Stuttgart - Frankfurt und gute Stimmung, das ist eigentlich eins. Spätestens seit den Festspielen in der vergangenen Europa-League-Saison, als die Eintracht-Fans mit atemberaubenden Choreografien und fantastischer Unterstützung Maßstäbe setzten, schaut halb Fußballeuropa neidisch an den Frankfurter Stadtwald. Dorthin also, wo Gänsehaut garantiert ist.
An diesem Dienstag bekommt man womöglich wieder eine Gänsehaut in Frankfurts Fußballtempel. Allerdings wohl nur wegen der Temperaturen um den Gefrierpunkt. Das EM-Qualifikationsspiel der DFB-Elf gegen Nordirland steigt (20.45 Uhr/RTL) – und die Kälte wird wohl ganz gut passen zur üblichen Eiszeitatmosphäre bei den Heimspielen der DFB-Elf.
Dort also, wo in der Regel eine Stimmung herrscht wie auf der Zugspitze nachts um halb drei.
Es passt ins Bild, dass die organisierten Frankfurter Fans nun einen weiten Bogen um ihre Arena machen werden, wenn Joachim Löws Jungs der Kugel hinterherjagen. Die aktive Fanszene hat „keinen Bock“ mehr auf die Nationalmannschaft – das sagt Ina Kobuschinski, die Vorsitzende des Eintracht Frankfurt Fanclubverbands e. V. Der DFB, so Kobuschinski weiter, habe sich so weit von der Fanszene entfernt, „das ist unglaublich“.
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Die Frankfurter Fanvertreterin fasste mit einem Satz zusammen, wo spätestens seit dem dem WM-Desaster von Russland 2018 das Problem liegt. Die Entfremdung der DFB-Elf zur Basis ist weiter in vollem Gange. Nach der PR-Blamage des Sommers 2018, als „Die Mannschaft“ den WM-Titel verteidigen wollte und als aufgeblasenes, abgehobenes und für die Basis unzugängliches Raumschiff krachend abstürzte, gelobten die Marketingstrategen des DFB um den Direktor Oliver Bierhoff ja zunächst Besserung.
Mönchengladbach als Sinnbild
Die Maßnahmen – ein paar Besuche einiger Nationalspieler in Schulen und Vereinen sowie ein paar öffentliche Trainingseinheiten rund um einige Länderspiele – verpufften aber schnell in der öffentlichen Wahrnehmung. Weil weiter Grundsätzliches schiefläuft.
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Als Sinnbild dafür taugt das vergangene Länderspielwochenende, als es in der EM-Qualifikation gegen Weißrussland ging – in Mönchengladbach. Die DFB-Elf wohnte sechs Tage lang in Düsseldorf. Wie viele öffentliche Trainingseinheiten es gab? Keine. Wie oft in Mönchengladbach trainiert oder zumindest eine Pressekonferenz abgehalten wurde, um zu signalisieren: Hey, wir sind da, kommt doch vorbei am Samstag? Genau: nicht einmal. Mobilisiert man so das Publikum, wenn man lieber eine halbe Autostunde entfernt in Düsseldorf residiert? Wohl kaum.
Am Samstag herrschte beim Spiel wieder eine bedrückende Stille im Stadion – und wenn die eigens vom offiziellen „Fanclub Nationalmannschaft“ (powered by Coca-Cola!) mit Stimmungsauftrag und Freikarten eingekaufte Fastnachts-Marschkapelle aus Stockach am Bodensee hinterm Tor nicht aufgespielt hätte, dann hätte man nur die knapp 100 mitgereisten weißrussischen Fans gehört.
PR-Phrase ohne Leben
Warum das alles so läuft mit der Atmosphäre rund um die DFB-Elf? Da sind zum einen die Fakten: Das neue EM-Trikot kostet mit Namen und Nummer hinten drauf fast 150 Euro. Ein Ticket auf der Haupttribüne kostete in Mönchengladbach gegen Weißrussland bis zu 80 Euro. So viel dazu.
Auch bei den nackten Zahlen haben die Verantwortlichen also wenig kapiert nach der WM 2018, nach der „Die Mannschaft“ übrigens weiter „Die Mannschaft“ hieß – und sich damit nicht weiter annäherte an die Basis. Weil nicht nur der Marketingname gleich blieb, sondern auch das Gefühl um die DFB-Elf herum. „Die Mannschaft“ ist nicht mehr als eine PR-Phrase. Luftleer. Ohne Inhalt und Leben. Wofür die deutsche Auswahl in Zukunft stehen und für welche gesellschaftlichen Werte sie kämpfen will, darüber gibt es keine Debatten. Nicht mal im Ansatz.
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Der DFB-Direktor Oliver Bierhoff sagte in diesen Tagen dies dazu: Man hätte in Sachen Vermarktung zuletzt „ein bisschen überdreht“. Aber: „Wir haben 90 Prozent Auslastung und sind mit dem Zuschauerschnitt zufrieden.“ Na denn.
Klar aber ist bei allen Fehlern der DFB-Strategen auch, dass es Dinge gibt, für die sie nicht alleine etwas können. Die Übersättigung etwa mit aufgeblähten Turnieren und Spielplänen haben die internationalen Verbände zu verantworten, ebenso – zumindest teilweise – die späten, fan-unfreundlichen Anstoßzeiten. Die miserabel aufgearbeitete Affäre um Mesut Özil (Erdogan-Gate) im vergangenen Sommer sowie die katastrophale Außenwirkung der DFB-Spitze um den zurückgetretenen Reinhard Grindel dagegen waren hausgemacht – und hallen noch immer nach.
Sieben Monate vor Beginn der EM lässt sich also eines sagen: Die Beziehung der Basis zum DFB und dem Flaggschiff Nationalelf ist weiter in der Krise.