Vorfall in Gemmrigheim Zerstört eine EnBW-Bohrung den Weinberg?
Die EnBW will in Walheim Klärschlamm verbrennen und bohrt dafür in der Tiefe. Jetzt sind in der Nähe in Gemmrigheim Mauern eines Weinbergs eingefallen.
Die EnBW will in Walheim Klärschlamm verbrennen und bohrt dafür in der Tiefe. Jetzt sind in der Nähe in Gemmrigheim Mauern eines Weinbergs eingefallen.
Tobias Beckbissinger macht sich Sorgen. Der Winzer aus Gemmrigheim weiß nicht, wer einen Hangrutsch an seinen Steillagen am Neckar verursacht hat und wer für den Schaden aufkommt. „Eine drei Meter hohe Mauer über der Straße ist komplett eingebrochen – und es gibt weitere Abbrüche an sieben Mauerstellen“, sagt der 35-Jährige, der bei der Felsengartenkellerei Besigheim im Aufsichtsrat sitzt. Als Verursacher in Verdacht steht die Energie Baden-Württemberg (EnBW). Sie hat Bohrungen für eine Klärschlammverbrennungsanlage auf ihrem Gelände im benachbarten Walheim auf der anderen Flussseite in Auftrag gegeben.
Die EnBW lässt in 26 Meter Tiefe bohren und will damit den Untergrund für das Fundament für ihre Klärschlammverbrennungsanlage prüfen. Dazu werden Pfähle mit einem Durchmesser von bis zu 1,20 Meter in den Boden gedreht. Das gesamte Projekt ist umstritten. Nicht nur die Gemeinde Walheim, auch alle anderen umliegenden Kommunen sind gegen eine Verbrennung auf dem alten Kraftwerksgelände. Die Gegner befürchten bis zu 120 Lastwagenfahrten täglich und schädliche Abgase. Die Initiative „Bürger im Neckartal“ sammelte bis jetzt rund 3500 Unterschriften gegen die Anlage. Das Regierungspräsidium Stuttgart hat als Genehmigungsbehörde das letzte Wort.
Ob die EnBW den Hangrutsch verursacht hat, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Tobias Beckbissinger räumt ein, dass es in den vergangenen Tagen stark geregnet habe und es auch am aufgeweichten Untergrund liegen könne. „Dass es mehrere Mauern verstreut an den sieben Stellen auf 30 Metern sind, wirkt merkwürdig“, sagt der Winzer und fordert einen Bohrstopp, solange die Ursache für den Vorfall ungeklärt ist.
Rückendeckung erhält Beckbissinger von der Initiative „Bürger im Neckartal“. Deren Sprecher Rudi Ringwald informierte am Montag die Öffentlichkeit auch darüber, dass die Straße samt Rad- und Wirtschaftsweg von Gemmrigheim nach Besigheim seit Freitag gesperrt ist und der Busverkehr umgeleitet werde. „Man hat die Bohrvibrationen deutlich gehört – besonders heftig am Tag vor den Mauerstürzen“, sagt Rudi Ringwald.
Er wisse von durchgehenden Kalksteinschichten und halte es für wahrscheinlich, dass sich die Bohrvibrationen unter dem Neckar hindurch auf die Gemmrigheimer Seite ausgewirkt haben. Ringwald fordert deshalb ebenfalls einen vorläufigen Bohrstopp, um mit einem geologischen Gutachten die Ursachen des Mauersturzes festzustellen und insbesondere weitere Schäden an den terrassierten Weinbergsteillagen zu verhindern. Nur ein geologisches Gutachten könne klären, ob die Tiefbohrungen auf dem Kraftwerksgelände ursächlich seien. „Die Weinbergmauern sind denkmalgeschützt – es muss sichergestellt sein, dass in Zukunft keine weiteren Mauern beschädigt werden.“
Einen vorläufigen Bohrstopp halten auch die Walheimer Bürgermeisterin Tatjana Scheerle und ihr Gemmrigheimer Kollege Jörg Frauhammer für angebracht. Der Bürgermeister habe am Freitag von einem Geologen erfahren, dass wohl der Niederschlag mit mehr als 100 Liter pro Quadratmeter der Grund gewesen sein könnte. Allerdings habe er auch gehört, dass das Bohren im Weinberg deutlich spürbar gewesen seien. „Ich halte es für plausibel, dass ein Geologe sich das noch mal näher anschaut.“ Kommunen müssten vor Straßenbauprojekten auch Beweise sichern, bevor Schäden aufträten.
Die EnBW zeigt sich verwundert. „Die in Frage kommenden Hänge liegen mehrere hundert Meter von der Baustelle auf dem EnBW-Gelände entfernt; dazwischen liegen zudem der Neckar und die Besigheimer Straße“, teilt ein Sprecher mit. Nach erster Einschätzung eines geologischen Gutachters und auf Grundlage der vorliegenden Informationen sei ein Zusammenhang zwischen Rutschung und Bohrungen „sehr unwahrscheinlich“. Die Bohrungen seien überdies bereits am Mittwoch vor der Nacht auf den 15. Dezember abgeschlossen worden.
Die Arbeiten sind auch nach dem Dafürhalten des Regierungspräsidiums Stuttgart als Ursache für die Beschädigungen „sehr unwahrscheinlich“. Die Weinberge lägen 300 Meter entfernt. Das Bohrverfahren der EnBW eigne sich sogar für innerstädtische Projekte. Zudem habe die EnBW ein Gutachten vorlegen müssen, um Anlagen auf dem Areal vor Erschütterungsschäden zu verhindern. Schon im Abstand von 40 Metern würden zulässige Werte deutlich unterschritten.
Das Landratsamt Ludwigsburg hat die Straße und den Radweg zwischen Gemmrigheim und Besigheim gesperrt, um den Verkehr auf der Kreisstraße zu sichern. Ein Ingenieurbüro für Geotechnik sei beauftragt worden, teilte der Behördensprecher Andreas Fritz mit. „Das Büro empfiehlt, die Straße zunächst gesperrt zu lassen.“ Das Landratsamt werde das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau um Amtshilfe bitten. Die Sperrung dauere an, „bis wir sicher sind, dass keine Gefahr mehr vom Hang droht oder wir entsprechende Sicherungsmaßnahmen am Radweg und der Straße installiert haben“.
Schadenshöhe
Tobias Beckbissinger konnte die Schadenshöhe am Montag noch nicht beziffern. Das hänge auch von Verkehrssicherungsmaßnahmen ab. „Man kann es mit dem Weinanbau nicht reinholen“, sagt er und hofft darauf, dass er unterstützt werde, sollte sich herausstellen, dass niemand den Schaden verursacht habe.
Förderung
Das Landratsamt Ludwigsburg fördert seit 2018 bei Schäden nach Naturereignissen mit bis zu 50 Prozent, jedoch im Einzelfall nicht mit mehr als 10 000 Euro. Förderfähig sind Sofortmaßnahmen gegen weitere Hangrutschungen.