Frühgeborene Babys sollen nach medizinischen Kriterien versorgt werden und nicht nach politischen, sagen führende Neugeborenenmediziner.

Stuttgart - Es sind nur wenige Patienten, aber sehr empfindliche: In Baden-Württemberg werden pro Jahr 90.000 Kinder geboren. Davon sind etwa 1100 sehr kleine Frühgeborene, die weniger als 1500 Gramm wiegen. 500 sind sogar extrem unreif und wiegen weniger als ein Kilo. Solche Frühgeborene haben nicht nur ein hohes Sterblichkeitsrisiko. Durch die noch zu wenig ausgebildeten Organe können lebenslange Beeinträchtigungen an Gehirn, Lungen, Augen und Darm zurückbleiben.

 

Um diese Gefahren zu begrenzen, haben führende Neugeborenenmediziner, der Landesverband früh- und risikogeborene Kinder, der Verband der Kinder- und Jugendärzte sowie die baden-württembergische Landesvertretung der Techniker Krankenkasse (TK) einen Appell "Für ein chancenreiches Leben frühgeborener Kinder in Baden-Württemberg" unterzeichnet.

"Die Qualität der Versorgung muss jederzeit und immer Vorrang haben vor regionalpolitischen Überlegungen", fordern sie darin. An die Adresse von Ärzten oder Hebammen gerichtet heißt das etwa, dass man Beratung von Eltern garantieren müsse, "dass Frühgeburten nur dort stattfinden, wo für die weiteren Lebenschancen des Kindes die besten Voraussetzungen bestehen".

Hohe Patientenzahlen führen zu medizinischer Erfahrung

Wo das ist, darüber gehen die Meinungen freilich auseinander. Die Unterzeichner plädieren dafür, sich auf regionale Zentren zu konzentrieren, etwa Unikliniken oder andere Krankenhäuser der Maximalversorgung. Im Land kann die "Regionalisierung noch weiter verbessert werden", sagt Matthias Vochem, Ärztlicher Direktor der Neonatologie am Stuttgarter Olgahospital. In Portugal etwa, das ebenso viele Einwohner, aber mehr Geburten hat als Baden-Württemberg, würden Hochrisiko-Frühgeborene in sieben Zentren versorgt. Im Südwesten sind es 21, in denen teilweise pro Jahr keine zehn Fälle zu versorgen sind.

Die Konzentration auf sieben bis zehn Einrichtungen würde die wichtigsten Voraussetzungen für beste Qualität erfüllen: Spezialisten in Diagnostik, Behandlung und Pflege wären verfügbar. Ausreichend hohe Patientenzahlen führen zu medizinischer Erfahrung der Behandelnden.

Wären Maßgaben von der Bundesebene zum Zuge gekommen, dürften nur zehn der 21 Kliniken im Land solche Versorgung anbieten. Durch eine Klage wurde die Vorgabe aber zu Fall gebracht. Argumentiert wird mit der Wohnortnähe der Eltern. Mathilde Maier vom Landesverband früh- und risikogeborener Kinder hat freilich die Beobachtung gemacht, dass "Eltern dorthin gehen, wo ihre Kinder gut aufgehoben sind". Man müsse sie nur aufklären, "dann fahren sie bis nach Honolulu".

Darum appellieren die Unterzeichner an Eltern, bei einer absehbaren Frühgeburt "ausschließlich die Lebenschancen ihres Kindes in den Blick zu nehmen". Längere Anfahrtswege und ein längerer Krankenhausaufenthalt seien zweifellos beschwerlich. Doch würden die Mühen weiterer Wege "von einem Kind mit bestmöglichen Lebensperspektiven vielfach vergolten werden", so die Appellunterzeichner.