Die Göppinger Vesperkirche findet zurzeit zum 20. Mal statt. Das wird mit einem Festakt gefeiert. Das Engagement der Helfer soll gewürdigt werden. Dass die Armenspeisung ein breites Publikum hat, ist hingegen kein Ruhmesblatt.

Göppingen - Was mit beispielgebendem Engagement im Jahr 1995 in der Stuttgarter Leonhardskirche ins Leben gerufen wurde, haben die Göppinger bereits ein Jahr später aufgegriffen: die Vesperkirche, eine Art Armenspeisung im Kirchenraum in den Wintermonaten. Diese findet in Göppingen zurzeit zum 20. Mal statt. Am Freitagabend um 19 Uhr gibt es deshalb einen kleinen Festakt. Immerhin handelt es sich um eine Einrichtung, die eine echte, wenn auch unauffällige Erfolgsgeschichte vorweist.

 

2  Begonnen hat es in der Stadtkirche im Januar 1996 mit zwei Biergarnituren unter der Empore und einem warmen Essen an zwei Tagen pro Woche. Dienstags und mittwochs gab es damals für Bedürftige gegen geringes Kostgeld eine warme Mahlzeit, Kaffee und Kuchen. Schon in den ersten acht Wochen wuchs die Essgemeinschaft rasch von einem knappen Dutzend auf mehr als 20 pro Tag. Aufgenommen hatte die Stuttgarter Idee das Haus Linde, eine Einrichtung für Obdachlose. In der evangelischen Kirchengemeinde fand man einen willigen Partner und mit der Stadtkirche ein Gebäude mit passender Vorgeschichte. Immerhin war sie einst ein riesiger Kornspeicher.

7  Jahr für Jahr wuchs die Vesperkirchengemeinde. 2002 wechselte das Konzept. Nicht mehr nur zweimal pro Woche, sondern an sieben Tagen in der Woche sollte es fortan das herzhafte und günstige Mittagessen geben, also auch am Sonntag nach dem Gottesdienst. Die Wilhelmshilfe wurde mit ihrer Großküche als Lieferant mit ins Boot geholt. Längst kamen nicht mehr nur Obdachlose und Bedürftige, denen das Sozialgeld, die Hartz-IV-Unterstützung oder die Rente kaum für das Nötigste reichte, sondern auch immer mehr Bürger, die die Vesperkirche auch als einen Ort der Begegnung schätzten.

6  Für die sechs Wochen, in denen die Vesperkirche geöffnet ist, wurde damals auch ein entsprechendes Programm mit Andacht konzipiert. Damit war die Vesperkirchenaktion einer der Vorreiter für die Neukonzeption der Stadtkirche, in der schon lange keine Regelgottesdienste mehr gefeiert werden. Sie ist mit Ausstellungen, Konzerten und anderen Veranstaltungen vor allem ein Ort der Begegnung geworden.

40  Einmal pro Woche kommt das Medimobil zur Vesperkirche. Ein Arzt hält dann eine Sprechstunde ab. Zudem bietet ein Göppinger Friseur an, Bedürftigen in seinem Salon montags die Haare zu schneiden. Knapp 40 Gratistermine werden pro Saison über die Vesperkirche vereinbart.

60  Mittlerweile sind mehr als 60 ehrenamtliche Helfer im Einsatz, um die knapp 200 Essen pro Tag auszugeben. Ihnen gilt natürlich auch beim Festakt der ganz besondere Dank. Denn die Vesperkirche sei zwar eine Erfolgsgeschichte, aber dass eine solche Einrichtung als soziale Unterstützung notwendig sei, sei eigentlich kein Grund zu feiern, betont der Leiter des Hauses Linde, Wolfgang Baumung.

27 In diesem Jahr helfen Prominente aus Politik und Wirtschaft in der Vesperkirche tageweise mit. So kann man sich vom Göppinger OB Guido Till, der selbst schon mehrfach Gast in der Vesperkirche war, am 27. Januar den Teller abtragen lassen. Dem Engagement der ehrenamtlichen Helfer zollt er Respekt, ebenso wie der Göppinger Landrat Edgar Wolff. Wolff hat in diesem Jahr bereits bei der Essensausgabe geholfen und hilft am 22. Januar noch in der Geislinger Vesperkirche in der Pauluskirche aus. Die Vesperkirchen seien eine wichtige Idee für das gesellschaftliche Miteinander, die Teilhabe und ein Ort der Begegnung für viele Menschen, die einfach einsam seien. „Sie sind ein Teil sozialer Infrastruktur“, so Wolff.

10 Die Vesperkirche ist nicht mehr nur Anlaufstelle für sozial Schwache. Der Mindestbeitrag für die Mahlzeit inklusive Kaffee und Kuchen (die stets gespendet werden) beträgt zwei Euro. Fünf Euro kostet ein Essen in der Herstellung. Immerhin zehn Prozent aller Besucher geben jedoch freiwillig mehr als fünf Euro. „Diese finanzieren unseren Aufwand zu zehn Prozent mit“, erklärt Baumung. Die Gesamtkosten liegen pro Saison bei mehr als 20 000 Euro und können dank stattlicher Spenden getragen werden.