Taipeh und Peking leben seit Jahren in friedlicher Koexistenz. Nun soll neu über das Verhältnis der beiden Chinas gesprochen werden. Während die Volksrepublik drängt, hat Taiwan viel Zeit.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Taipeh/Peking - Wenn zwei das Gleiche sagen, dann müssen sie noch lange nicht das Gleiche meinen. Da ist die Insel Taiwan, gerade einmal so groß wie Baden-Württemberg, , und da ist, nur 180 Kilometer entfernt, die Volksrepublik China, das viertgrößte Land der Welt. 23 Millionen Menschen leben in direkter Nachbarschaft zur bevölkerungsreichsten Nation der Erde, die mehr als 1,3 Milliarden Köpfe zählt. Viel mehr Gegensatz geht eigentlich nicht. Ein Land, zwei Systeme, heißt es dazu übereinstimmend in Taipeh und Peking. Doch während Taiwan zumindest in seiner Verfassung davon ausgeht, ganz China zu vertreten, betrachtet man die Insel in Peking lediglich als eine abtrünnige Provinz. Vermutlich muss man Chinese sein, um zu verstehen wie diese Koexistenz überhaupt funktionieren kann.

 

Dass sie funktioniert, steht außer Frage – noch. Das hat viel mit dem taiwanesischen Präsidenten Ma Ying-jeou zu tun, der seit seinem Amtsantritt im Jahr 2008 strikt einem Grundsatz folgt, der mit den „drei Neins“ umschrieben werden kann. Man werde nicht über Unabhängigkeit reden, nicht über eine Vereinigung – und man werde nicht gegeneinander kämpfen. Stattdessen hat Ma viel getan, um seine Insel dem großen Nachbarn zu öffnen. Zu viel, sagen Kritiker, die ihm vorwerfen, Taiwan schon jetzt an Peking verkauft zu haben.

Jede Woche gibt es 670 direkte Flüge

70 Prozent der taiwanesischen Auslandsinvestitionen fließen inzwischen nach China, nicht mehr in die USA und andere asiatische Länder. Dafür kommen die Brüder und Schwestern in Scharen. Noch vor fünf Jahren mussten Reisende von dem einen in das andere China den Umweg über Hongkong oder ein Drittland nehmen, inzwischen gibt es jede Woche 670 direkte Flüge von 54 Flughäfen aus Festlandchina. Das treibt die Tourismuszahlen in die Höhe. 300 000 Festlandschinesen waren 2007 zu Gast auf der Insel, 2012 waren es mehr als fünf Millionen.

Die guten Beziehungen der letzten Jahre haben dazu geführt, dass Peking dem kleineren Nachbarn ein wenig mehr internationalen Spielraum gegeben hat. Zum ersten Mal durfte Taipeh nun als Gast an der Sitzung der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation der UN teilnehmen. Das ist auf der Insel, die stets nach internationaler Anerkennung strebt, ebenso gefeiert worden wie die Tatsache, dass Taiwan in den letzten Jahren keine weiteren diplomatischen Verbündeten mehr abgeben musste. Viele sind es ohnehin nicht mehr, die ihre Botschafter nach Taipeh, und nicht nach Peking schicken. Gerade einmal 23 Nationen, und dann meist Kleinststaaten aus der Karibik, Afrika und Ozeanien.

Die Volksrepublik drängt Taiwan, sich zu bewegen

Doch nun scheint dieses fein austarierte Gefüge in Schieflage zu kommen. Das System des Sich-gegenseitig-nicht-in-die-Quere-Kommens ist gefährdet, Taiwans De-facto-Unabhängigkeit bedroht. Xi Jinping, der neue starke Mann in Peking, hat einen Satz gesagt, der auf der Insel zerlegt, zerpflückt, interpretiert und gedeutet wird: „Wir können die Probleme nicht an die nächste Generation weitergeben.“ Die Volksrepublik dränge Taiwan dazu, sich zu bewegen – in dieser Deutung herrscht Einigkeit.

Der „Washington Post“ hat Ma nun verraten, wie er mit dem Angebot umzugehen gedenkt. Man müsse wohl erst ein Referendum auf der Insel abhalten, um zu erfahren, was die Taiwanesen so wollten, sagte der Präsident. Im Klartext bedeutet das Zeitgewinn, denn das Ergebnis einer Befragung stünde jetzt schon fest. Seit Jahren sind sich die Taiwaner uneinig darüber, ob Zusammenschluss oder Unabhängigkeit besser wären – große Übereinstimmung hingegen besteht darin, am Status quo erst einmal nicht zu rütteln.

Ma steht im eigenen Land unter Druck

Die Avancen des großen Nachbarn kommen für Ma Ying-jeou zudem zu einem unangenehmen Zeitpunkt. Wegen einer Abhöraffäre steht Ma im eigenen Land schwer unter Beschuss, seine Zustimmungsraten sind auf einstellige Prozentwerte gefallen. Unter normalen Umständen wäre da ein Treffen mit dem starken Mann aus China die beste Medizin, um wieder auf die Beine zu kommen. Noch nie hat ein Präsident aus Peking seinem Gegenüber aus Taipeh die Hand geschüttelt, um jeden Anschein einer internationalen Anerkennung zu vermeiden. In Taipeh wird gemunkelt, dass sich dies im nächsten Jahr vielleicht ändern könnte. Doch ob der Wunsch bei all zu inniger politischer Umarmung aus Peking auch dann noch besteht, ist fraglich.