In Hamburg kann man kaum besser übernachten als im Hotel Vier Jahreszeiten. Was kaum einer weiß: Das Nonplusultra hanseatischer Gastlichkeit wurde 1897 von einem Stuttgarter gegründet. Ein Blick hinter die Kulissen einer Nobelherberge, die kürzlich wieder zum besten Hotel in Deutschland gekürt wurde.

Leben: Susanne Hamann (sur)

Die Drehtür aus Messing und Glas katapultiert die Besucher in eine andere Welt. Raus aus der geschäftigen Hamburger Innenstadt, hinein in die Geborgenheit eines klassischen Grandhotels. Den Boden der feudalen Empfangshalle bedeckt Carraramarmor, die Wände sind mit Holz aus kaukasischem Nussbaum vertäfelt, von der Decke hängen glitzernde Kristalllüster.

 

Aus einem kleinen Haus ist ein ganzer Komplex geworden

Das Vier Jahreszeiten ist seit mehr als einem Jahrhundert eines der ersten Häuser am Platz. Beste Lage an der Binnenalster, stilvolles Ambiente, erlesener Service, ein Synonym für hanseatische Gastlichkeit. Gegründet aber wurde das Nobelhotel von einem Zugezogenen. Friedrich Haerlin aus Stuttgart-Gaisburg ersteigerte das Haus 1897 für 420 100 Mark. „Damals gab es hier elf Zimmer, verteilt auf fünf Stockwerke“, erzählt der Geschäftsführende Hoteldirektor Ingo C. Peters beim Espresso in der denkmalgeschützten Wohnhalle mit offenem Kamin und Blick auf die Binnenalster.

Mit viel Geschick und Überredungskunst kann der schwäbische Eigentürmer nach und nach die Häuser links und rechts dazukaufen, sodass sich die Adresse nun recht beeindruckend liest: Neuer Jungfernstieg 9-14. Haerlin schafft einen Palast, in dem die bürgerliche Elite ihre Entsprechung zu den Schlössern des Adels findet. Heute hat das Vier Jahreszeiten 156 Zimmer und Suiten, ist beliebt bei Royals, Leinwandhelden und anderen Promis. Auch normale Leute gehen hier ein und aus. „80 Prozent unserer Gäste sind Hamburger“, sagt Peters. Man trifft sich zum Brunch oder genießt Afternoon Tea, feiert Hochzeit oder runde Geburtstage. Tische an Weihnachten werden vererbt. Der heutige Chef – stets elegant gekleidet in Hemd und Anzug mit Seidenkrawatte und Einstecktuch – sitzt am liebsten gleich neben dem Eingang rechts. Vom roten Sofa in der Ecke hat er alles im Blick, nickt grüßend dem einen oder der anderen zu.

Das Stuttgarter Wappen erinnert an die Heimat des Hotelgründers. Foto: Susanne Hamann

Das mit zwei Michelinsternen ausgezeichnete Gourmetrestaurant des Hauses trägt den Namen des Gründers Haerlin. Dieser blickt von einem Ölgemälde in eines der Speisezimmer herab. In Buntglasfenster sind die Stadtwappen von Friedrichshafen, Tübingen, Heilbronn und Mannheim eingearbeitet. Das Stuttgarter Rössle taucht gleich zweimal auf.

Der Name Vier Jahreszeiten signalisierte früher, dass es eine Heizung gibt

Viel weiß man nicht über den Gründer. Sparsam und fleißig sei der Schwabe gewesen, und er habe bevorzugt in Grundbesitz investiert. Haerlin war für neue Technik aufgeschlossen, ließ einen Fahrstuhl und eine Warmwasserzentralheizung einbauen. Der Hotelname Vier Jahreszeiten signalisiert den Komfort: Besagt er doch, hier ist es selbst im Winter behaglich warm. Das ist keine Selbstverständlichkeit im 19. Jahrhundert.

Haerlin wollte nicht, dass herumstehende Koffer die Lobby verstellen. Noch heute eilt daher sofort ein livrierter Herr herbei und nimmt Gepäckstücke entgegen, bevor der Gast das Haus betritt. Der Chefconcierge steht in einer Art Kiosk bereit, umringt von einer erfreulichen Auswahl gedruckter Tageszeitungen. Hinter der Rezeption hängen seit je die Schlüssel mit Anhängern, schwer wie ein Stück Butter.

Bei aller charmanten Antiquiertheit findet sich im Vier Jahreszeiten doch eines der innovativsten Lokale der Stadt. Im Nikkei Nine genießt die Jeunesse dorée Sushi, Ceviche und Yuzu-Sancho-Drinks, während sich nebenan im Grill die Kaufleute und Reeder am Tisch Beef Tatar zubereiten oder Crêpes Suzette flambieren lassen. Um der stehen gebliebenen Zeit frischen Zeitgeist einzuhauchen, lassen sich Peters und sein Team auf Reisen inspirieren, etwa auf Messen wie der Objet & Maison in Paris. „Man muss immer über den Rand der eigenen Teetasse schauen”, sagt der 62-Jährige.

Sushi, Ceviche und Yuzu-Sancho-Drinks gibt es im Restaurant Nikkei Nine Foto: Hotel Vier Jahreszeiten/Guido Leifhelm

Die meisten Mitarbeiter bleiben dem Haus lange treu

Das Hotel hat die Weltwirtschaftskrise überdauert, zwei Weltkriege, die Nazi-Diktatur, die Beschlagnahmung durch die britische Armee, die Wiedereröffnung im Wirtschaftswunder und ist dabei immer das Vier Jahreszeiten geblieben: ein ehrwürdiges Haus mit vielen Stammgästen und treuen Mitarbeitern. Fluktuation, im Gastgewerbe üblich, gibt es kaum. Die meisten Angestellten bleiben ewig. „Wir sind eine Familie“, sagt Ingo C. Peters. Die Crew trinkt nach Feierabend gerne gemeinsam ein Bier.

Der Kapitän selbst ist seit 1997 in dieser Funktion an Bord. Davor war er 15 Jahre lang in der Welt unterwegs – London, New York, Boston, Philadelphia, Phuket, Jakarta. Heute gehört Peters zum Vier Jahreszeiten wie der Hafen zu Hamburg. „Zufriedene Gäste motivieren mich. Es bringt Spaß, sich um alles zu kümmern.“

Ein Nein für den Gast gibt es fast nie. Wenn möglich wird jeder Wunsch erfüllt, und sei er noch so absurd. Karten für ausverkaufte Konzerte in der Elbphilharmonie sind dabei noch das kleinste Problem. Manche Gäste wünschen sich eine andere Farbe an der Wand oder wollen nur im persönlichen Bett schlafen. Dann rückt die Handwerkertruppe des Hauses an, malert oder schraubt. Legendär ist die Geschichte von Sophia Loren. Die Schauspielerin weilte zu Dreharbeiten mehrere Wochen in Hamburg und wollte ihren Gatten Carlo Ponti gerne selbst bekochen. Also baute man das zweite Badezimmer ihrer Suite in eine Küche um. Die italienische Diva zauberte Spaghetti und dankte es dem Haus mit vielen weiteren Besuchen.

Schauspielerin Sophia Loren, hier mit Hoteldirektor Peters in der Bar, ließ sich einst eine Küche im Zimmer einbauen Foto: Hotel Vier Jahreszeiten

Vom Page zum Hoteldirektor

Auch die Biografie von Direktor Peters hat das Zeug zum Filmscript: Vom Pagen zum Direktor. Mit 19 Jahren fing der Hamburger Jung’ 1981 im Vier Jahreszeiten an. Dem Vater, ein Architekt, und der Mutter, eine Apothekerin, wäre lieber gewesen, der Junge hätte studiert. Stattdessen machte er ein Praktikum mit anschließender Hotelfachausbildung. Ingo C. Peter hat den Job von der Pike auf gelernt. Er putzte Toiletten, leerte Aschenbecher, polierte die Drehtür. Am ersten Tag als Azubi musste er Heinz Rühmann einen Strauß aufs Zimmer liefern und ließ vor Aufregung die Vase fallen. Der Schauspieler nahm es mit Humor.

Auf den Gängen stehen Antiquitäten, jeder Raum ist individuell eingerichtet. „Der Gast soll das Gefühl haben, bei Freunden zu Hause zu sein“, sagt Peters. Das Hotel leistet sich ein eigenes Floristik-Team. Allein in der 300 Quadratmeter großen Präsidenten-Suite stehen 22 Blumenbouquets. Das oft gebuchte, teuerste Quartier kostet übrigens 12 000 Euro pro Nacht. Ein einfaches Doppelzimmer gibt es ab 300 Euro.

Die Tür rechts vom Portal ist ein Schrank, die linke führt ins Büro des Direktors. Foto: Susanne Hamann

Die Bar im Haus zählt zu den beliebtesten der Stadt. Der exquisite Raum bietet nur 17 Plätze. Die Tür stammt aus einer Kapelle aus dem 16. Jahrhundert, als Sofas fungieren rote Rückbänke von Rolls-Royce, die Wände sind mit Antilopenleder bespannt, das mutmaßlich Zigarettengeruch besonders gut absorbieren kann. Denn in dieser Bar darf man rauchen. Als Spezialität gilt hier der „Hamburg Sour“, bestehend aus Kümmel, Maraschino, Apfel, Zitrone, Zucker und pasteurisierten Eiweiß, 19 Euro das Glas. Im Gästebuch sieht man viele Promis genau hier sitzen. 1975 wurde die Trinkinstitution im ehemaligen Direktorenbüro neben der Wohnhalle eingerichtet, das Chefbüro liegt seither im Souterrain. Peters hat von dort die An- und Abreisenden im Blick, kann im Bedarfsfall blitzschnell wie ein Flaschengeist erscheinen und die Gäste persönlich durch die Drehtür geleiten.

Die Geschichte des Hauses in Zahlen

1897
kauft der Stuttgarter Friedrich Haerlin das Hotel Vier Jahreszeiten in Hamburg.

1932
übernimmt Fritz Haerlin die Geschäfte, er überlebt als einziger Sohn den Ersten Weltkrieg, seine beiden Brüder sterben an der Front in Flandern. Der Senior zieht sich daraufhin in die alte Heimat nach Stuttgart und auf seinen Landsitz in Lindau zurück.

1975
Fritz Haerlin stirbt, seine Gattin Agnes und die Töchter Thekla und Annemarie leiten nun das Hotel.

1989
verkauft die Familie das Haus 1989 für 215 Millionen D-Mark an den Japaner Hiroyoshi Aoki. Denn Haerlins Enkelinnen sind kinderlos, eine weitere Generation steht nicht bereit.

1997
verkauft der Investor an die Hotelgruppe Raffles aus Singapur

2007
übernimmt die kanadische Fairmont-Gruppe

2013
wird das Hotel vom Unternehmer Kurt Dohle gekauft. Der Rheinländer ist mit der Supermarktkette Hit reich geworden und leistet sich neben dem Hamburger Traditionshaus auch das Hotel zur Tenne in Kitzbühel.