Der Politikredakteur Christian Gottschalk sprach im Treffpunkt Rotebühlplatz über Russland und Präsident Putin, der die westliche Welt oft vor Rätsel stellt. Immer wieder überrascht Putin – und hinterlässt dabei meist ein beunruhigendes Gefühl.

Stuttgart - Panzer an Panzer, Soldat an Soldat – am 9. Mai, „Tag des Sieges“ über das nationalsozialistische Deutschland, hat Wladimir Putin, Präsident der Russischen Föderation, wieder alles paradieren lassen, was das Militär so hergibt. Dabei betonte er, dass Moskau „immer auf der Seite der Kräfte des Friedens“ stehen werde.

 

Bewusst zugespitzt war die Reihe „Stuttgarter Zeitung direkt – VHS Pressecafé“ übertitelt: Im Treffpunkt Rotebühlplatz sprach Christian Gottschalk, außenpolitischer Redakteur dieser Zeitung, am Mittwochabend über „Putin und das neue Russland. Wohin will Zar Wladimir?“. Ein Thema, das den Saal gefüllt hat – auch mit Emotionen. „Über Russland gibt es Unmengen zu sagen“, so Gottschalk. „Ich spreche über drei Blöcke, dann Feuer frei für Fragen.“ Der Redakteur zeichnete die großen Konfliktlinien zwischen Russland und dem uneinigen Westen: die Krim und die Ukraine, Syrien sowie die Nato-Osterweiterung. Wie das sowjetische Sicherungssystem Warschauer Pakt verschwand, sei hochumstritten, so der Journalist. „Die einen behaupten, dass Russland beim Vertrag der Deutschen Einheit versprochen wurde, dass es keine Nato-Osterweiterung geben werde. Andere, es stimme nicht. Wieder andere dass es nicht schriftlich festgehalten wurde“, so Gottschalk. Derzeit orientiere sich Russland nach Asien, ist beteiligt in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, wo es um Sicherheit und Antiterror geht, und am Seidenstraßenprojekt, Lieblingskind des chinesischen Regierungschefs. Es soll Handelswege aus den mittelasiatischen Ländern nach Europa schaffen.

Lage in Syrien völlig unübersichtlich

In Syrien indes sei die Lage völlig unübersichtlich. „Ich sehe nicht, wie man aus dem Dilemma rauskommt“, sagte Gottschalk Es gehe nicht nur innerhalb des Landes um Machthaber Assad und die Rebellen, sondern um zahlreiche Kriegsparteien, die oft Fronten und Namen wechselten. „Russland steht aufseiten Assads, der Fassbomben auf die eigene Bevölkerung wirft, und die USA beschuldigt, Terroristen zu unterstützen“, so Gottschalk. In diesem Stellvertreterkrieg versuchten Mächte von außen, ihre Interessen durchzudrücken, von Iran bis Saudi-Arabien – und Russland setze seine Militärschlagkraft ein.

„Auch das Thema Ukraine wird die Beziehung zu Europa lange und nachhaltig beeinflussen“, sagte Gottschalk. Die EU und USA reagierten mit Sanktionen. Russland werde seine Krimannexion wohl in den kommenden Jahren nicht zurücknehmen, der Westen sie nicht akzeptieren. Den Osten der Ukraine könnten die Rebellen nicht ohne russische Unterstützung halten. „Wohin Russland will? Das kann ich nicht sagen“, so Gottschalk. „Putin ist kein Stratege, aber ein guter Taktiker, der kurzfristig gut agiert.“ Indes, habe Putin hohe Zustimmungswerte in Russland. Obschon just vor allem junge Leute gegen ihn demonstrierten. Und die unter 18-Jährigen würden bei Befragungen nicht berücksichtigt. „Das könnte Gefährdungspotenzial sein, sie sind die Zukunft“, sagte Gottschalk. In einer anderen Umfrage sei deutlich geworden, dass die Russen lieber ein nach außen dominantes Land hätten, in dem es ihnen schlechter gehe, als in einem weltweit unwichtigen mit besseren Lebensumständen. Russland Wirtschaft schwächelt seit Jahren wie der Kurs des Rubels. „Erstmals gab es einen Reallohnverlust“, so Gottschalk.

Die Besucher diskutierten leidenschaftlich, ob die Nato Russland angreifen wolle oder welche Fehler die EU beim Assoziierungsabkommen mit der Ukraine machte. „Dass die EU vieles hätte besser machen können, stand in vielen Zeitungen“, so Gottschalk. „Ich bin sicher: Die Nato plant keinen Angriff. Auf ministerieller Ebene sollen Gespräche laufen. Es geht darum, ohne Gesichtsverlust rauszukommen.“