Abstieg, Präsidenten-Rücktritt, Trainerwechsel und Corona-Krise: Hinter dem Sportdirektor Sven Mislintat liegt beim VfB ein ereignisreiches Einstiegsjahr. „Was soll eigentlich noch kommen, was einen extremer fordern kann?“, fragt der 47-Jährige.

Sport: Heiko Hinrichsen (hh)

Stuttgart - Geht es um die Klippen, die Sven Mislintat in seinem ersten Jahr beim VfB Stuttgart zu umschiffen hatte, so fällt das Urteil des 47-Jährigen eindeutig aus: „Was soll eigentlich noch kommen, was einen extremer fordern kann?“ Am 1. Mai 2019 hat der einstige Kaderplaner von Borussia Dortmund und des FC Arsenal beim VfB angefangen – und es wurde gleich turbulent: Den Relegationspartien gegen Union Berlin Ende Mai 2019 folgte der Abstieg, ehe es mit Abstimmungspanne auf der Mitgliederversammlung und dem Rücktritt des Präsidenten Wolfgang Dietrich weiterging.

 

Am Ende waren es also Mislintat und der damalige Sportvorstand und heutige Vorstandschef Thomas Hitzlsperger, die gemeinsam einen Weg kreierten, wie man denn den gewaltigen finanziellen Einbußen eines Erstliga-Abstiegs zum Trotz den sofortigen Wiederaufstieg verwirklichen könne. „Wir haben uns an den erfolgreichen Mannschaften und Phasen des VfBs orientiert, bei der Entwicklung unseres Leitbilds“, skizziert Sven Mislintat die Grundidee des Führungsduos, dem auch der Direktor Sportorganisation, Markus Rüdt, eng zuarbeitet. „In diesem Trio entwickeln und reflektieren wir unsere Entscheidungen“, erklärt Mislintat: „Dabei ist es uns unwichtig, wer die Idee bringt, sondern sie gemeinsam zur Besten zu entwickeln.“

Ohnehin war es Mislintat, Spitzname Diamantenauge, vor seinem Ja zum VfB wichtig, „dass Thomas mir in meinen Kernkompetenzen die Freiheit lässt und mir vertraut. Er weiß ganz genau, war er will und was er kann, und wo er auf die Expertise anderer zurück greifen möchte.“

Erinnerungen an die gute, alte VfB-Zeit

Gemeinsam erinnerte man sich also an die Glanzzeiten des VfB mit den Tugenden, die den Verein einst stark gemacht haben. An die Meistermannschaften von 1984 und 1992 etwa mit Akteuren wie dem leidenschaftlichen Verteidiger Günther Schäfer, an das Magischen Dreieck um Krassimir Balakov, Fredi Bobic und Giovane Elber Ende der 90er Jahre. „Das war technisch starker Fußball mit vielen Emotionen auf dem Platz“, sagt Mislintat, der auch die Zeit der Jungen Wilden mit Kevin Kuranyi, Timo Hildebrand oder Alexander Hleb hervorhebt. Also lautet das Credo: „Wir wollen ansehnlichen und dominanten Fußball bieten und der unangenehmste Gegner sein, der wir sein können.“

Tatsächlich aber waren die Rahmenbedingungen dafür aufgrund des Abstiegs schwierig, obwohl der VfB auf eine Spielzeit mit Rekordumsatz zurückblicken konnte – und der aktuelle Personaletat mit einem Zweitliga-Rekordbudget von 40 Millionen Euro noch immer opulent ist. „Wir haben eine gute Mischung aus vielen jungen Profis, Spielern Mitte Zwanzig und Erfahrenen gefunden – und das, obwohl wir sowohl in der Sommer- wie auch in der Wintertransferperiode hohe finanzielle Überschüsse erwirtschaftet haben“, sagt Mislintat, der als Kaderplaner im Vorsommer mit mehr als 20 Neuzugängen das Profil der Stuttgarter Mannschaft grundlegend veränderte. Viele junge Spieler kamen, wovon sich einige – etwa Mateo Klimowicz, Tanguy Coulibaly, Maxime Awoudja oder Darko Churlinov – aber weiterhin erst noch etablieren müssen.

„Wir sind aktuell im Plan“

„Wir sind aktuell Zweiter, also im Plan. Aufstiegsgarantien gibt es in der zweiten Liga nicht. Das hat im Vorjahr der Hamburger SV erlebt. Nun sieht man es bei unseren Mitabsteigern 1. FC Nürnberg und Hannover 96“, sagt Mislintat: „Umso entscheidender ist es zum Erreichen der Ziele, dass wir an unseren Prinzipien festhalten. Wir können uns den Erfolg nicht erkaufen – wir müssen ihn vielmehr erarbeiten und entwickeln.“

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Also hat sich der Sportdirektor gemeinsam mit seinem Chef Hitzlsperger für einen mutigen Weg entschieden. Getreu dem Motto: Wir sind jung beim VfB – und dazu auch ein bisschen wild. Klar war für das Duo also, „dass wir unseren Cheftrainer Pellegrino Matarazzo allein nach Inhalten und nicht nach Name, auch wenn er einen coolen hat, ausgewählt haben“ Die Wahl fiel also nicht auf einen der Arrivierten der Branche. Auch dann nicht, als die Zusammenarbeit mit dem in Aufstiegsfragen zwar komplett unerfahrenen, aber dennoch überaus selbstbewussten Cheftrainer Tim Walter bereits nach der Vorrunde gescheitert war.

Das Ja zu Pellegrino Matarazzo

Im Gegenteil: Mit Pellegrino Matarazzo folgte auf Walter ein noch unbekannterer Chefcoach. Alternativen mit zweitligaerfahrenen Trainern wie Markus Anfang oder Andre Breitenreiter zog das VfB-Führungsduo auch im Winter bewusst nicht in Betracht. „Fach- und Sozialkompetenz, seine Teamfähigkleit, sein Respekt vor der Aufgabe, seine Identifikation mit dem Job, dem VfB und den handelnden Personen sprachen eindeutig für Rino“, sagt Mislintat zum Votum für Matarazzo.

Dann kam die Corona-Krise. „Auf unsere Philosophie wird sie keinen Einfluss haben“, sagt Mislintat, der den VfB aufgrund des bereits im Vorsommer vollzogenen Umbruchs nun im Vorteil sieht. „Wir glauben, dass wir allein mit dem aktuellen Spielerkader sowohl für die erste als auch für die zweite Liga gerüstet sind.“