Huub Stevens wirkt manchmal wie aus der Zeit gefallen. Doch der 61-jährige Trainer ist kein Mann von gestern und ist vor dem Saisonfinale in Paderborn die zentrale Figur beim VfB Stuttgart.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Stuttgart - Huub Stevens hat sein großes Geheimnis gut verpackt und verstaut. Er hat den Zettel, auf dem er während eines Spiels seine Notizen kritzelt, schön klein zusammengefaltet und in die Tasche seiner Trainingshose gesteckt. Dort sind seine Notizen sicher, und auf die Frage, was er denn immer so Wichtiges aufschreibe, hat der Trainer des VfB Stuttgart nach dem Sieg gegen den Hamburger SV nur mit einem Lachen geantwortet.

 

Es ist ein ziemlich lautes Lachen gewesen. Genau das Lachen, das aus Stevens immer herausbricht, wenn er dieser aufgeregten Fußballbranche, die alles, aber auch wirklich alles, ans Licht der Öffentlichkeit bringen will, ein Schnippchen schlägt. „Zum Glück sind wir nicht bei Big Brother“, sagt der Niederländer. Das sagt er immer, wenn er Interna preisgeben soll und sich entgegen des Wir-zeigen-alles-Konzepts der Fernsehshow doch weigert, das Innerste der Mannschaft nach außen zu kehren.

Stevens weiß ja, wie es läuft. Er kennt das Geschäft seit mehr als 40 Jahren, verflucht aber auch manchmal das Gedöns, das sie mittlerweile um den Fußball machen. Denn der 61-Jährige stammt aus einer Zeit, als die Pfosten noch eckig und auf dem Platz noch kantige Kerle gefragt waren. Typen wie er eben, die noch wussten, was zu tun war. Ohne große Ansprache des Trainers, ohne ständig verhätschelt zu werden. Stevens erwähnt das in seiner kernigen Art gerne mal, wenn er über die Psychologie des Fußballs im Allgemeinen und die seiner Mannschaft im Besonderen spricht.

Großes Vertrauen in den Trainerstab

Doch der Trainerveteran verliert sich nicht in der Vergangenheit. Stevens ist kein Mann von gestern. Er weiß, dass er es nun mit einer wesentlich smarteren Spielergeneration zu tun hat; dass diese fußballerisch besser ausgebildet ist als früher, aber sie auch mailt, twittert und postet. Dennoch hat es der Pragmatiker auf bemerkenswerte Weise geschafft, seine Arbeit der Neuzeit anzupassen, das Klein-Klein des Trainerjobs mit modernen Analysetools auf seinen Trainerstab zu verteilen. Es ist mit Adrie Koster, Armin Reutershahn, Chima Onyeike, Christos Papadopoulos und Andreas Menger das Team seines Vertrauens. Stevens selbst beobachtet dann viel während der Übungseinheiten, greift nur vereinzelt ein und führt am Ende die Teile zusammen.

Herausgekommen ist jetzt beim VfB eine Elf, die der vermeintliche Maurermeister aus Sittard stürmen lässt, und die so in den vergangenen Spielen die Hoffnung genährt hat, dass die Stuttgarter im Finale des Abstiegskampfes an diesem Samstag beim SC Paderborn bestehen.

Sieg oder Niederlage, drinbleiben oder absteigen – das ist die einfache und doch so hochkomplexe Ausgangslage für den VfB. Eine Konstellation, die selbst Stevens trotz seiner immensen Erfahrung noch nie erlebt hat. „Ich habe ja nicht so oft gegen den Abstieg gespielt“, sagt der frühere Verteidiger. Und auch als Trainer war oben oft dort, wo Stevens war. Das wird gerne vergessen, weil er die Zeitarbeit zu seinem Geschäftsmodell gemacht hat, der Altmeister der Herzen zuletzt immer verpflichtet wurde, um eine Krisensituation zu bewältigen. Er kommt dann. Er bringt eine Elf zum Funktionieren. Er geht wieder. So war das vor einem Jahr, so wird es auch diesmal sein – obwohl Stevens auch in Stuttgart zeigt, dass er es durchaus versteht, eine Mannschaft spielerisch zu entwickeln.

Beim VfB hat es jedoch lange gebraucht, bis die Spieler ins Rollen kamen – vielleicht zu lange. „Mit der Geduld ist das so eine Sache im Fußball“, sagt Stevens, „Spieler werden schnell hochgejubelt, und sie werden schnell fallen gelassen.“ Er aber sieht das Team als großes Ganzes und will vor allem die Nachwuchskräfte reifen lassen. Wie Timo Werner, den er in der ersten schwierigen Phase seiner jungen Karriere stützt. Wie Timo Baumgartl, den er nach ersten Fehlern aus dem Kreuzfeuer der Kritik herausgehalten hat – trotz des Ritts auf der Rasierklinge für den Verein und ihn selbst.

Stevens schaut auch nach der Jugend

Doch wenn sich Stevens mit einem Club identifiziert, dann mit allem, was er hat. So war das einst auf Schalke, so ist das auch beim VfB, wo er mehr Jugend- und Zweite-Mannschaft-Spiele gesehen hat als viele seiner Vorgänger. Wo er einen ständigen Austausch mit den U-Trainern gepflegt hat und wo er bis zuletzt ein Arbeitsethos vorlebt, der die VfB-Angestellten in kurzen wie langen Hosen beeindruckt.

Um 7.30 Uhr kommt der Chefcoach noch immer aus einem Stuttgarter Hotel auf das VfB-Gelände an der Mercedesstraße, wenn vormittags Training ansteht. In der Regel eine Stunde später, wenn nachmittags geübt wird. Und nie sieht man Stevens während der Arbeit in Privatklamotten, immer trägt er einen Trainingsanzug. Schwarz im Alltag, weiß-rot an Spieltagen.

Auch dieser Dresscode ist alte Schule und sagt viel aus über den Mann, der sich in taillierten Hemden und Designeranzügen am Spielfeldrand nicht wohlfühlen würde. Wie aus der Zeit gefallen, sieht Stevens dann im Vergleich zu den jung-dynamischen Trainerkollegen aus. Doch der alte Haudegen mag keine Rolle spielen bei allem Wandel. Er will sich und seinen Führungsstil nicht ändern. Der ist mal gütig, mal grimmig, auf jeden Fall aber konsequent und geradeheraus. So wie Stevens’ Charakter – und diese Authentizität dürfte sein größtes Erfolgsgeheimnis sein.