Nicht nur der Aufstieg des VfB-Stuttgart-Stürmers Timo Werner belegt: Die jungen Talente entwickeln sich immer schneller. Eine Garantie auf eine große Karriere jedoch gibt es nicht.

Stuttgart - Mit 17 hat Horst Hrubesch von manchem geträumt, womöglich sogar davon, eines Tages in der Bundesliga zu spielen und Europameister zu werden. Allerdings wären die Leute bestimmt in schallendes Gelächter ausgebrochen, hätte er davon erzählt. Hrubesch kickte in der A-Jugend des westfälischen Kreisligisten FC Polkum und war nebenher ein begeisterter Handballer, was man sich gut vorstellen kann bei einem Mann, den sie später „das Kopfballungeheuer“ nennen sollten. Erst mit 24 kam er in die Bundesliga und köpfte das DFB-Team fünf Jahre später tatsächlich zum EM-Titel, 1980 in Italien. „Eine solcher Karriereweg wäre heute nicht mehr möglich“, sagt Hrubesch, inzwischen 62 Jahre alt und Trainer der deutschen U-21-Nationalmannschaft.

 

Heutzutage träumen 17-jährige Fußballer nicht mehr davon, in der Bundesliga zu spielen. Sie tun es einfach.

Auch Seelers Enkelsohn debütiert mit 17

In immer mehr deutschen Proficlubs stehen wie selbstverständlich Nachwuchsleute in der ersten Mannschaft, die noch für längere Zeit bei den Junioren spielberechtigt wären. In der Abwehr des Hamburger SV hat sich Jonathan Tah (17) unentbehrlich gemacht und spielt, „als sei er schon fünf Jahre in der Bundesliga“, wie sein Trainer Bert van Marwijk sagt. Niklas Süle, gerade 18 geworden, verteidigt bei der TSG Hoffenheim. Levin Öztunali (17), der Enkelsohn von Uwe Seeler, durfte in dieser Saison im Mittelfeld von Bayer Leverkusen debütieren. Und Niklas Stark (18) hat beim 1. FC Nürnberg erst ein Spiel verpasst.

Die größte Aufregung jedoch erzeugen derzeit jene beiden Offensivspieler, die sich am Samstagabend im direkten Duell gegenüberstehen: der Schalker Max Meyer (18) und Timo Werner (17) vom VfB.

Meyer, dem sie als Zeichen der hohen Wertschätzung Raúls Rückennummer  7 gegeben haben, hat sich auf Schalke innerhalb kürzester Zeit zum Regisseur aufgeschwungen. Der gebürtige Oberhausener, mit 14 nach Gelsenkirchen gekommen, erzielte in der Liga drei Tore, besticht durch Tempo und Ideenreichtum – und scheut auch vor deutlichen Worten nicht zurück. Nach dem jüngsten 0:0 in der Champions League in Bukarest erklärte Meyer nassforsch: „Man hat gesehen, dass uns die Qualität gefehlt hat.“

Timo Werner gibt sich bescheiden

Mit öffentlichen Äußerungen hält sich Timo Werner stark zurück – legt dafür aber auf dem Spielfeld jegliche Scheu ab. Ohne falschen Respekt umkurvt der Schüler seit Saisonbeginn gestandene Bundesligaprofis wie Andreas Beck (Hoffenheim) oder Kevin Großkreutz (Dortmund). Drei Saisontore stehen auch auf dem Konto von Werner, der längst als eine der ganz großen Sturmhoffnungen in Deutschland gilt.

Mehrere Gründe gibt es dafür, dass sich inzwischen derart viele junge Spieler teils noch vor Erreichen der Volljährigkeit in der Bundesliga tummeln. Der wohl wichtigste ist die hoch professionelle Ausbildung, die mit der früherer Zeiten nicht im Ansatz zu vergleichen ist. Seit 2003 sind alle Proficlubs dazu verpflichtet, Nachwuchsleistungszentren nach einheitlichen Standards zu betreiben. Dort werden die Talente mit gewaltigem finanziellen Aufwand ähnlich intensiv betreut wie die Profis, nachdem sie meist schon in ganz jungen Jahren zu den großen Clubs gewechselt haben. „Da fällt kein Spieler mehr durchs Raster“, sagt Horst Hrubesch, der seit 2006 im Nachwuchsbereich des DFB tätig ist und sich über eine immer größere Auswahl freuen darf: „Es ist mittlerweile zwangsläufig so, dass jedes Jahr eine Vielzahl perfekt ausgebildeter Spieler aus den Bundesligainternaten kommt. Denn die Vereine haben begriffen: Jugendarbeit lohnt sich.“

Mario Götze und Julian Draxler haben es vorgemacht

Hinzu kommt, dass die Bundesligatrainer, ermuntert von Beispielen wie Mario Götze (21) oder Julian Draxler (20), beim Umgang mit den ganz Jungen zunehmend mutiger werden. Früher hieß es: Talente müssen ganz langsam herangeführt werden und zunächst in der U 23 erste Erfahrungen im Erwachsenenfußball sammeln. Heute werden sie ins kalte Wasser geschmissen – auch weil die Trainer den Weg der Spieler oft schon jahrelang begleitet haben und wissen, ob sie so reif und gefestigt sind, plötzlich vor 50 000 Leuten aufzutreten. Beim VfB arbeitete Thomas Schneider schon bei den B-Junioren mit Werner; in der gleichen Altersstufe war auf Schalke auch Jens Keller tätig, ehe er zum Cheftrainer des Bundesligateams befördert wurde.

„Mit 17 in der Bundesliga – das ist der Wahnsinn“, sagt Rainer Adrion zum kometenhaften Aufstieg von Werner und Meyer, die gleich mehrere Zwischenschritte übersprungen haben. Adrion (59) ist der Vorgänger von Hrubesch bei der U 21, zuvor war er über viele Jahre hinweg Trainer des VfB-Nachwuchses. Am außergewöhnlichen Talent der beiden Spieler zweifelt auch er nicht – wohl aber an der Idee einer sofortigen Berufung in die A-Nationalmannschaft. Der Fernsehexperte Mehmet Scholl hat neulich Werner als Kandidat für die WM in Brasilien ins Spiel gebracht. So etwas, sagt Adrion, „ist überhaupt nicht hilfreich“ – nicht nur weil es dem jungen Spieler womöglich den Kopf verdreht.

Lieber Urlaub als WM?

Mit Blick auf die Zukunft, findet Adrion, sei ein behutsamer Aufbau sinnvoller als eine sofortige WM-Teilnahme. Der ersten Saison in der Bundesliga müsse eine Erholungsphase für Körper und Geist folgen; der Pause eine seriöse Vorbereitung auf die neue Saison. Denn noch schwieriger, als jung in der Bundesliga zu debütieren, ist es, sich über einen langen Zeitraum dort zu halten.

Das haben schon viele merken müssen – auch ein gewisser Jürgen Friedl, zweitjüngster Spieler in der Geschichte der Bundesliga. Der Torwart war gerade erst 17 geworden, als er 1976 bei Eintracht Frankfurt seinen Einstand gab. Zwei weitere Spiele sollten noch folgen, dann war die große Karriere schon wieder beendet.