Vor dem Spitzenspiel gegen Berlin am Sonntag geht der deutsche Volleyballmeister neue Wege. Um Fans zu gewinnen, steigt das Team vom Bodensee auf ungewöhnliche Oberbekleidung um.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Friedrichshafen - Eines dieser netten kleinen Videos zeigt Simon Tischer. Mit zerknirschter Miene schiebt der Kapitän des VfB Friedrichshafen im pinkfarbenen Trikot seinen Einkaufswagen durch einen Supermarkt. Zwei kleine Kinder im traditionellen blauen Friedrichshafener Dress treffen ihn und lachen ihn wegen der Farbe seines Trikots aus. „Mach Pink zu Blau, und hilf den Jungs zurück in ihr Trikot“, sagt eine Stimme aus dem Off. In einem anderen Clip wird der VfB-Spieler Tomas Kocian im Bus wegen der Farbe seines Trikots von Mitfahrern ausgelacht.

 

Was das soll? Dies: im letzten Heimspiel trat der Volleyball-Meister erstmals in einem pinkfarbenen Dress an. Das Trikot sieht nicht schlecht aus, Juventus Turin spielte in der Champions League zuletzt in Gladbach in einem ähnlichen Farbton, aber darum geht es auch nicht. Es ist ein PR-Gag, ein gelungener dazu, aber der Hintergrund ist ein ziemlich ernster, nämlich eine Zuschauerkrise: Das Team des VfB spielt so lange in diesem Trikot, bis die heimische Arena endlich mal wieder ausverkauft ist. „Pink ist keine schlechte Farbe“, sagt der Zuspieler Tomas Kocian: „Aber wir wollen unser Blau zurück.“ Im Idealfall, so hoffen sie am Bodensee, schon an diesem Sonntag (14 Uhr/ZF-Arena) im Heimspiel gegen den Erzrivalen Berlin Volleys.

Große Erfolge, aber wenig Aufmerksamkeit

Der VfB Friedrichshafen leidet trotz all seiner großen Erfolge an seinem chronischen Aufmerksamkeitsdefizit, zumindest haben sie sich das selbst diagnostiziert. Und das soll endlich kuriert werden. Die Aktion, die in der Volleyballszene und im Internet für viel Aufsehen sorgt, ist Teil einer Marketingoffensive des VfB, zu der auch ein neues Motto, neudeutsch Claim, gehört, das sich der Club verpasst hat: „Der Bodensee steht hinter dem VfB.“

Das mag so sein, nur sieht man das eben nicht so richtig, in der wunderbaren Volleyball-Arena steht (beziehungsweise sitzt) zuletzt zu wenig hinter dem VfB. In der vergangenen Saison waren es im Schnitt 1936 Zuschauer (Vorjahr: 2195), die die Partien des Double-Siegers sahen, der Minusrekord lag bei 1040 Fans, 3804 passen rein, ausverkauft war die Halle vergangene Saison nur einmal, im letzten Finalspiel gegen Berlin. „Der VfB muss populärer werden“, sagt der neue Geschäftsführer Sebastian Schmidt: „In der Region, in Deutschland.“

Friedrichshafen hat Probleme. Volleyball hat Probleme. Trotz der großen Verbreitung hat die Liga den Anschluss an andere beliebte Ballsportarten verloren, etwa an Handball oder Basketball. Speziell die Basketball-Bundesliga hat sich in den vergangenen Jahren spektakulär weiterentwickelt, während die Volleyball-Liga stagniert und der VfB sogar verliert. „In den vergangenen Jahren ist viel zu wenig gemacht worden“, sagt Schmidt. Die Volleyball-Bundesliga (VBL) arbeitet mittlerweile eifrig an ihrer Marke. Es gibt seit 2014 ein Logo, und es wird versucht, die Außendarstellung wie auch die Innendarstellung (Hallenboden etc.) zu vereinheitlichen.

Die Zuschauerzahlen beim Volleyball sind ansteigend

Der Weg ist lang. Und nicht alle Vereine der Bundesliga können das Modernisierungstempo von hoch professionellen und finanzkräftigen Clubs wie dem VfB oder den Berlin Volleys mitgehen. Aber es geht etwas voran. Kamen in der Saison 2009/2010 im Schnitt 920 Zuschauer zu den Spielen, waren es in der vergangenen Runde 1509 – es ist der höchste Wert der Liga-Geschichte. Im Vergleich aber ist das immer noch eine bescheidene Resonanz: Die Deutsche Eishockey-Liga (DEL) hatte 2014/2015 einen Zuschauerschnitt von 6419 Besuchern (ohne Play-offs), die Spiele der Handball-Bundesliga sahen im Schnitt 4591 Zuschauer, in der Basketball-Bundesliga lag der Wert bei 4431 (ohne Play-offs).

Stelian Moculescu, der Trainerguru vom Bodensee, kämpft seit Jahren für eine bessere Darstellung der Sportart. Es ist ein frustrierender Kampf. Es ging nie richtig voran, aufgeben wollte er aber nicht. Vielleicht klappt es diesmal: „Mehr Zuschauer, mehr Medienpräsenz, mehr Promotion“, sagt er über die Ziele der Kampagne. Dabei soll auch ein alter Spezi von Moculescu helfen, der Österreicher Peter Kleinmann. Der schillernde und mächtige Funktionär ist Präsident des Österreichischen Volleyball-Verbandes, er sitzt im europäischen Verband und hat die Hot-Volleys Wien zu unzähligen Titeln geführt. Kleinmann hat, kurz gesagt, Volleyball in den Alpen populär gemacht und berät seit dieser Saison den VfB. „Sport ist Entertainment, der Zuschauer ist Kunde, er muss im Mittelpunkt stehen“, sagt der 65-jährige Österreicher.

Gründe für den Zuschauermangel mag es viele geben, einer könnte sein, dass man als Besucher bei vielen Spielen schon weiß, wie es ausgehen wird: Friedrichshafen wird gewinnen. Das Team um den derzeit verletzten Simon Tischer (Bandscheiben-OP) ist zu gut für die meisten Gegner. Die Friedrichshafener sind die Bayern des Baggerns. „Die Zuschauer müssen wegen uns kommen, wegen dem VfB, wegen des Events, nicht wegen des Gegners“, sagt Sebastian Schmidt und verweist auf das Beispiel des Fußball-Rekordmeisters: „Bei Bayern ist das Stadion auch immer voll, egal, wie der Gegner heißt und obwohl meist klar ist, wie es ausgeht.“ Oder, wie Peter Kleinmann sagt: „Der Gegner ist wurscht.“

Zur PR-Offensive gehören auch die lokalen Medien. Die stehen am Bodensee schon hinter dem VfB. So überträgt der Sender Regio-TV neuerdings die Champions-League-Partien des VfB, und die „Schwäbische Zeitung“, die wie Regio-TV zum Schwäbischen Verlag gehört, will laut eigener Aussage auch richtig „Gas geben“. Das will das Team am Sonntag auch, am besten vor ausverkauftem Haus. Berlin sei schwer zu schlagen, sagt Trainer Stelian Moculescu: „Aber das Publikum ist eine Macht.“ Es gibt noch Karten.