Weil Noch-Dortmunder Mario Götze im Champions League-Finale gegen den FC Bayern fehlt, rückt der 22-jährige Gündogan in den Mittelpunkt.

Dortmund - An jedem unscheinbaren Straßenübergang in London erhält der unachtsame Tourist einen Hinweis: „Look right, look left“ ist fast allerorten auf den Asphalt gepinselt, um auf die Besonderheiten des Linksverkehrs aufmerksam zu machen. Vor allem die „black cabs“, die berühmten schwarzen Taxis, fegen furchtlos um die Ecken, da kann solch eine Warnung nicht verkehrt sein.

 

Was dem Fußgänger in Kensington oder Westminster nur recht sein kann, hat der Fußballer in Wembley nicht zu erwarten. Denn am Samstag auf dem unantastbaren Rasen geht vermutlich alles noch ein bisschen schneller zu als auf einer unübersichtlichen Kreuzung. Vielleicht ganz gut, dass die mit der Außenseiterrolle bedachte Borussia aus Dortmund einen Spielertyp mitführt, der sich ohne fremde Hilfe überall sofort orientieren kann. Wenn es um Über- und Weitsicht, Ballbehauptung und -behandlung auf engstem Raum geht, bringt Ilkay Gündogan die vielleicht größte Veranlagung ins deutsche Finale ein – vor allem, nachdem gestern Mario Götze, der andere Jungstar, wegen seiner Oberschenkelverletzung für das Finale absagen musste.

Vergleiche mit der Stilikone Xavi

Der in Gelsenkirchen geborene Straßenfußballer Ilkay Gündogan ahnt bereits voraus, wenn andere die Situation noch abwägen. Eine Eigenschaft, die ihm Vergleiche mit der spanischen Stilikone Xavi einbringen, dem heimlichen Herrscher über Raum und Zeit des modernen Fußballs. Auch deshalb soll der deutsche Nationalspieler auf der Wunschliste des FC Barcelona stehen. Als Xavi 2.0 sozusagen.

Aber der 22-Jährige hat eher im Kopf, die spanische Vormacht auf internationaler Bühne zu brechen. Auch unter dieser Überschrift hat er das historische Endspiel gegen die Bayern angelegt. „Wir können die Spanier angreifen, weil viele Spieler bei uns eine gute Entwicklung genommen haben.“ Die allerbeste er selbst, der nach seinem Wechsel aus Nürnberg nach Dortmund 2011 doch erst einmal arg fremdelte.

Rückblickend spricht der Techniker von einer „riesigen Umstellung“, die er im Training bemerkt habe, und von der Bürde, den damals gerade zu Real Madrid gewechselten Mittelfeldlenker Nuri Sahin zu ersetzen. Das alles sei damals „ein bisschen zu viel“ gewesen. Mittlerweile genießt kein BVB-Mittelfeldspieler eine solche Wertschätzung beim Trainer Jürgen Klopp wie seine Nummer acht, der die Konkurrenten Sebastian Kehl, Sven Bender und Sahin abgehängt hat. Seinen polyvalenten Umschaltspieler, wie das im Trainerneudeutsch heißt, also diesen sehr variabel einsetzbaren Spielertyp, will der Trainer in wichtigen Spielen nicht mehr missen. Ilkay Gündogan gibt die wichtigste Drehscheibe bei der schwarz-gelben Ballzirkulation.

Vermutlich spielt Gündogan gegen München eine offensivere Rolle als sonst. Weil Götze nicht rechtzeitig fit wird („Es tut mir unglaublich leid, der Mannschaft in dieser wichtigen Partie nicht helfen zu können“), könnte Gündogan dessen Position übernehmen. Die Rolle, die er zuletzt bereits in der Bundesliga probte, liegt ihm aber auch. „So schwierig ist die Umstellung nicht. In der Jugend habe ich oft auf der Zehn gespielt. Ich weiß, was da zu tun ist.“

Gereifter Stratege

Nämlich noch flotter und präziser den Ball in die Schnittstellen der gegnerischen Abwehr zu passen. Der Stratege wirkt in vielerlei Hinsicht gereift. Von seinem Selbstbewusstsein zeugte auch seine Anmerkung beim Medientag vergangene Woche: Er glaubt, dass „das gesamte Ruhrgebiet uns die Daumen drückt“. Er habe Freunde, die in Gelsenkirchen leben, „die jetzt für uns sind“. Und auf seine Familie seien sogar Schalke-Fans zugekommen.

Seine aus der Türkei stammenden Eltern haben für den London-Trip übrigens einen Spezialauftrag erhalten: Sie nehmen seinen Lehrmeister und Entdecker Michael Oenning mit – auf Einladung des Spielers. „Es war der Trainer, der größten Anteil daran hat, dass ich Profi wurde. Seine Meinung ist mir sehr wichtig“, sagt der Spieler. Und der Trainer sagt, Gündogan sei deshalb so gut, weil er einen Fehler nie zweimal machen würde. Da schmunzelt der Belobigte dann doch: „Ich würde lieber sagen, dass ich aus Fehlern lerne.“

Die enge Verbindung zwischen Oenning und Gündogan besteht seit Längerem: Der in Hamburg lebende Fußballlehrer, der den Instinktfußballer einst aus Bochum nach Nürnberg und später beinahe zum HSV gelotst hätte, war bereits bei den K.-o.-Spielen in Malaga oder in Madrid vor Ort. Und er hat nach dem überstandenen Halbfinale im Estadio Bernabeu gesehen, wie ein mit seiner Digitalkamera hantierender Gündogan vor den Borussen-Fans tanzte und ein T-Shirt trug, auf dem stand: „Wembley calling“.