Ghostwriterin aus Mundelsheim Bachelorarbeit für Bares
Wenn es sein muss, schafft Vesna Kovse eine Hausarbeit am Tag. Sie hat sich mit einer Ghostwriting-Agentur in Mundelsheim selbstständig gemacht. Ein Job wie jeder andere?
Wenn es sein muss, schafft Vesna Kovse eine Hausarbeit am Tag. Sie hat sich mit einer Ghostwriting-Agentur in Mundelsheim selbstständig gemacht. Ein Job wie jeder andere?
Mundelsheim - Der Hilferuf trifft per E-Mail ein: „Ich stecke mitten in meiner Bachelorarbeit und bin an einem Tiefpunkt. Ich habe das Gefühl, den roten Faden zu verlieren, und stelle auch meine ausgewählten Quellen infrage. Können Sie mir helfen?“ Vesna Kovse bekommt Dutzende solcher Nachrichten die Woche. Sie klingen mal verzweifelt: „Ich gerate mit Kleinkind und Job maximal an meine Grenzen.“ Mal drängend: „Meine Hausarbeit muss bis zum Wochenende fertig sein.“ Mal abgeklärt: „Wie viel verlangt ihr pro Seite?“
Die Frau mit dem Stoff, nach dem sich Studenten im Hausarbeitenstress sehnen, betritt an einem verregneten Herbstmorgen ein Café in Ludwigsburg. Kovse, jung, schlank, im eng anliegenden Businesskostüm, kann man sich gut hinter dem Schreibtisch einer Unternehmensberatung vorstellen. Tatsächlich klickt sie sich beruflich durch Online-Bibliotheken, wälzt Fachliteratur und feilt stundenlang an wissenschaftlichen Abhandlungen, unter denen nie ihr eigener Name stehen wird. Vor zwei Jahren hat sie sich mit ihrer Ghostwriting-Agentur „Secret Author“ mit Sitz in Mundelsheim selbstständig gemacht. Ihr Geschäftsmodell klingt ebenso verlockend wie anrüchig: wissenschaftliche Texte, von der einfachen Hausarbeit bis zur Dissertation, „diskret, zuverlässig & schnell“ von ihr oder einem Autor aus ihrem Pool verfasst. Gegen Bezahlung versteht sich.
Wer sich heute eine Bachelorarbeit kaufen will, muss nicht lange suchen. Unter dem Stichwort Ghostwriting spucken Internetsuchmaschinen eine lange Liste an Agenturen aus, die offen mit ihren Diensten werben. Selbst die Preisliste ist meist nur einen Klick entfernt: Da kosten akademische Arbeiten mal 45 Euro die Seite, mal das Doppelte und mehr. Da gibt es Aufschläge für „Last-minute-Projekte“ und sogar komfortable Angebotsrechner, bei denen sich Fachbereich, Seitenzahl, Qualitätslevel und Abgabefrist vorwählen lassen. Für eine Abschlussarbeit kommen schnell ein paar Tausend Euro zusammen.
Vesna Kovse kann nicht über mangelnde Nachfrage klagen. Auch wenn ihre Kundschaft mitunter ziemlich klamm ist und gern mal versucht, um Seitenpreise zu feilschen. Und sie bekommt es zu spüren, dass viele Studenten durch die Pandemie ihre Nebenjobs verloren haben. Andererseits kommt es nicht selten vor, dass Mama oder Papa die Brieftasche zücken – oder gleich selbst mit ihr über die Abschlussarbeit des Sohnemanns verhandeln.
„Wir haben vier Arten von Kunden“, sagt Kovse. Die 31-Jährige hat sich in einen weichen Sessel des Cafés fallen lassen. Die manikürten Finger umschließen ein Glas Latte macchiato. Da sind zum einen die überwiegend älteren Studenten, die ihren Abschluss berufsbegleitend machen und unter chronischer Zeitnot leiden. „Erst gestern hat mich eine Kundin angerufen. Sie hat eine Schreibblockade und weiß nicht, wie sie neben ihrem Job die Frist halten soll.“ Die zweite Kategorie hat den Abgabetermin verpennt und bettelt um Hilfe in letzter Minute. Andere wirft ein Schicksalsschlag aus der Bahn, oder sie fühlen sich mangels Erfahrung mit der wissenschaftlichen Arbeit komplett überfordert. Und zuletzt sind da noch jene, die unumwunden zugeben, keinen Bock zu haben.
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Manche Studenten fragen schon im ersten Semester nach Unterstützung. Andere geraten erst bei der Abschlussarbeit ins Schwitzen. Kovse schaltet ihr Handy inzwischen abends lautlos, weil Verzweifelte selbst mitten in der Nacht anrufen. „BWL ist immer sehr gefragt“, sagt Kovse. „Sozialwissenschaften gehen auch gut, und immer wieder fragen Juristen an.“ Mittlerweile arbeitet sie mit 50 Autoren verschiedener Fachrichtungen zusammen, alle mit akademischem Abschluss, wie sie betont. Selbst zwei Vorlagen für Doktorarbeiten seien schon mithilfe ihrer Agentur entstanden – mit dem begehrten Dr. im Namen schmücken sich dann die Kunden.
Vesna Kovse selbst hangelte sich nach der Schule zunächst von Job zu Job, bis sie schließlich ihr Abi nachholte und an einer privaten Hochschule in Stuttgart Internationales Management studierte. Nebenher arbeitete sie im Bereich Marketing. Trotzdem fiel ihr das Studium leicht: „Andere haben drei Wochen für eine Prüfung gebüffelt, mir haben meist zwei Nächte gereicht.“ Manchmal schaffte sie es nicht, alle Vorlesungen zu besuchen. So kam es, dass ihr ein Kommilitone ein Geschäft vorschlug: „Er schrieb in den Vorlesungen für mich mit, ich sollte im Gegenzug seine Hausarbeit übernehmen.“
Auch nach dem Bachelorabschluss, auf den Stellen als Projektleiterin folgten, setzte sich Vesna Kovse oft nach Feierabend an ihren Laptop und tippte im Auftrag verschiedener Agenturen wissenschaftliche Aufsätze. Und vielleicht wäre das gelegentliche Ghostwriting ein kleiner, feiner Nebenverdienst geblieben, wäre der Unfall nicht gewesen.
Kovse reitet, seit sie ein kleines Mädchen ist. Sobald sie ihr erstes eigenes Geld verdiente, erfüllte sie sich den Wunsch eines eigenes Pferdes: Daiquira. Die Stute war ihr stets eine treue Gefährtin. Doch am Silvesterabend 2017 schreckte das Tier aus irgendeinem Grund plötzlich zusammen. Dabei stieß es seine Besitzerin, die nebenherlief, grob zur Seite. Kovse fiel und kam von selbst nicht wieder hoch. Noch vor dem großen Feuerwerk fuhr ihr Bruder sie ins Krankenhaus. Die Ärzte schüttelten den Kopf, als sie das Röntgenbild sahen. „Das linke Knie war komplett zerstört.“
Nach der Operation musste sie vier Monate liegen. Ihr damaliger Arbeitgeber kündigte ihr in der Probezeit. „Ich hatte alles für den Job gegeben“, sagt Kovse. In den folgenden eineinhalb Jahren, in denen sich ein langer Klinikaufenthalt an den nächsten reihte, fand sie Gefallen an der Idee, sich selbstständig zu machen. Heute kann sie entgegen der Prognose der Ärzte fast ohne Schmerzen normal gehen und sogar wieder Sport treiben.
Dem Entschluss, ausgerechnet das Ghostwriting zum Hauptverdienst zu machen, ging eine kühle Marktanalyse voraus: „Ich wusste, die Nachfrage ist riesig.“ Hat sie eine Arbeit in ihrem Fachbereich BWL auf dem Tisch, schafft sie ein bis zwei Seiten die Stunde, eine Hausarbeit durchschnittlicher Länge ist im Notfall an einem Tag drin. Wissenschaftliche Fließbandarbeit. „Durch die Aufträge bilde ich mich permanent weiter“, sagt Kovse.
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Dabei sollten ja ihre Kunden das Wissen anhäufen. Rechtlich zu befürchten hat sie nichts. Denn anbieten dürfen Ghostwriting-Agenturen ihre Dienste durchaus, nur dürfen Studenten die beauftragten Arbeiten eigentlich nicht eins zu eins weitergeben, höchstens als eine Art Blaupause oder wissenschaftliche Quellensammlung verwenden. Eigentlich. „Die gelieferten Arbeiten sind als Vorlagen anzusehen“, heißt es in dem Vertrag, den jeder Kunde unterschreiben muss. „Es ist unzulässig, diese unter eigenem Namen als prüfungsrelevante Leistungen einzureichen.“ Das klingt paradox. Als dürften Dealer legal Drogen verticken, weil man davon ausgeht, dass keiner ernsthaft vorhat, sie zu konsumieren.
Der Deutsche Hochschulverband fordert daher schon lange, Ghostwritern per Gesetz das Handwerk zu legen. Bisher vergeblich. In Österreich ist man da weiter. Seit diesem Herbst drohen gewerblichen Anbietern empfindliche Geldstrafen von bis zu 60 000 Euro.
Margit Wolfram-Korn wundert sich ohnehin über das florierende Geschäft der Agenturen. Die Stuttgarter Anwältin beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Hochschulrecht, springt etwa Studenten bei, die bei einer Prüfung mit ihrem Handy erwischt worden sind. Aus ihrer Sicht könnte schon die Beauftragung eines Ghostwriters als Täuschungsversuch gewertet werden. „Das ist ein unerlaubtes Hilfsmittel“, urteilt sie und vergleicht es mit einem Spickzettel: „Wenn Sie mit dem in der Hosentasche ertappt werden, sind Sie dran, egal, ob Sie ihn benutzt haben.“ Schlimmstenfalls, etwa beim Schummeln in einer Abschlussarbeit, drohe die Exmatrikulation. Schließlich versichern Prüflinge in einer eidesstattlichen Erklärung, dass die Arbeit ohne Hilfe eines Dritten entstand.
Im Arbeitsalltag der Anwältin spielen Ghostwriting-Delikte allerdings keine Rolle. Vielleicht ein Hinweis darauf, dass kaum jemand erwischt wird. Anders als bei einem Plagiat, bei dem Textstellen – vereinfacht gesagt – anderswo abgeschrieben werden, schreibt eine Ghostwriterin eine individuelle Arbeit. Für einen Prüfer ist das von außen kaum zu erkennen. Zumindest wenn sich niemand verplappert oder extrem dämlich anstellt. Vesna Kovse fällt nur ein Fall ein, bei dem eine Kundin aufflog. Die Studentin leitete die E-Mail mit der bestellten Arbeit direkt an ihren Dozenten weiter. Samt Mailverlauf und Signatur der Ghostwriting-Agentur. Die meisten Studenten seien dagegen sehr vorsichtig und würden nicht mal engste Freunde einweihen, weiß Vesna Kovse. „Manche würden am liebsten einen Umschlag mit Bargeld vorbeibringen, um ja keine Spuren zu hinterlassen.“
Ein schlechtes Gewissen wegen ihrer zumindest moralisch fragwürdigen Dienste plagt Kovse nicht. Man hört ihr an, dass ihr die Frage schon Dutzende Male gestellt wurde: „Wir bieten eine Unterstützungsleistung an. Für mich ist das ein Job wie jeder andere.“ Den Schwarzen Peter schiebt sie den Kunden zu: „Die Studenten wissen, dass sie die Arbeiten so nicht abgeben dürfen, das liegt in ihrer Verantwortung.“ Draußen hat es zu regnen aufgehört. Vesna Kovse verabschiedet sich. Sie muss zurück an ihren Schreibtisch. Eine Bachelorarbeit in BWL wartet.