überprüft werden auch zivile Chemieunternehmen und Forschungslabors. Über 500 Mitarbeiter aus rund 80 Ländern arbeiten zu diesem Zweck in einem gläsernen Rundbau in Den Haag. Das Budget der Organisation beträgt rund 75 Millionen Euro pro Jahr.

Die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges führten den Politikern die Notwendigkeit einer Ächtung chemischer Kampfstoffe vor Augen. Damals wurden erstmals C-Waffen in großem Umfang eingesetzt. Am Ende waren rund 100 000 Tote und mehr als eine Million Verletzte zu beklagen. Aber erst 1925 wurde im Genfer Protokoll diese Art von Massenvernichtungswaffen verboten. Und es dauerte noch einmal viele Jahrzehnte, bis sich die Staaten tatsächlich auf eine Konvention einigen konnten. Mit ausschlaggebend dafür war der Einsatz chemischer Waffen durch Saddam Hussein im Krieg gegen den Iran in den achtziger Jahren.

Russland und die USA hinken dem Zeitplan hinterher

In dem Papier hatten sich die Staaten verpflichtet, alle ihre Vorräte bis zum Jahr 2012 zu vernichten. Doch vor allem Moskau und Washington hinken dem Zeitplan hoffnungslos hinterher. Russland und die USA sind aber nicht die einzigen Problemstaaten. Dennoch ist Generaldirektor Üzümcü optimistisch. Fast 80 Prozent aller registrierten Chemiewaffen seien inzwischen vernichtet worden, lobt er die eigene Arbeit. Über 98 Prozent der Weltbevölkerung und fast 100 Prozent der weltweiten Chemieindustrie seien Teil der Konvention.

Dieser Erfolg wirft allerdings auch Fragen auf – und die Mitgliedstaaten der OPWC streiten sich über die künftige Ausrichtung der Organisation. Während die Industriestaaten das Schwergewicht auf die Kontrolle und Nichtverbreitung setzen wollen, fordern die Entwicklungsländer eine Ausweitung der Kooperation auf dem Feld der friedlichen Chemieindustrie. Zudem müsse die Konvention auch der wissenschaftlichen und technischen Weiterentwicklung Rechnung tragen, fordert Üzümcü. Die Grenzen zwischen biologischen und chemischen Kampfstoffen verschwimme immer mehr. Das gebe Anlass zur Sorge, dass eine Grauzone entstehe, die von den Staaten beim Aufrüsten ihrer Arsenale ausgenutzt werden könne.Der Generaldirektor weist auch darauf hin, dass sich die Bedrohungslage in den vergangenen Jahren verändert habe. Inzwischen stünden sich nicht mehr Staaten gegen Staaten auf dem Schlachtfeld gegenüber. Die Bedrohung gehe immer häufiger von terroristischen Gruppen aus, die Anschläge mit Chemiewaffen auf die Gesellschaft verüben könnten.

Ein aktuelles Thema für die OPWC ist auch die Frage, wie Unfälle bei der Entsorgung von Chemiewaffen vermieden werden können, die aus vergangenen Kriegen in aller Welt zurückgeblieben sind. So liegen an der Nordseeküste laut Expertenschätzungen zwischen 500 000 und 1,3 Millionen Tonnen Weltkriegsmunition – darunter viele Giftgasgranaten mit der hochtoxischen Substanz Tabun. Die Welt brauche in Sachen Chemiewaffen keine allgemeinen Abrüstungsabkommen, meint Üzümcü: „In Zukunft werden wir mehr darauf achten, einzelnen Ländern maßgeschneiderte Lösungen für ihre Probleme zu bieten.“