Violinistin Isabelle Faust Mit dem Herz auf der Geige

Will mit ihrer eigenen Liebe zur Musik die Zuhörerinnen und Zuhörer im Herzen berühren: Isabelle Faust. Foto: Copyright: Felix Broede/Photographer: Felix Broede

Die in Esslingen geborene, außergewöhnliche Geigerin Isabelle Faust ist Artist in Residence beim SWR Symphonieorchester und spielt in dieser Saison mehrere Konzerte. Was macht die Violinistin so besonders?

Immer höher steigen die Töne in Pietro Antonio Locatellis Violinkonzert in A-Dur op. 3 Nr. 11 bis in eisige Zonen, die normalerweise von der Violine nicht mehr erreicht werden. Aber Isabelle Faust ist auch keine „normale“ Künstlerin. Natürlich könnte sich die Geigerin zurücklehnen und sich mit ihren 51 Jahren und einer Weltkarriere auf wenige Solokonzerte beschränken, um sie in gut dotierten Auftritten mit erlesenen Orchestern zu zelebrieren – aber solch eine Karriereplanung würde sie nicht interessieren.

 

Die in Esslingen geborene und in Gerlingen aufgewachsene Musikerin sucht stets die Herausforderung und möchte Grenzen überwinden wie beim so gut wie nie gespielten Violinkonzert von Locatelli aus dem Jahr 1733, das sie mit Giovanni Antonini und seinem Ensemble Il giardino armonico bei ihrem Label harmonia mundi aufgenommen hat. „Wenn man ein bisschen zu dicke Fingerkuppen hat, geht es überhaupt nicht. Es ging mir bei diesen herausfordernden Passagen vor allem darum, diese verrückte Virtuosität darzustellen. Klangschönheit spielte für mich hier keine Rolle“, sagt Faust.

Vielseitige Geigerin, die den Austausch sucht

Auch für die Neue Musik interessiert sie sich sehr, seit sie, die im Alter von 15 Jahren den Leopold-Mozart-Violinwettbewerb in Augsburg gewann, mit ihrem Jugend-Streichquartett dieses Repertoire in Kursen mit dem Melos Quartett und dem La Salle Quartett erarbeitete. „Die Arbeit an zeitgenössischer Musik kann schon mühsam sein“, erklärt die Geigerin im persönlichen Gespräch. „Aber der direkte Kontakt mit dem Komponisten ist äußerst befriedigend, weil ein Notentext immer nur einen Teil des musikalischen Inhalts abbildet.“

Dass die Neue Musik in der Zusammenarbeit mit dem SWR Symphonieorchester als „artist in residence“ der aktuellen Saison gar keine Rolle spielt, überrascht ein wenig, zeigt aber auch die Vielseitigkeit der Geigerin. Mit den Violinkonzerten von Ludwig van Beethoven und Johannes Brahms stehen zwei Meilensteine des Repertoires auf dem Programm. Aber auch hier möchte Faust auf ihrer Dornröschen-Stradivari Altbekanntes neu erscheinen lassen. Bei Brahms habe ihr der Zugang von Philippe Herreweghe, Experte der historischen Aufführungspraxis, geholfen, mit dem Sie das Werk erarbeitet hat. Sie schaue auf Brahms aus Mozarts Perspektive und nicht vom 20. Jahrhundert zurück. In Beethovens Violinkonzert hatte Claudio Abbado, mit dem sie es 2012 einspielte, das Kammermusikalische betont.

Musikleben nach der Coronapandemie und eine Solo-CD

Dieses Dialogisieren, der Austausch auf Augenhöhe, das gegenseitige Zuhören sind auch Kernelemente von Isabelle Fausts Musikverständnis. Normalerweise spielt sie mit vertrauten Kammermusikpartnern wie Alexander Melnikov (Klavier) oder Jean-Guihen Queyras, mit denen sie ein festes Klaviertrio bildet. Dass sie beim geplanten SWR-Kammerkonzert (Brahms‘ Serenade Nr. 1 und Beethovens Septett) zum Teil auf ihr unbekannte Orchestermitglieder trifft, findet sie spannend. „Ich gehe offen und flexibel in solch einen Probenprozess und bin auch sehr interessiert daran, welche Ideen von meine Kammermusikpartnern kommen. Wichtig ist, dass wir dann eine gemeinsame Richtung entwickeln.“

Es freut sie natürlich, dass das Musikleben nach der Coronapandemie wieder an Fahrt aufgenommen hat. Aber sie findet auch mahnende Worte. „Die augenblickliche Tendenz der Veranstalter, die klassische Musik mit viel Brimborium zu versehen, um das Publikum zurückzuholen, betrachte ich mit Skepsis“, sagt die Geigerin. „Für mich als Künstlerin ist es wichtig, so authentisch wie möglich zu sein und mit der eigenen Liebe zur Musik die Zuhörerinnen und Zuhörer tief im Herzen zu berühren. Und das Publikum müsste bereit sein, sich berühren zu lassen. Diesen Kern der Musik finde ich entscheidend, nicht das Drumherum.“ Die Pandemie erscheint ihr im nach hinein wie ein böser Traum. „Seit meinem fünften Lebensjahr möchte ich mit Musik Menschen berühren. Als mir dieser Lebenssinn durch die Coronapandemie und den damit verbundenen Schutzmaßnahmen genommen wurde, war das eine schlimme Erfahrung für mich, zumal wir auch festzustellen mussten, dass die Musik in der öffentlichen Diskussion nur einen geringen Stellenwert besaß.“

Vor ein paar Wochen ist ihre in der ersten Pandemiephase aufgenommene Solo-CD mit Werken des 17. Jahrhunderts herausgekommen. Das berührende Album wirkt wie ein Nachklang auf eine auch emotional herausfordernde Zeit. Im Spiel von Isabelle Faust liegt Ruhe, Kraft und Trost. Musik als Überlebenshilfe!

Anstehende Konzerttermine

Stuttgart/ Freiburg/Baden-Baden
Brahms‘ Violinkonzert am 22./23.2.2024 (Liederhalle Stuttgart) und am 24.2.2023 (Konzerthaus Freiburg). Beethovens Violinkonzert am 27./28.6.2024 (Liederhalle Stuttgart) und am 30.6.2024 (Konzerthaus Freiburg). Beethovens Septett und Brahms‘ Serenade Nr. 1 in D-Dur als Nonett am 3.2.2024 (Museum Frieder Burda Baden-Baden), am 4.2.2024 (Neues Schloss Stuttgart) und am 26.2.2024 (Konzerthaus Freiburg)

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