Volleyball-Begegnungen zwischen Stuttgart und Schwerin hat es auch früher schon gegeben – beispielsweise im Europapokalwettbewerb der Pokalsieger. Der Journalist Jürgen Löhle öffnet die Tür für einen persönlichen Blick zurück ins Jahr 1988.

Schwerin - Es ging stramm auf zwei Uhr zu, in dieser Januarnacht 1988. In einer kleinen, ungemütlichen Sitzecke im Treppenhaus des Hotels Stadt Schwerin saßen vier Männer in alten Stoffsesseln um einen kleinen Holztisch herum und gossen sich den Inhalt einer Flasche Sekt Marke Rotkäppchen in die Zahnputzbecher aus ihren Zimmern. Ein spätes Prosit auf den 40. Geburtstag eines Stuttgarter Sportjournalisten. Ein paar Meter weiter machte sich mitten in der Nacht ein Mann in einem blauen Arbeitsanzug eifrig an einem Verteilerkasten zu schaffen, obwohl überall die Lichter brannten. Die Einladung auf ein Glas schlug er aus, aus heutiger Sicht klar. Der Mann war entweder ein getarnter Vopo oder von der Stasi, man konnte die Westler ja nicht so einfach unbeobachtet lassen. Aber dazusetzen – niemals. Also tranken der damalige Volleyball-Bundestrainer Andrzey Niemczyk, Mathias Eichinger, Trainer der Volleyballerinnen des CJD Feuerbach, und die beiden Stuttgarter Journalisten den warmen Sekt eben alleine. Das war das gemütliche Ende eines höchst aufregenden Sportages.

 

1988: Stuttgart gegen Schwerin im Europapokal

Ein Volleyball-Match zwischen Mannschaften aus Stuttgart und Schwerin, wie das erste Play-off-Halbfinale um die Deutsche Meisterschaft an diesem Mittwoch zwischen Allianz MTV Stuttgart und dem Schweriner Sportclub, ist schon lange Alltag. 1988 war das ein bisschen anders. Zunächst einmal ging es da nicht um einen nationalen Titel, die Partie war ein innerdeutscher Vergleich im Europapokal der Pokalsiegerinnen. Die Vereine hießen damals CJD Feuerbach und Traktor Schwerin, und schon die Reise nach Mecklenburg war speziell.

Mit dem Flieger nach Berlin, dann in zwei VW-Bullys weiter. Der Grenzer wünschte einen „angenehmen Aufenthalt und viel Glück beim Spiel“, und so kam der Tross am Tag vor der Partie nahe der Ostsee an. Es roch stark nach verbrannter Braunkohle, mit der in der DDR viel geheizt wurde, und es gab jede Menge Parkplätze an den Straßenrändern, für Stuttgarter schon damals ein wundersamer Anblick.

Nach 30 Versuchen steht die Verbindung

Wir beiden Schreiber von der StZ und der StN waren als Delegations-Mitglieder mit dem Team gereist. Das war legal, hätten wir auf eigene Faust als Journalisten fahren wollen, würden wir wohl heute noch Formulare ausfüllen. Es war schon alles ein bisschen anders. Auf die Frage, ob man aus der Sporthalle einen Text nach Stuttgart durchtelefonieren könnte, wurde uns eine freie Leitung zugesagt. Für 1500 Mark – West und sofort. Nun ja, wir haben es dann vom Hotel aus mit dem Zimmertelefon geregelt. „Manchmal kommt man durch“, sagte der nette Portier. Nach etwa 30 Versuchen stand eine Verbindung nach Stuttgart. Beim Diktieren des Textes an die Dame von der Aufnahme musste man sich sehr konzentrieren, weil der Bundestrainer während der Wählprozedur beiden Journalisten eine durchsichtige Flüssigkeit in besagte Zahnputzbecher kippte, die widerlich schmeckte und direkt ins Blut ging.

Wir hatten damals schon was zu berichten. 4500 Zuschauer waren an einem normalen Werktagsnachmittag in der Halle. Der CJD-Manager Arno Haak verteilte 500 Aufkleber, die in zwei Minuten vergriffen waren. Selbst die Schreiber wurden auf dem Weg zur Pressetribüne nach Autogrammen gefragt, ein Erlebnis, das sich bis heute nicht wiederholt hat. 4500 beim Volleyball – das war Rekord für die DDR, behauptete zumindest ein Kollege von einer lokalen Zeitung, der bei einer Zigarette hinter der Halle redete wie ein Buch und in der Halle überhaupt nicht mehr. Der Zehnkampf-Weltmeister Thorsten Voss war auch da, durfte aber kein Interview geben. Das Spiel war zunächst höchst einseitig. Der Traktor raste über die Stuttgarter Mannschaft um die Nationalspielerinnen Renate Riek, Ute Hankers, Gudula Staub und die Belgierin Karin Steyaert hinweg, führte schnell mit 2:0 Sätzen und 7:2 im dritten. Damals gingen die Sätze noch bis 15, wobei nur der punkten konnte, der Aufschlag hatte. Aber das CJD kam zurück, gewann die Sätze drei und vier, verlor dann aber den fünften wieder klar. Trainer Eichinger war sauer, aber mehr auf den belgischen Verband, der Neuzugang Nancy Celis, die internationale Freigabe verweigert hatte. Es war ja ein Spiel im Europapokal.

Auf dem Empfang nach dem Spiel wurde dann ganz offen die Republikflucht des Fußball-Denkmals Jürgen Sparwasser diskutiert, der drei Tage zuvor am 10. Januar 1988 von einem AH-Spiel zwischen Saarbrücken und Magdeburg nicht mit zurückfuhr. „Dem geht es bei euch doch auch nicht besser als hier“, sagte damals ein Offizieller von Traktor Schwerin.

Ein Scherz an der Grenze erschwert die Heimreise

Die Heimreise am nächsten Tag wäre völlig problemlos gewesen, wenn der Bundestrainer Niemczyk am Übergang Heiligensee/Stolpe nicht launig dem Grenzer zugeraunt hätte, im Kofferraum säßen zwei DDR-Nationalspielerinnen. Wir haben den Flieger tatsächlich noch bekommen, wenn auch knapp. Sehr knapp.

Das Rückspiel eine Woche später gewann Feuerbach mit Nancy Celis 3:2. Nach Sätzen stand es also unentschieden, aber in der Addition der Punkte war Schwerin besser und damit in der Endrunde des Europapokals. Auch an diesem Abend gab es ein Bankett. Feuerbachs Spielerinnen überreichten ihren Gegnerinnen Parfümfläschchen, danach ging man schnell auseinander, die Traktor-Equipe fuhr geschlossen nach Hause. Nicht mal zwei Jahre später fiel die Mauer.