In Den Haag beginnt der Völkermordprozess gegen Serbien. Die Erfolgschancen der kroatischen Klage gelten als gering. Die juristische Verlängerung des Kroatienkriegs ist politisch motiviert – und reißt alte Wunden auf.

Korrespondenten: Thomas Roser (tro)
Den Haag - - Kroatien hat Serbien wegen Völkermordes im Bürgerkrieg verklagt. Am Montag treffen sich die beiden ehemaligen Kriegsparteien vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Die Erfolgschancen der Klage gelten als ebenso gering wie die der Belgrader Gegenklage gegen Zagreb. Die juristische Verlängerung des Kroatienkriegs ist politisch motiviert – und reißt alte Wunden auf.

Das Belgrader Treffen der stellvertretenden Regierungschefs Kroatiens und Serbiens in diesen Tagen war kurz, herzlich – und hart. Die beiden Nachbarn würden ihre gegenseitigen Völkermordklagen vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag nicht zurückziehen, so die erwartete Botschaft von Kroatiens Außenministerin Vesna Pusic und Serbiens Vizepremier Aleksander Vucic nach ihrer 30-minütigen Unterredung. Der von 1991 bis 1995 währende Kroatienkrieg wird damit in die juristische Verlängerung gehen. Also beginnt nun der von Kroatien schon vor 15 Jahren angestrengte Genozid-Prozess gegen Serbien.

 

Kroatien lastet Serbien die alleinige Kriegsschuld, über 13 500 Tote, die Verwüstung weiter Landstriche und die Vertreibung von Hunderttausenden aus ihrer Heimat während des Krieges an. Umgekehrt macht Belgrad Zagreb für rund 6500 Tote serbischer Herkunft und 200 000 dauerhaft vertriebene Krajina-Serben verantwortlich. 90 Prozent der Kroaten seien überzeugt, dass Serbien im Krieg der Aggressor gewesen sei, während 90 Prozent der Serben glaubten, dass Kroatien die größte ethnische Säuberung seit dem Zweiten Weltkrieg begangenen habe, fasst Serbiens Vizepremier Vucic die Ausgangslage aus seiner Sicht zusammen: „Und daran wird auch kein Prozess etwas ändern.“

Strafgerichtshof beschäftigt sich mit Konflikten der Staaten

Im Gegensatz zu dem Kriegsverbrecher-Tribunal der Vereinten Nationen beschäftigt sich der Internationale Gerichtshof nicht mit von Individuen begangenen Straftaten, sondern mit Rechtskonflikten zwischen Staaten. Noch nie wurde ein Staat wegen Völkermords verurteilt. Und nicht zuletzt wegen des Scheiterns der bosnischen Genozid-Klage gegen Serbien 2007 gelten die Erfolgsaussichten der Zagreber Völkermord-Klage gegen den Nachbarn Belgrad als ebenso zweifelhaft wie die der serbischen Gegenklage.

Wie in dem von Bosnien-Herzegowina gegen Serbien angestrengten Verfahren werde sich der Internationale Gerichtshof in dem Prozess wegen seiner beschränkten Mittel auf die Ermittlungsergebnisse des UN-Kriegsverbrechertribunals stützen, prophezeit der serbische Völkerrechts-Professor Tibor Varadi. Doch im Gegensatz zu den Kriegsverbrecher-Prozessen, die sich auf den Bosnienkrieg bezogen, habe das Tribunal der Vereinten Nationen für im Kroatienkrieg begangene Untaten nie einen mutmaßlichen Täter des Völkermords angeklagt geschweige denn verurteilt: „Wahrscheinlich wird darum keiner der beiden Seiten des Genozids für schuldig gesprochen.“

Keines der beiden Länder habe Völkermord begangen

Weder an Kroaten noch an Serben sei Völkermord begangen worden, sagt auch der kroatische Staranwalt Ante Nobilo. Von dem Prozess würden nur die kostspieligen internationalen Anwaltskanzleien profitieren: „Es wäre klüger, die Klagen zurückzuziehen.“ Zagrebs Bedingungen dafür – die Rückgabe geraubter Kulturgüter und detaillierte Angaben über Kriegsvermisste – seien weder juristischer Art noch hätten sie direkt mit der Klage zu tun. Die Frage des „Timings“, wann die beiden Regierungen ohne allzu große Gesichtsverlust und Schaden für sich selbst die Klagen zurückziehen könnten, sei „rein politischer“ Art, glaubt Ante Nobilo. Eine außergerichtliche Einigung sei auch nach Beginn des Verfahrens noch möglich.

Ein Rückzug der Genozid-Klage wäre für Kroatiens angeschlagene Mitte-links-Regierung angesichts ihres enormen Popularitätsverlusts zum gegenwärtigen Zeitpunkt „politischer Selbstmord“, glaubt der serbische Politologe Predrag Simic. Das Aufreißen alter Kriegswunden durch den Prozess hält er für unausweichlich. „Die Geister der Vergangenheit werden erneut aufleben.“ Nur rechtsextremen Gruppierungen sei an dem erneuten Aufrechnen der Kriegsopfer und Folgen gelegen, glaubt Ante Nobilo. „Das sind die Themen, die unsere Beziehungen unnötig belasten, denn sie lösen nichts, sondern kühlen diese nur zusätzlich ab.“