VfB-Nachwuchsarbeit Wann kommt der neue Superstar aus Stuttgart?

Lilian Egloff (links) legt sich mächtig für den VfB Stuttgart ins Zeug. Der Mittelfeldspieler, Jahrgang 2002, gilt als große Nachwuchshoffnung. Foto: Bauman

Der Aufstieg ist geschafft – die großen Zukunftsfragen stellen sich dennoch. In Teil zwei unserer Serie lautet sie: Wie bewerkstelligt es der VfB Stuttgart, dass eigenen Talenten wieder der Durchbruch gelingt?

Sport: Carlos Ubina (cu)

Stuttgart - Man muss sich das wohl so vorstellen: Thomas Krücken hat sich an seinen Schreibtisch gesetzt, eine Karte des Musterländles zur Hand genommen und sich einen Zirkel gegriffen. Dann hat der Fußballlehrer in Stuttgart eingestochen und rund um die Stadt einen Kreis gezogen – Radius 120 Kilometer. Rund 5,8 Millionen Menschen leben in dieser Region. Das ist das Reservoir, aus dem der VfB Stuttgart künftig wieder den Großteil seiner Talente schöpfen will. Zumindest, wenn der Masterplan für die Nachwuchsarbeit aufgeht.

 

Seit einem Jahr ist Krücken der Direktor Sport des Nachwuchsleistungszentrums (NLZ) an der Mercedesstraße. Und wer mit dem 42-Jährigen über Fußball redet, hört häufig den Begriff „Potenzialanalyse“. Krücken geht seine Arbeit systematisch an. Er hat die schwäbische Talentschmiede, die jahrzehntelang als stilbildend in Deutschland galt, umstrukturiert. Es gibt jetzt den Leistungs- (U 21, U 19, U 17) sowie den Aufbau- (U 16, U 15, U 14) und Grundlagenbereich (U 13, U 12, U 11).

Die lange Liste der Nationalspieler als Reizthema

Alles, um den VfB dahin zu bringen, wo er schon war. Führend, weil er sich nicht nur um die Technik der Talente kümmerte, sondern ebenso um deren Persönlichkeitsentwicklung. Kevin Kuranyi, Andreas Hinkel, Mario Gomez, Sami Khedira, Sebastian Rudy, Joshua Kimmich und, und, und. Die Liste der Eigengewächse, die es zu Nationalspielern gebracht haben, ist lang – und häufig ein Reizthema.

Die Ausbildung von Hochbegabten steckt angeblich in der DNA des VfB. So sieht es Krücken, der mit einer klaren Idee aus Mainz gekommen ist. „Unser Fokus liegt ganz klar auf dem einzelnen Spieler. In unserer Arbeit geht es um die Spielerentwicklung in allen Facetten“, sagt Krücken. Ziel ist, möglichst viele Talente aus der Stuttgarter Schule wieder in den Profibereich zu bringen. Drei Prozent aller Jugendlichen, die in den 57 deutschen Leistungszentren ausgebildet werden, gelingt das. Beim VfB war in den vergangenen sechs Jahren keiner mehr dabei, der den Durchbruch geschafft hat.

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Timo Werner gilt in Krückens Augen als der letzte, Timo Baumgartl ist noch zu akzeptieren. Beide Jahrgang 1996. Nun ruhen die Hoffnungen auf Lilian Egloff, Jahrgang 2002. Die Begabung des Mittelfeldspielers ist unübersehbar, aber Egloff ist gerade erst in den heikelsten Bereich seiner noch jungen Karriere eingetreten – den Übergang vom Junior zum Profi.

An diesem Punkt befinden sich auch Luca Mack, Florian Kleinhansl, Antonis Aidonis und Sebastian Hornung, die zum erfolgreichen A-Jugend-Jahrgang 2019 zählen. Leon Dajaku und Per Lockl versuchen es in München und Gladbach. Um die Förderung zu optimieren, trifft sich wöchentlich eine kompetente Runde: mit Chefcoach Pellegrino Matarazzo und dessen Assistent Rainer Widmayer sowie dem U-21-Trainer Frank Fahrenhorst, dem U-19-Coach Nico Willig und Krücken.

Sie sprechen dann über Potenziale und Perspektiven, aber ebenso über konkrete Trainingsinhalte und die Belastungssteuerung für die Jungs. „Die Frage ist nicht, ob wir mehr trainieren, sondern, wie wir unsere Trainingszeit inhaltlich und organisatorisch optimal nutzen. Das alles muss im Einklang mit der Schulausbildung der jungen Spieler geschehen“, sagt Krücken, eigentlich ein Gymnasiallehrer. Die Kooperation mit der Kolping-Akademie läuft gut, was bei sieben Trainingseinheiten die Woche nicht einfach zu koordinieren ist.

Wie sieht der VfB-Spieler 2024 aus?

Zusammen mit der Infrastruktur des NLZ ergibt das für Krücken einen beneidenswerten Rahmen, denn in Stuttgart trainieren die Talente zwischen ihren Schul- und Lerneinheiten um elf Uhr. Aus seiner Zeit bei Hertha BSC weiß der frühere Jugendcoach, dass dort die Jugendlichen um sieben Uhr dastehen mussten. Viel nehmen sie also in Kauf, um ihr Ziel zu erreichen. Und viele Millionen stecken die Clubs in ihre Nachwuchselite, um Spieler groß herauszubringen.

Beim VfB sind es jährlich acht Millionen Euro, und Krücken denkt den Prozess auch vom Ende her. Seine zentrale Frage lautet: Wie sieht der VfB-Spieler 2024 aus? Technisch stark und taktisch flexibel. Aber das Tempo wird zunehmen. Damit erhöht sich der Raum-, Zeit- und Gegnerdruck. „Ein Schlüssel ist das Entscheidungsverhalten unter Druck der Spieler. Wir wollen in unseren spielnahen Trainingsformen dabei provozieren, dass sie mitdenken müssen, um dynamische Spielsituationen schnell und optimal zu lösen“, so Krücken.

Ein nächster Schwerpunkt bildet das individualisierte Training. Krücken hat sich das vom Basketball und Hockey abgeschaut. Denn als er bei Dirk Nowitzkis Mentor Holger Geschwindner hospitierte, da ist ihm ein Satz hängen geblieben: „Ihr Fußballer beherrscht ja nicht einmal euer Spielgerät.“ Das saß. Basketballer werfen in der Woche 300-mal aus verschiedenen Positionen auf den Korb, mindestens.

Ein Mittelstürmer bringt es im Fußball in dieser Zeit nicht einmal auf hundert Torschüsse, selbst wenn er Extra-Einheiten einlegt. Krücken will das ändern. Dazu hat er zahlreiche Analysen durchführen lassen, um aus den besten Positionen die Erfolg versprechenden Winkel zu finden. Dann heiß es: üben, üben, üben – um den nächsten Mario Gomez herauszubringen.

Sehen Sie in unserer Bildergalerie, welche Eigengewächse der VfB schon groß herausgebracht hat.

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