Antonio Rüdiger ist verunsichert. Doch das ändert nichts an der Wertschätzung für den jungen Verteidiger des VfB Stuttgart. „Antonio Rüdiger macht eine nicht ganz einfache Phase durch“, sagt Trainer Veh, „ich halte aber viel von ihm.“

Sport: Carlos Ubina (cu)

Stuttgart - Es braucht offenbar ein gut geschultes Auge, um das gewisse Extra zu erkennen. Um nicht nur zu sehen, dass Antonio Rüdiger groß, schnell und athletisch ist. Sondern, um vor allem diese nicht messbaren Faktoren eines jungen Abwehrspielers zu erfassen, die sich im Fußballjargon gemeinhin zu einem Begriff verbinden: Potenzial.

 

Der Duden gibt in seiner Ausgabe für sinn- und sachverwandte Wörter „Vorrat“ als Synonym für Potenzial an. Was zu dem Schluss führt, dass in Rüdiger noch einiges drinsteckt, der Innenverteidiger des VfB Stuttgart in seiner Leistungsfähigkeit noch über reichlich Reserven verfügt. Wie groß diese sind, weiß natürlich keiner so recht.

Doch der Bundestrainer Joachim Löw sieht dieses Unsichtbare in Rüdiger, sein Assistent und frühere VfB-Coach Thomas Schneider sowieso. Auch Armin Veh sieht es. Der aktuelle Stuttgarter Trainer hat im Gegensatz zu seinen Fachkollegen nur die Schwierigkeit, dass er im Alltag mit dem umgehen muss, was auch alle anderen sehen: Rüdiger spielt verunsichert. Nicht sein harter Körpereinsatz, seine wuchtigen Kopfbälle und kompromisslosen Tacklings fallen auf, sondern seine technischen und taktischen Unfeinheiten sowie die leicht zittrigen Quer- und Rückpässe.

Veh hat großes Vertrauen

„Antonio Rüdiger macht eine nicht ganz einfache Phase durch“, sagt Veh, „ich halte aber viel von ihm.“ Weshalb er das Talent nach einer Pause in Frankfurt zuletzt gegen Wolfsburg wieder von Anfang an in das Abwehrzentrum gestellt hat. An die Seite von Georg Niedermeier – was nicht zwingend ein Vorteil sein muss, weil sich der wesentlich routiniertere Bayer fehlerhaft präsentiert und wie Rüdigers vorheriger Partner Daniel Schwaab weder den 21-jährigen Jungprofi noch die Abwehr stabilisiert.

Sie wanken jeder für sich – und alle zusammen. Das ist eines der Statikprobleme bei den Stuttgartern. Egal, wie Veh seine Viererkette zusammenbaut, die Defensive wackelt bedenklich. 23 Gegentreffer hat der VfB bereits kassiert, nur der nächste Gegner Werder Bremen ist nach zehn Spieltagen noch um ein Tor schlechter.

Ein Umstand, der das Murren im eigenen Fanlager lauter werden lässt. Gerade wenn Rüdiger in Aktion ist. „Seit er Nationalspieler ist, steht er verstärkt im Mittelpunkt. Da wird mehr von ihm erwartet“, sagt Uli Ferber. Rüdigers Berater stört sich aber nicht an den gestiegenen Ansprüchen, er sieht seinen Klienten in einem „Lernprozess“, der ihn besser machen soll.

Löw formt sich seine Spieler selbst

Auch Veh glaubt an die Qualitäten seines Schützlings. „Antonio Rüdiger ist aus dem Holz geschnitzt, aus dem Klassespieler gemacht sind“, sagt der Trainer. Denn außer seinen körperlichen Voraussetzungen bringt der gebürtige Berliner enormes Engagement, viel Willen und noch mehr Leidenschaft mit.

Manchmal vielleicht sogar zu viel an Energie und Emotionen. Und die Kunst bei dem Kraftpaket wird wohl sein, seinen fast unbändigen Tatendrang in die richtigen Bahnen zu lenken, so dass sein Eifer nicht in Übereifer mündet. Der macht sein Spiel anfällig – was sie auch beim VfB und im Elitezirkel der Nationalmannschaft wissen.

Doch an ihrer Wertschätzung ändert das nichts. Denn sie sehen in Rüdiger nicht, was er gerade ist, sondern in erster Linie, was aus ihm werden könnte. Löw hat es sich zur Aufgabe gemacht, Spielertypen früh in seinem Sinne zu formen. Er und Schneider vergleichen den Stuttgarter schon mal mit dem jungen Jérôme Boateng, der früher wilde Attacken in sein Spiel streute und heute als Weltmeister die Innenverteidigerposition stärker prägt als ein Sergio Ramos, Thiago Silva oder Mats Hummels.

Das sind zweifellos große Vergleiche, im Augenblick zu große. Doch sie zeigen, warum ein Spieler wie Rüdiger zu den Lieblingen der internationalen Scouts zählt und diverse ausländische Vereine ein Auge auf ihn geworfen haben: Sie erkennen in dem Stuttgarter einen potenziellen Abwehrriesen und sind bereit, schon jetzt viel Geld hinzublättern. Der AS Monaco und der FC Porto etwa, um ihn gemäß ihrem Geschäftsmodell weiterzuentwickeln und für noch mehr Millionen weiterzuverkaufen.

Manchester United und der FC Chelsea sollen den 21-Jährigen auch auf ihrer Beobachtungsliste führen. West Ham United hat konkret geboten. Doch der VfB sendet seit Monaten nur ein Signal: nichts zu machen, Millionenofferten zwecklos. Selbst wenn sich durch den Rüdiger-Verkauf andere Transfers realisieren ließen. Der bis 2017 datierte Vertrag soll verlängert werden, die Verhandlungen laufen – und die Stuttgarter sind zuversichtlich, sie zu einem guten Abschluss zu bringen. Wenn, dann sicher mit einer Gehaltsaufbesserung und vermutlich zum Preis einer Ausstiegsklausel. Für die Vorhersage dieser Entwicklung braucht es kein so feines Näschen.