Volkshochschulen in Baden-Württemberg Volkshochschulen brauchen drei Millionen Euro mehr vom Land
Die Volkshochschulen in Baden-Württemberg fordern mehr Geld vom Land. Wie viel sie brauchen und wieso. Verbandschef Fritz Kuhn hat Antworten.
Die Volkshochschulen in Baden-Württemberg fordern mehr Geld vom Land. Wie viel sie brauchen und wieso. Verbandschef Fritz Kuhn hat Antworten.
Fritz Kuhn ist Chef des Volkshochschulverbands. Im Interview erzählt er, wieso die Finanzspritze nötig ist.
Herr Kuhn, die Pandemie war für die Volkshochschulen in Baden-Württemberg ein tendenziell existenzgefährdender Einschnitt. Haben sie sich davon erholt?
Corona war für uns schwierig, aber jetzt sind wir auf einem guten Weg. 2022 hatten wir wieder 84,5 Prozent der Kurse, die wir vor der Pandemie gegeben haben. 2019 war bisher unser Rekordjahr. Der Trend für 2023 zeigt, dass wir uns diesem Stand wieder annähern. Dass wir das so bewältigen konnten, hat drei Ursachen: gute Hilfe vom Land, ungeheures Engagement der Volkshochschulen selbst und ein Durchbruch bei der Digitalisierung. Wir haben viele Kurse wegen Corona digitalisiert, mussten viele technische Fragen im Eiltempo klären. Am Ende hat uns das einen Schub gebracht.
Die Teilnehmerzahlen sind sicherlich nicht genauso stark gestiegen wie die Kurse, weil Sie in der Pandemie ja viele Angebote digital aufrechterhalten haben.
Unsere Erfahrung zeigt, dass viele Teilnehmende Weiterbildung an der Volkshochschule als analoges Lernen in einem gemeinsamen Raum verstehen. Wir sehen die Volkshochschulen der Zukunft dennoch mit einem analog-digitalen Angebot. Der Grund: Die Kombination aus beiden Elementen ist etwa beim Sprachenlernen optimal.
Und wie viele Kursteilnehmer gab es nun 2022?
Auch die Teilnehmendenzahlen wachsen wieder: 2019 hatten wir 2,24 Millionen Kursteilnehmende, 2021 waren es 900 000 und im Vorjahr wieder 1,47 Millionen. Das ist ein großer Sprung, zumal man beachten muss, dass es 2022 noch erhebliche Coronabeschränkungen gab.
Damit sind Sie wieder auf dem Niveau von 2014. Müssen Sie wegen der vielen Unsicherheiten aktuell fürchten, dass die Volkshochschulen Bildungsinteressierte auf Dauer verloren haben?
Klar ist, dass die Volkshochschulen sich laufend verändern müssen, um bestehen zu bleiben. Aber dass wir in einer Zeit von Unsicherheit, Ängsten und großen Transformationsprozessen leben, verstärkt auch die Notwendigkeit von Weiterbildung. Wir spüren eine wachsende Nachfrage bei den Menschen: Was kann ich für mehr Nachhaltigkeit tun? Wie esse ich gesund? Wie werde ich digital fit? Außerdem würden wir bei der Integration der Geflüchteten viel schlechter dastehen, wenn die Volkshochschulen nicht in kürzester Zeit ihr Angebot von Sprach- und Integrationskursen ausgebaut hätten.
Weiterbildung aus Lust oder weil es nützlich ist – wie verteilt sich das?
Wir haben keine Zahlen erhoben, aber ich schätze halbe-halbe. Wir stehen auf zwei Säulen: Bildung aus Neigung, weil sie einem Stabilität gibt im Menschsein, und berufliche Weiterbildung, um die eigenen Kompetenzen zu erweitern und sich auf Neues einzustellen.
Müssen Sie fürchten, dass die Inflation Teilnehmer fernhält?
Ich sehe zwei große Probleme vor uns: Wir haben im öffentlichen Dienst hohe Tarifabschlüsse mit 11,5 Prozent. Hinzu kommt die Inflation von 7,9 Prozent, die uns bei Sachkosten und Gebäuden belastet. Den Volkshochschulen fehlen deshalb 2023 mit den kirchlichen Weiterbildungsträgern zusammen 23,3 Millionen Euro. Wenn ich das auf den Anteil des Landes herunterbreche, brauchen wir für das laufende Haushaltsjahr zusätzlich 2,87 Millionen Euro, um das auszugleichen. Die Landesregierung ist bisher ordentlich mit den Volkshochschulen umgegangen. Jetzt brauchen wir aber zusätzliche Unterstützung. Denn wir können die Kursgebühren nicht erhöhen, sonst verlieren wir Teilnehmende, die selbst von der Inflation betroffen sind. Deshalb warne ich dringend vor einem Zahl-doch-du-Pingpong zwischen Kommunen und Land. Am Schluss darf das nicht bei den Teilnehmenden hängen bleiben. Das ist eine fast schon existenzielle Bedingung für die Volkshochschulen.
Mehr Geld vom Land wollen allerdings viele Akteure.
Das Land betont zurecht an jeder Stelle die Bedeutung von Erwachsenen- und Weiterbildung. Deshalb finde ich es legitim und geboten, dass es hier finanzielle Prioritäten setzt. Überall fehlen qualifizierte Arbeitskräfte. Unsere Sprachkurse sind der erste Schritt in die Richtung, dass Flüchtlinge und Einwanderer sich zum Betreuer in der Kita oder zum Altenpfleger ausbilden lassen können.
Egal, ob Schulen oder Kitas – dem Staat fehlt überall Personal, um Bildungsangebote auf dem gebotenen Niveau aufrechtzuerhalten. Können Volkshochschulen über die Kooperation beim Corona-Aufholprogramm Rückenwind hinaus in den nächsten Jahren eine Hilfe sein?
Ich denke, dass wir das hinkriegen. Bei Rückenwind wie auch bei den Integrationskursen haben wir gezeigt, wie schnell wir ein breites Angebot aufbauen können. Mit Sicherheit werden wir bei der Qualifizierung von Betreuungskräften gebraucht, wenn der Rechtsanspruch auf Ganztag in der Grundschule ab 2026 Wirklichkeit wird.
Politik
Fritz Kuhn, 1955 in Bad Mergentheim geboren, hat 1980 die Grünen in Baden-Württemberg mitgegründet. Den ersten Teil seiner politischen Karriere (1988 bis 2000) absolvierte er als Abgeordneter und Fraktionschef im Landtag von Baden-Württemberg. Dann wechselte er nach Berlin, wurde Bundesparteichef der Grünen, später Bundestagsabgeordneter und ebenfalls Fraktionsvorsitzender. 2012 entschied er sich, bei der OB-Wahl in Stuttgart anzutreten und gewann die Wahl. Das Amt übte er von 2013 bis 2021 aus.
Persönliches
Kuhn ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne. Er hat Germanistik und Philosophie studiert. Er wurde 2013 zum Vorsitzenden des Volkshochschulverbands gewählt. In Baden-Württemberg gibt es 161 Volkshochschulen mit 633 Außenstellen. Anm. der Red.: In einer früheren Version hatte es geheißen, Kuhn war nach seiner Zeit als Oberbürgermeister von Stuttgart Vorstand geworden, tatsächlich hat er das Amt seit 2013 inne.