Was der Regisseur Bennett Miller Gruseliges erzählt, ist tatsächlich passiert. In den Achtzigern hat sich ein arg verschrobener Superreicher in den USA ein eigenes Ringerteam zusammengekauft, um der Chef starker Männer zu sein. Das ging tragisch schief.

Stuttgart - Greifen und wegstoßen, in rascher Folge klatschend den anderen antastend wie bei einer Neckerei, aber dessen Hände, die dasselbe versuchen, wegschlagen. Dann wieder weit vorgebeugt einander umherschiebend, den anderen mit gestreckten Armen auf Distanz halten und doch nach der Chance suchen, ihn heranzuziehen, die Zwei-Körper-Struktur einer Brücke, wobei das Verbindende der Kontrahenten ist, dass jeder Überwinder des anderen sein will.

 

Wir sehen in „Foxcatcher“ Ringer im Training, und vom ersten Bild an ist klar, dass in diesem Sport das Paradoxe und Ungeklärte menschlicher Nähe Ausdruck findet, in diesem Greifenwollen, ohne sich greifen zu lassen. Channing Tatum spielt in seinem besten Auftritt seit der Rolle des Strippers in Soderberghs „Magic Mike“ den Ringer Mark Schultz, der 1984 die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen gewonnen hat. Nun trainiert er für Seoul 1988.

Das Phantom der Trainingshalle

Ein unsichtbarer Mann

Aber Ringen ist keine Sportart, die seine Landsleute interessiert, und so steht er in einer der vielen großartig traurigen Szenen von Bennett Millers Film vor einer desinteressierten Schulkasse und reckt seine Medaille vor, ein Gläubiger, der eine Reliquie herzeigt, in einem Kreis der Ungläubigen, die sich nicht einmal zu Spott aufraffen können. Die Kinder schauen durch ihn hindurch. Der extrem körperliche, klobig umhertappende, außerhalb der Arena kantig verloren umherstehende Mann scheint trotz seiner Masse für sie unsichtbar zu sein, ein Spuk, der auf einer anderen Wellenlänge als die restliche Menschheit existiert, ein Phantom der Trainingshalle.

Der Regisseur Bennett Miller, 1966 in New York geboren, ist eines der großen Talente des amerikanischen Films. trotzdem hat man ihn hierzulande aus dem Blick verloren. Seinem viel Verzücken auslösenden Spielfilmdebüt „Capote“ (2005) mit Philip Seymour Hoffman ließ er nämlich den Sportfilm „Moneyball“ (2011) mit Brad Pitt folgen, was hierzulande offenbar als Akt des Ausverkaufs betrachtet wurde. Kaum jemand hat sich „Moneyball“ angeschaut. Schon das aber war eine komplexe Studie von Machtverhältnissen, von Menschen, die andere funktionalisieren, und vom mehr oder weniger Funktionieren in extremen Stresssituationen.

Der Mäzen und sein Prolet

Mark wird von seinem Bruder Dave (Mark Ruffalo, auch er in Hochform) trainiert, aber die Vertrautheit der beiden hat eine Abseite. Mark ist überzeugt, die wenigen, die sich überhaupt für seinen Sport und sein Tun interessierten, nähmen ihn nur als Produkt des Bruders wahr, als dessen Trainingserfolg, nicht als Kerl mit eigenem Kopf, Willen und Talent.

Die Rettung, die nun naht, heißt John Eleuthère du Pont und besitzt viel Geld. Die Du Ponts sind reich geworden mit Rüstungsgeschäften und Chemie, und John tritt nun als Mäzen auf. Mark solle wieder ein Champion werden, sagt der vom Komiker Steve Carell ganz anders – schwerer, bitterer, arroganter – als dessen sonstige Figuren Gespielte. Mark werde für ein derzeit darniederliegendes Amerika zum Vorbild werden, und das sei ihm, John, eine Herzensangelegenheit: Man müsse seinem Vaterland ja etwas zurückgeben.

Keinen Moment kommt Mark zunächst auf die Idee, mit dieser Rhetorik könnte etwas nicht stimmen. Er will das Märchen vom selbstlosen Gönner glauben. Mit Schultz entwerfen Miller und Tatum einen Proletarier, einen Mann, der wenig mehr hat als den Körper, den er schinden und überstrapazieren muss. Aber mit Du Pont malen Miller und Carell („The Office“) nicht den halbwegs feinsinnigen Aristokraten, sondern einen durch verklemmte Körperlichkeit Definierten. Du Pont holt Schultz und andere Ringer auf sein Anwesen, wo er ihnen eine Trainingshalle gebaut hat. Er spielt den Obertrainer des Teams Foxcatcher, und in lachhaften, aber bierernst durchgezogenen Imitationen des Abgeschauten rangelt er mit den Athleten.

Ein Symbol der Reagan-Ära

Symbolfigur der Reagan-Ära

Gewiss, da geht es um verdrängte Männerliebe, aber doch noch um ganz anderes. Dieser unter der Fuchtel einer dominanten Mutter stehende John ist auch eine Symbolfigur für die konservative Revolution der Reagan-Ära, für die neue Arroganz der Geldmenschen, die sich für eine bessere Spezies halten, die ihre eigene Propaganda glauben und sich all die Verdienste zuschreiben, die ihnen jene heuchelnd bescheinigen, denen sie für dies oder jenes Geld zukommen lassen.

Miller zeigt in dieser Umsetzung wahrer Begebenheiten, wie das Verhältnis von Coach und Ringer immer diktatorischer, verquaster, herablassender wird. Sein Psychodrama bleibt dabei immer auch Sozialstudie. Wenn John hier den Schultersieg erzwingt, sind alle die Verlierer: So nachhaltig gruselig sind Filme selten.

Foxcatcher. USA 2014. Regie: Bennett Miller. Mit Channing Tatum, Steve Carell, Mark Ruffalo. 135 Minuten. Ab 12 Jahren.