Mehr Kohletransporte durch Energiekrise Verbände befürchten Chaos im Bahnverkehr
Wegen der drohenden Energiekrise sollen versorgungsrelevante Transporte auf der Schiene Vorfahrt bekommen. Umwelt- und Fahrgastverbände befürchten Chaos im Zugverkehr.
Wegen der drohenden Energiekrise sollen versorgungsrelevante Transporte auf der Schiene Vorfahrt bekommen. Umwelt- und Fahrgastverbände befürchten Chaos im Zugverkehr.
Die Deutsche Bahn AG bereitet sich auf mehr Kohletransporte im Herbst vor und begrüßt die angekündigte Rechtsverordnung, mit der versorgungsrelevante Transporte auf der Schiene Vorfahrt bekommen sollen. Das sei „eine sinnvolle Vorsorgemaßnahme der Bundesregierung“, sagte ein Sprecher von DB Cargo unserer Redaktion. Europas größte Güterbahn gehört zum bundeseigenen DB-Konzern und ist nach eigenen Angaben bedeutendster Lieferant für Steinkohle auf der Schiene.
Derzeit rollen demnach wöchentlich rund 50 Züge mit jeweils knapp 3000 Tonnen Steinkohle zu verschiedenen Großkraftwerken. „Deren Versorgung läuft momentan ohne jegliche Probleme, die Lager können planmäßig gefüllt werden“, betonte der Sprecher. Der künftige zusätzliche Bedarf sei noch nicht festgelegt, Erkenntnisse erwarte man aus den laufenden Abstimmungen und Überprüfungen der Branche mit Politik und Energiewirtschaft.
Um die massive Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen zu verringern, setzt die Bundesregierung wieder mehr auf fossile Energieträger, die wegen der Klimabelastung eigentlich Auslaufmodelle sein sollten. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) haben eine sechs Monate befristete Verordnung entworfen, die Zügen Vorfahrt sichern soll, die Kohle, Mineralöl oder Gas transportieren.
DB-Chef Richard Lutz hatte bereits Ende Juli bei der Vorlage der Halbjahresbilanz angekündigt, dass man sich wegen bevorzugter Kohle- und Öltransporte zur Sicherung der Energieversorgung in Gesprächen mit der Bundesregierung befinde. Zu klären sei unter anderem, welche Kapazitäten bei Waggons benötigt werden, nachdem die Transporte lange Zeit rückläufig waren, weil die Kohleverstromung auslaufen sollte. Im Verkehrsministerium heißt es inzwischen, dass auch ältere und lautere Waggons eingesetzt werden können.
Die Pläne stoßen nicht überall auf Begeisterung. Vor einer „Hauruck-Aktion“ warnt Peter Westenberger von Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE), das zahlreiche Güterbahnen vertritt, die dem DB-Konzern Konkurrenz machen und deren Züge künftig Vorfahrt gewähren müssten. Chaos auf der Schiene gebe es schon genug, betont das NEE und befürchtet, dass künftig noch mehr Pendler ihren Anschluss, ICE-Reisende ihre Flieger und Autotransporter den Exportfrachter in Bremerhaven oder Emden verpassen.
Für Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, offenbart die jetzige Debatte einmal mehr die Versäumnisse der Verkehrspolitik in den vergangenen Jahren: „Das Schienennetz platzt schon jetzt aus allen Nähten, seit Jahren hinkt Deutschland beim Ausbau hinterher.“ Tatsächlich ist das Netz seit Mitte der neunziger Jahre sogar um 15 Prozent geschrumpft und das bei gleichzeitig immer mehr Verkehr auf der Schiene. „Was wir jetzt brauchen“, so Flege, „sind keine Vorfahrtsdebatten, sondern endlich mehr Tempo des Bundes beim Ausbau der Schiene.“
Bastian Kettner vom VCD Verkehrsclub Deutschland befürchtet, dass die Verspätungen im Bahnverkehr weiter zunehmen werden. Allerdings sei die Lage schon jetzt alarmierend schlecht und das Schienennetz völlig überlastet, weil man nötige Investitionen über Jahre vernachlässigt habe. Im Juni und Juli seien nicht einmal zwei Drittel aller Fernzüge pünktlich gewesen. Umso unverständlicher sei, dass der Haushaltsplan der Ampelkoalition für 2023 sogar 600 Millionen Euro weniger Investitionen in den Bau und Erhalt der Schieneninfrastruktur vorsehe.
„Das jetzige Drama wird sich weiter verschärfen“, erwartet Karl-Peter Naumann von Pro Bahn. Wegen der Sparpolitik über Jahrzehnte fehlten nun die benötigten Kapazitäten und Ausweichstrecken. Was dazu führe, dass Personenzüge ausgebremst werden, wenn sie schweren Kohle- oder Öltransporten hinterherfahren müssen, die höchstens Tempo 80 oder 100 schaffen. Dann seien noch mehr Verspätungen programmiert, und „die Anschlüsse sind futsch“.