Amsel, Drossel, Fink und Star, die Vögel sind alle weg. Kaum Gezwitscher, kein Geflatter. Täuscht der Eindruck? Demnächst sollen die Wintervögel beobachtet und gezählt werden.

Still ist es. Sehr still. Ganz ruhig ist es natürlich nie in der Stadt. Wie der Küstenbewohner das Meeresplätschern nicht mehr hört, so hat der Stuttgarter das Verkehrsrauschen verinnerlicht. Aber das Singen fehlt, das Tirilieren. Waren sonst immer Amseln, Spatzen, Meisen und Finken auf der Terrasse unterwegs, haben sich an der Futterstelle bedient, Körner gepickt, ist diesen Winter keine Federspitze zu entdecken. Oder täuscht der Eindruck?

 

Hilfe vom Experten

Michael Schmolz muss es wissen. Wir rufen bei einem Experten an. Schmolz ist Biologe und Fachbeauftragter für Vogelkunde beim Naturschutzbund Stuttgart (Nabu). Er wohnt in Riedenberg und hat auch den Eindruck, dass zumindest in der Stadt weniger Vögel unterwegs sind. Doch dem Eindruck und dem Bauchgefühl vertraut ein Wissenschaftler natürlich nicht, also schaut Schmolz auf die Webseite www.ornitho.de. Dort können Vogelbeobachter eintragen, welche Vögel sie erspäht haben. Und siehe da, es sind sogar mehr Spatzen, Blaumeisen und Amseln als im vorigen Winter gesichtet wurden. Doch bewegen sich die Zahlen um die 100, sind wegen der geringen Größe wenig aussagekräftig.

Von diesem Freitag bis zum Sonntag wird nun an drei Tagen gezählt. „Stunde der Wintervögel“ heißt die Aktion. Jeder kann mitmachen und Vögel zählen. Im Vorjahr war das Ergebnis ernüchternd. In Baden-Württtemberg machten 9200 Menschen mit. Sie zählten 207 000 Vögel. Nur die Hälfte von 2021. Vermutlich kein Ausreißer. Von 200 in Baden-Württemberg vorkommenden Brutvogelarten sind 118 in ihrem Bestand gefährdet. Insgesamt sind 27 Arten im Land ausgestorben.

Es wird gezählt

Jedes Jahr werden es weiniger Vögel

„Wir verlieren jedes Jahr zwei bis drei Prozent am Bestand“, sagt Schmolz vom Nabu. „Das klingt nach nicht viel, aber es summiert sich. Wir haben nur noch ein Kammerkonzert statt eines Sinfonieorchesters.“ Die Tendenz setzt sich fort, weil trotz aller Absichtserklärungen immer mehr Grün unter Beton verschwindet, weil Hecken und Streuobstwiesen verloren gehen, und damit Schutz und Futter. Wie im Vorjahr sei der Winter bisher mild, was dazu führt, dass Zugvögel wie Bergfinken, Zeisige und Kohlmeisen im Norden und Osten Europas bleiben.

Noch fehlt der Frost

Da es auch im hiesigen Wald zurzeit keinen Frost hat, bleiben etwa der Buchfink und der Kernzeisig dort und suchen keine Futterknödel auf Balkonen und Terrassen. Es kann also sein, dass der Eindruck nicht täuscht: In der Stadt ist es sehr still.