Von 38 auf 5 im Kreis Esslingen Warum die Zahl der Volksbanken schrumpft

Im Gasthaus Sonne in Nürtingen wurde im Jahr 1863 die Handwerkerbank gegründet. Foto: Volksbank Mittlerer Neckar

Die Genossenschaftsbanken sind in den vergangenen Jahrzehnten durch Fusionen immer größer geworden geworden, auch im Landkreis Esslingen. Woran liegt das? Und wie können sich die kleinen Häuser noch behaupten?

Mit 34 Mitgliedern hat sie begonnen, die Geschichte der Genossenschaftsbanken in Nürtingen. 1863 war bei einer Versammlung im Gasthaus Sonne die Handwerkerbank gegründet worden, wie die Jubiläumschronik der späteren Volksbank Kirchheim-Nürtingen informiert. Nach mehr als 160 Jahren und zahlreichen Fusionen sind beide Finanzhäuser letztlich in der heutigen Volksbank Mittlerer Neckar aufgegangen, die 2022 mehr als 110 000 Mitglieder zählte. Ähnlich ist es zahlreichen weiteren kleinen Instituten ergangen. Gab es 1990 immerhin noch 38 Genossenschaftsbanken im Kreis Esslingen, so sind es nun nur noch fünf. Ist die Zeit der kleinen Regionalbanken vorbei? Haben sie überhaupt noch eine Chance gegen die großen Player?

 

Eine Zeitungsanzeige weist auf die Generalversammlung der Gewerbebank Esslingen im Jahr 1884 hin. Sie war als erste Genossenschaftsbank im heutigen Kreis Esslingen bereits 1862 gegründet worden. Foto: Roberto Bulgrin

„Wir arbeiten innerhalb der Bezirksvereinigung der Volks- und Raiffeisenbanken gut zusammen“, sagt Karlheinz Pitter, der Vorstandsvorsitzende der Bernhauser Bank – und damit Vertreter einer vergleichsweise kleinen Bank mit 5780 Mitgliedern. So teile man sich innerhalb der Bezirksvereinigung beispielsweise einen Dienstleister, der die Digitalisierung betreut. „Man muss nicht immer fusionieren, um sich weiter zu entwickeln“, so Pitter. Doch die Entwicklung in den vergangenen Jahren zeigt in eine andere Richtung. „Bis in die 90er hatte man den Eindruck, dass das Geschäft boom. Damals wurde der Begriff des Overbankings geprägt – seither ist die Zahl der Banken insgesamt zurück gegangen“, sagt Markus Schaaf, Vorstandssprecher der Volksbank Mittlerer Neckar. Die Gründe für diesen Schwund seien vielfältig, es gehe unter anderem um die demografische Entwicklung und Mitarbeitermangel, steigende Kosten durch neue Anforderungen und die Regulatorik. Diese stellten kleinere Häuser vor größere Herausforderungen. Teilweise seien aber auch persönliche Gründe ausschlaggebend für eine Fusion, beispielsweise bei jener von Bernhauser und Scharnhauser Bank, der jüngste Fall in Landkreis. Hier war der plötzliche Tod eines Scharnhausener Vorstandsmitglieds Anlass. Es stand infrage, ob dauerhaft ein Nachfolger zu finden wäre für die kleine Bank.

Bessere Voraussetzungen für Banken im Kreis Esslingen

Dennoch haben aus Sicht der Chefs der Genossenschaftsbanken auch kleinere Häuser eine Zukunft. „Im Landkreis gibt es noch viele Lokalpatrioten. Und wir sind mitgliedergetrieben“, erklärt Volker Schmelzle von der Plochinger Volksbank, ebenfalls ein kleinerer Player. Über Fusionen entscheiden die Mitglieder. Und wie bereits 1863 bei Gründung der Handwerkerbank Nürtingen, die laut einer Zeitungsanzeige von einst „die Hebung des Arbeiterstandes durch Vermehrung seiner Betriebscapitalien“ zum Zweck hatte, betonen die Chefs der Genossenschaftsbanken heute, zum Selbstverständnis gehöre, auch Bevölkerungsschichten, die eher finanzschwach seien, zu unterstützen. „Bei uns ist die Gewinnmaximierung nicht das oberste Ziel“, so Schaaf. „Der Mehrwert für die Mitglieder ist unser oberstes Ziel. Eine rein ökonomische Betrachtungsweise würde da zu kurz greifen.“

Der Vorstand der Bezirksvereinigung der Volks- und Raiffeisenbanken im Kreis Esslingen: Volker Schmelzle, Markus Schaaf und Karlheinz Pitter (von links). Foto: Roberto Bulgrin

Kleinteiligere Strukturen aufrechtzuerhalten, dabei hilft unter anderem die wirtschaftliche Stärke der Region, sagt Markus Schaaf. Diese sei so erfolgreich, dass es noch fünf Volksbanken im Landkreis brauche. „In anderen Regionen gibt es bereits großflächigere, landkreisübergreifende Fusionen. Bei uns sind alle Kooperationen noch landkreisintern“, sagt Volker Schmelzle weiter. „Das darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass wir immer noch Mitbewerber sind.“

73 Prozent der Kunden der Bezirksvereinigung nutzen mittlerweile Onlinebanking. Von 2012 bis 2023 ist die Zahl der Filialen von 89 auf 64 gesunken. Weitere Schließungen sind den Angaben zufolge aktuell nicht geplant. „Was wollen die Leute? Sie wollen, dass das Onlinebanking technisch funktioniert, aber wenn es Probleme gibt auch eine persönliche Beratung“, sagt Pitter. Das Filialnetz und Beratungsstellen vor Ort aufrechtzuerhalten und digitale Dienstleistungen auszuweiten, koste nach Angaben der Bankchefs viel Geld. Zugleich ermögliche die Digitalisierung regionalen Banken, Kunden länger zu begleiten, auch wenn sie beispielsweise wegziehen. Gerade in Zeiten, die für die Menschen nicht einfach seien, machen die Volksbanken die Erfahrung, dass ihr Rat doppelt wichtig ist, sagt Schaaf. Sie gelten als Stabilitätsanker. Man wolle Verantwortung zeigen, nicht nur Billig-Zins-Angebote versprechen.

Konkurrenzkampf um junge Kunden

Besonders der Konkurrenzkampf um junge Leute stellt die Genossenschaftsbanken vor Herausforderungen. „Es gibt in der Altersstruktur unterschiedliche Bindungsempfindungen“, sagt Schmelzle fest. „Bei den älteren Kunden ist die Wechselhäufigkeit nicht so ausgeprägt.“ Bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen hätten die Volksbanken eine gute Marktdurchdringung. In den folgenden Altersgruppen ändere sich das etwa wegen Umzügen. „Wenn sie dann in späteren Jahren beispielsweise eine Immobilie kaufen wollen, besteht wieder Interesse an einer qualifizierten Beratung durch einen Menschen vor Ort“, so Schmelzle. „Dieses Feedback bekommen wir von Kunden: Bei wichtigen Entscheidungen hilft der Chatbot nicht.“

Doch bei der Digitalisierung ist das Ende der Fahnenstange lange nicht erreicht. „Ich glaube, dass wir in der Gruppe agieren und uns stark fokussieren müssen“, sagt Schaaf diesbezüglich. Langfristig können die Chefs der Volksbanken im Kreis Esslingen nicht ausschließen, dass weitere Filialen geschlossen werden oder weitere Banken fusionieren.

Idee und Geschichte der Genossenschaftsbanken

Die Idee
Nach Angaben von der Webseite der Volks- und Raiffeisenbanken wurde deren Grundstein vor mehr als 170 Jahren gelegt. In Kredit- und Darlehenskassenvereinen konnte sich der Mittelstand gegenseitig aus helfen. Genossenschaftsbanken haben nicht nur Kunden, sondern auch Mitglieder, die Anteile erwerben, an Entscheidungen und am Erfolg beteiligt sind.

Historie im Landkreis
Als erste Genossenschaftsbank wurde die Gewerbebank Esslingen 1862 gegründet, dann die Handwerkerbank Nürtingen 1863. Die Anzahl stieg kontinuierlich, bis ab den 1960ern kleine Häuser fusionierten. Heute gehören zur Bezirksvereinigung die Volksbank Mittlerer Neckar, die Volksbank Plochingen, die Bernhauser Bank, die Volksbank Filder und die Echterdinger Bank.

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