Was wäre Mannheim ohne den Waldhof? Zunächst eine Stadt ohne ihren besten Fußballverein. Ganz so schlimm war es nicht, als vor zehn Jahren die Ergebnisse der damaligen Volkszählung veröffentlicht wurden. Doch dass Mannheims Einwohnerzahl auf einen Schlag um 23 500 Menschen gesenkt wurde, was in etwa der Größe des Stadtteils Waldhof entspricht, war schon ein schwerer Schlag. Die nordbadische Industriestadt musste nicht nur ihren Platz als zweitgrößte Stadt in Baden-Württemberg vorübergehend an Karlsruhe abgeben, sondern sie verlor auch viel Geld.
Wenige Gewinner, viele Verlierer
Weil sich die Zuweisungen von Bund und Land nach der jeweiligen Einwohnerzahl richten, besitzt sie für die Städte und Gemeinden eine immense Bedeutung. Allein Mannheim, so wurde später berechnet, kassierte durch das Ergebnis der Volkszählung von 2011 in den vergangenen zehn Jahren insgesamt 200 Millionen Euro weniger an Steuergeldern. Auch andere Städte traf es hart. Konstanz büßte 5000 Einwohner ein, Stuttgart schrumpfte um mehr als 22 000 Einwohner, was jährlich ein Minus von 15 Millionen Euro bedeutet haben soll. Nur in Ausnahmefällen kamen Einwohner hinzu, so in Sindelfingen 166 oder in Muggensturm acht. Im ganzen Land waren 274 000 Personen, die in den Einwohnermeldebüchern standen, statistisch gesehen nicht mehr auffindbar.
Die Tücken der Statistik
Vor diesem Hintergrund sehen die Verantwortlichen in den Kämmereien der Kommunen dem Zensus 2022 mit einer gewissen Nervosität entgegen. Er ist als so genannter registergestützter Zensus auf Stichprobenbasis ausgestaltet. Das heißt: es wird nur jeder Zehnte tatsächlich befragt. Dessen Antworten gelten dann als repräsentativ. Das Problem: jeder, der für die Befragung zwar ausgewählt wurde, aber nicht gefunden werden kann, senkt die Einwohnerzahl gleich um zehn Personen. Eine Ausnahme sind kleinere Gemeinden, wo aus statistischen Gründen mehr als jeder Zehnte befragt werden muss.
Schlüsselrolle für die Helfer
Kein Wunder, dass zuletzt die Forderung aufkam, den Zensus wegen der großen Herausforderungen für die Kommunen im Zuge der aktuellen Flüchtlingswelle zu verschieben. Jeder Fehler könnte bestraft werden. Als neuralgischen Punkt hat der baden-württembergische Städtetag die Rekrutierung der Interviewer ausgemacht. „Wie gut und nachhaltig diese ehrenamtlich tätigen Personen wirken, beeinflusst das Zensusergebnis entscheidend“, heißt es in einem Schreiben des zuständigen Dezernenten Norbert Brugger an die Mitgliedsstädte. Auch Kommunen, die kleiner als 30 000 Einwohner sind und die deshalb keine eigene Erhebungsstelle unterhalten müssen, sollten ihre Zensusstellen in den Landratsämtern bei der Auswahl unterstützen. Vor allem Verwaltungsmitarbeiter böten sich an. Allerdings kommt dabei nicht jeder in Frage: Mitarbeiter aus „sensiblen Bereichen“ wie dem Sozialamt, der Steuerverwaltung oder der Bußgeldstelle dürfen aus Gründen des Datenschutzes nur eingesetzt werden, wenn ihr Einsatzort fern ihrer sonstigen örtlichen Zuständigkeit liegt.
Die Gefahr an der Haustür
Mit großen Kampagnen bemühen sich die Landratsämter und Städten um Helfer. Sie gelten zwar als ehrenamtlich, sollen aber trotzdem Geld erhalten. Die jeweilige Höhe legen die Städte und Kreise selbst fest. Das Statistische Landesamt empfiehlt einen Sockelbetrag von 90 Euro für die Schulungsteilnahme und zwei Euro pro erfolgreich ermittelten Haushalt. Gleichwohl sei die Gewinnung von Personal „auch aufgrund der aktuellen Coronasituation weiterhin schwierig“, sagt der Städtetagsdezernent Norbert Brugger. Worüber ungern gesprochen wird: Es geht nicht nur um die Furcht vor Ansteckung, sondern im Einzelfall auch vor Übergriffen, wenn ein Helfer etwa an Anhänger der Reichsbürgeridee gerät. Auch Brugger befürchtet, dass mancher „in der momentanen gesellschaftlichen Stimmung eine behördliche Befragung ablehnen“ könnte. Hinweise auf eine breite Boykottbewegung lägen aber nicht vor, heißt es beim Verfassungsschutz.
Wer befragt wird, steht schon fest
1,7 Millionen Menschen in Baden-Württemberg – und damit 15 Prozent – sollen einen Hausbesuch bekommen. Die Auserwählten stehen schon fest. Im Oktober wurden die Anschriften gezogen. Die Betroffenen werden darüber demnächst schriftlich informiert und erhalten einen Terminvorschlag. Befragt werden alle erwachsenen Bewohner eines Hauses. Fünf Minuten veranschlagt das Statistische Landesamt für dieses Interview. Zudem erhalten alle Hauseigentümer für die Wohnungszählung einen schriftlichen Fragebogen.
Was die Behörden wissen wollen
Der Interviewer interessiert sich zunächst für die persönlichen Daten wie Name, Geschlecht, Staatsangehörigkeit und Familienstand. Anschließend übergibt er die Zugangscodes für einen Onlinefragebogen, in dem nach Beruf, Arbeitgeber und Bildungsabschluss gefragt wird. Alternativ kann auch ein Papierformular ausgefüllt werden. Beides dauere nicht mehr als zehn Minuten.
Weigern hilft nicht
Grundsätzlich sind die Ausgewählten zur Teilnahme verpflichtet. Wer sich weigert, begeht eine Ordnungswidrigkeit und kann mit einem Zwangsgeld belegt werden. Antworten muss man trotzdem. Sonst folgt das nächste und vermutlich höhere Zwangsgeld.