In der vergangenen Saison war Werder noch Abstiegskandidat. Jetzt träumt man an der Weser von einem internationalen Auftritt. Wie der schnelle Wandel gelungen ist.

Bremen - Der SC Vier- und Marschlande ist bis heute kein Verein von Welt. Eher einer vom Dorf. Oder wie der Name schon sagt: vom Lande. Entstanden vor fast 20 Jahren aus der Fusion des TSV Kirchwerder und SV Ochsenwerder-Moorfleet. Auf dem Sportplatz Fünfhausen haben früher zwei Jungs gekickt, die aus ihrer Herkunft nie einen Hehl machen: Martin Harnik und Max Kruse. Der eine inzwischen 31, der andere 30. Gemeinsame Jugendjahre verbrachten beide im Südosten von Hamburg, ehe der eine im Winter 2005/06 zum SV Werder wechselte, der andere folgte im Sommer 2006.

 

Sie sind dicke Kumpels seitdem, und dass die beiden nach wechselvollen Jahren in halb Deutschland nun wieder unter dem grün-weißen Dach vereint sind, hat dem Bremer Binnenklima nicht geschadet. Im Gegenteil: Wann hat das Weserstadion so gute Laune gesehen wie bei der Tanzeinlage der Nummer neun und zehn beim 3:1-Heimsieg gegen Hertha BSC? „Wir sind zwei Jungs vom Dorf. Das haben wir uns vor der Saison einfallen lassen“, erzählte Harnik, während Kruse ergänzte: „Das hatte bei uns früher in der Zeltdisco auf jeden Fall Tradition.“

Wie gelang der Wandel zum Europapokalanwärter?

Fehlte nur noch die Festzeltmusik zur Untermalung. Stammbesucher fühlten sich an die seligen Zeiten erinnert, die weniger Harnik und Kruse, sondern Typen wie Ailton, Micoud oder Pizarro, Frings, Özil oder Wiese prägten. Eine dominante Spielweise, eine spielstarke Mannschaft, vorzugsweise im 4-4-2 mit Raute angeordnet, die Ball und Gegner laufen lässt. Was ist bloß passiert, dass an der Weser binnen nicht einmal eines Jahres die Metamorphose vom Abstiegskandidaten zum Europapokalanwärter gelingt? Selbst die so vorsichtigen Bosse, Vorstandschef Klaus Filbry und Aufsichtsratschef Marco Bode, haben vor Saisonbeginn angesichts der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen die fast schon kühne Vision formuliert, sich mal wieder fürs internationale Geschäft zu qualifizieren.

Viele hielten das für zu gewagt, und die ersten holprigen Heimspiele gegen Hannover 96 und 1. FC Nürnberg (je 1:1) nährten berechtigen Zweifel, dass eine Weiterentwicklung nicht auf Knopfdruck gelingen kann. Doch wer von sechs Pflichtspielen vier gewinnt und das Gastspiel beim VfB Stuttgart als Dritter angeht, der wird nicht allein von Zufall, Spielglück oder der Begeisterung getragen. Werder hat fraglos an Qualität gewonnen. Das Stuttgart-Spiel gilt fast schon als Lackmustest, ob die Bremer ihr Hochgefühl bis weit in den Herbst tragen. Nur mit dem Begriff Bayern-Jäger soll ihnen niemand kommen. Das sei Quatsch, so Geschäftsführer Frank Baumann.

Kohfeldt und Baumann: Baumeister der Auferstehung

Die beiden sind die Baumeister der Auferstehung. Was früher Thomas Schaaf und Klaus Allofs gaben, bilden nun Florian Kohfeldt und Baumann: Ein fast geräuschlos funktionierendes Gespann, das die richtigen Weichen gestellt hat. Die Kaderzusammenstellung korrespondiert mit der Grundausrichtung. Die orientiert sich auch unter Kohfeldt vorrangig nach vorn. „Wir wollen den Ball haben, wir wollen kontrollieren und möglichst dominieren“, sagt der 35-Jährige. Der bodenständige Jahrgangsbeste unter den 2015 beurkundeten Fußballlehrern beweist erstaunliche Abgeklärtheit, aber auch eine taktische Flexibilität, die Vorvorgänger Schaaf beispielsweise nicht hatte. Von Viererkette auf Dreierkette, das funktioniert unter seiner Anleitung. Aber eben auch, weil ihm Baumann den vielleicht besten Kader der jüngeren Vergangenheit gebastelt hat.

Dem Aufgebot im Sommer durch Harnik, Yuya Osako, Altmeister Claudio Pizarro und zuletzt Nuri Sahin noch mal viel Bundesliga-Erfahrung zuzuführen erweist sich ebenso als richtig, wie mit Rekordtransfer Davy Klaassen ins Risiko zu gehen. Die 14 Millionen Euro für den einstigen Kapitän von Ajax Amsterdam scheinen gut angelegtes Kapital, denn der Mittelfeldkämpfer war am Dienstag bester Mann auf dem Platz. Andere tanzten nur besser.