Die frommen christlichen Plochinger Schwestern Maria und Mina Lutz verkauften im hohen Alter ihren Bauernhof in Plochingen und zogen gemeinsam mit ihrem Knecht Josef Ott nach Jerusalem, um dort ihren Frieden zu finden.

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Plochingen/Jerusalem - War nicht alles so eingetroffen, wie Gott es vorausgesagt hatte in der Offenbarung des Johannes? Der Kampf zwischen Gut und Böse, das Reich, das tausend Jahre währen sollte, bevor Christus auf die Erde zurückkäme? Und war mittlerweile nicht auch ein neues Jerusalem entstanden, wie geweissagt war?

 

Warum sah denn niemand die deutlichen Zeichen außer der Bauernfamilie Lutz in Plochingen? Den Zweiten Weltkrieg, den Untergang des tausendjährigen Nazireichs, den Aufstieg der Stadt Jerusalem durch die jüdische Besiedlung. Jetzt musste doch die Endzeit kommen, und die Christen sollten sich in Jerusalem sammeln und auf ihren Erlöser warten! Doch nicht nur Gott geht viele Umwege, auch die Menschen tun es bisweilen, und die Straße, die Mina und Maria Lutz nach Israel geführt hat, war verschlungen.

Der Bauer Lutz beschäftigte viele Fremdarbeiter

Noch heute sind Geschichten um die Familie Lutz in der Stadt Plochingen präsent. Sie galten als die reichsten Bauern im Dorf und beschäftigten im Krieg viele Fremdarbeiter, Franzosen, wie erzählt wird. Die Nationalsozialisten im Dorf forderten dann aber, dass die Fremden separat vom Hof in der Burgstraße untergebracht werden sollten. „Nix da“, soll der alte Imanuel Lutz gesagt haben, „wer bei mir schafft, der isst auch bei mir am Tisch.“

Die Familie Lutz hatte fünf Kinder, zwei Söhne und drei Töchter, Karl und Imanuel junior, Mina, Maria und Lydia. Die Mutter Wilhelmine ist früh gestorben. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, wurde Karl zur Wehrmacht eingezogen und an der Ostfront schwer verwundet. 1943 lag er sterbend mit einem Durchschuss beider Beine in einem Warschauer Lazarett. Der Vater Imanuel und sein Sohn Imanuel junior machten sich auf die Reise, um Karl noch einmal zu sehen.

Die Familie Lutz hilft, in Israel Wälder zu pflanzen

Sie sahen aber nicht nur den Schwerverletzten. In Warschau erfuhr die Familie Lutz vom dem Schicksal, das die Nazis den Juden zugedacht hatten. Wenige Wochen, bevor Vater und Sohn dort eintrafen, war das Warschauer Ghetto vernichtet und die Bewohner waren umgebracht worden.

Die Familie zählte sich zu den Hahnschen Stundenleuten, einer fundamentalen freikirchlichen Vereinigung, die auf Johann Michael Hahn (1758 bis 1819) zurückgeht und Frömmigkeit sowie ein tiefes Verhältnis zu Gott predigt und die sich wenig um die weltliche Obrigkeit kümmert.

Doch die Familie beschloss, so weit es in ihrer Macht stand, die Schuld der Nazis wiedergutzumachen. Nach dem Krieg überwies sie den zehnten Teil ihres monatlichen Einkommens an die israelische Naturschutzorganisation Keren Keyemeth Leisrael. Viele Plochinger Bürger aus dem Umfeld der Hahnschen Gemeinschaft taten es ihnen nach. Berichten aus dem heimatgeschlichen Werk der „Plochinger Meilensteine“ von Harald Schmidt sowie der „Esslinger Zeitung“ ist zu entnehmen, dass sich das Haus Lutz zu einem Mittelpunkt der Wiedergutmachung mit dem Volk Israel in der ganzen Bundesrepublik wandelte. Von dem Geld aus Plochingen kaufte Keren Keyemeth Leisrael Bäume, mit denen in Israel Wälder aufgeforstet wurden.

Eine recht merkwürdige Wohngemeinschaft

Nachdem der Vater und der Bruder gestorben waren, bewirtschafteten die beiden in Plochingen übrig gebliebenen Schwestern Maria und Mina zusammen mit ihrem Knecht Josef Ott den Hof dort zunächst weiter. Die Feldarbeit wurde ihnen mit fortschreitendem Alter aber immer mehr zur Last, und sie träumten davon, nach Jerusalem zu gehen, um Gott näher zu sein. Anfang der siebziger Jahre, als die Schwestern schon selbst in den Siebzigern waren, verkauften sie das Anwesen, spendeten das meiste Geld Keren Keyemeth Lesrael und kauften sich vom Rest im Zentrum Jerusalems eine Wohnung in der Nähe des King David Hotels westlich der Altstadt. Es muss eine recht merkwürdige Wohngemeinschaft gewesen sein, die beiden alten Jungfern und ihr Knecht Josef, die da in Jerusalem zusammenlebten. Immerhin, Josef lernte Hebräisch und versorgte die betagten Damen, er ertrug mannhaft die Hitze und lebte sich ein.

Aus Angst vor Heimweh sind die drei nie mehr nach Plochingen zurückgekehrt, dafür unternahmen sie in Israel viele Reisen zu den biblischen Städten. Die Schwestern starben in den 80ern, der Knecht im Jahr 2004. Auch ihre Jerusalemer Wohnung vermachten die Schwestern dem Staat. Zum Dank dafür wurde ein Wald bei Gusch Etzion im Westjordanland nach ihnen benannt. „Sie waren glücklich, bis zu ihrem Tode die Luft der Stadt einatmen zu können“, schrieb der israelische Journalist Reuben Assor.

Die Wälder sind heute umstritten

Vor fünf Jahren besuchte eine Reporterin des „Hadassah Magazine“ den Friedhof. Unter der Überschrift: „Giganten in einer ruhigen Ecke“ schrieb sie: „Hier liegen die Schwestern Maria Lutz (1902–1988) und Mina Lutz (1904–1986), deren fromme Erziehung sie trotz ihres fortgeschrittenen Alters nach Israel brachte. Als Kinder hatten sie ihrem Vater gelauscht, wenn er aus der Bibel las und ihnen die Liebe zum Land Israel einflößte.“

Auch wenn die Wälder, die Keren Keyemeth Leisrael in Israel gepflanzt hat, heute umstritten sind, weil sie zum Teil auf ehemaligem palästinensischem Siedlungsgebiet liegen, die Geschwister Lutz, die zeit ihres Lebens Gott gesucht haben, fanden ihren Frieden in Israel.

Dieser Text ist ein Teil einer großen Serie über Auswanderer aus der Region Stuttgart.