Im Weltfußball ist eine Zeitenwende eingeläutet. Viele große Stars verabschieden sich langsam. Andres Iniesta etwa, dieser virtuose Passkünstler, aber auch für viele andere ist Schluss.

Sport: Marco Seliger (sem)

Moskau - Viel reden wollte der kleine Mann mit den schmalen Schultern hinterher nicht, wie immer eigentlich. Große Worte sind nicht sein Stil, sie waren es noch nie. Der schüchterne Mann mit der sanften Stimme huschte nach dem Duschen im Bauch der Moskauer Luschniki-Arena zum Mannschaftsbus. Er hatte auf dem Platz gesprochen. Ein letztes Mal. Es war ein trauriges Schlusswort.

 

Der letzte Ballkontakt des Andres Iniesta im spanischen Nationaltrikot war zwar ein erfolgreicher: Er verwandelte einen Elfmeter, im Elfmeterschießen. Es war aber war der allererste – einige Minuten später war das spanische Team ausgeschieden im WM-Achtelfinale gegen Gastgeber Russland. Und auch Iniesta schied aus. Für immer – aus der Nationalelf. „Ein wundervoller Zauber ist verflogen, manchmal ist das Ende nicht so, wie man es sich erträumt hat“, sagte Iniesta also, als es am Sonntag schon dunkel wurde in Moskau.

Mehr sagte er nicht.

Er hat sich Zeit seiner Karriere ja auch genug auf dem Rasen ausgedrückt: mit dem Ball, der seiner war. So einen wie Iniesta gibt es nur einmal. Und so einen wird es wohl nicht mehr geben. Iniesta ist der Maßstab im Weltfußball. Die Obergrenze, an die im Mittelfeld keiner rankommt. Seine Bewegungen: virtuos. Die Pässe: brillant. Das Auge: vorausschauend. Das war sein Spiel.

Iniesta stand auch für Tiki-Taka

Die Zaubereinlagen mit Xavi beim FC Barcelona und in der spanischen Nationalelf, sie sind legendär. Das berühmte Tiki-Taka in Reinform. Kurzpässe und Traumpässe, kleine Drehungen und große Wendungen. Fußball in nie da gewesener Perfektion.

Spanien gewann Spiele, weil der Gegner irgendwann einfach nicht mehr an den Ball kam. Die Kugel kreiselte und kreiselte – und meistens war es Iniesta, der mit einem Pass die Abwehr durchbrach. Wie ein scharfes Messer die Butter. Iniesta prägte den Sport ein Jahrzehnt lang. Europameister 2008, Weltmeister 2010, Europameister 2012. Jetzt ist Schluss bei „La Roja“.

Iniesta wird seine Karriere in Japan ausklingen lassen, bei Vissel Kobe, dem Club von Lukas Podolski. Eine Ära im Nationaltrikot ist zu Ende. Es ist nicht die einzige.

Der Rücktritt von Iniesta steht sinnbildlich für all die anderen alten Helden, die entweder ebenfalls schon ihre Karriere im Nationaltrikot beendet haben - oder die es vielleicht nach dem Aus beim jetzigen Turnier in Russland bald tun. Oder es womöglich schlicht nicht mehr zu einer EM oder einer WM schaffen werden.

Die Aufstellung jener Jungs, die ihren Sport teils über Jahrzehnt maßgeblich geprägt haben, die in ihren Heimatländern teils Volkshelden sind und die nun, ob früher oder später, vor ihrem Abschied von der großen Bühne stehen, ist nicht weniger als eine famose Weltauswahl des Fußballs: Lionel Messi, Cristiano Ronaldo, Sergio Ramos, Gerard Piqué, Javier Mascherano, dazu Gianluigi Buffon und Arjen Robben, die dieses Jahr erst gar nicht dabei waren bei der WM – sie alle gehen so langsam aber sicher von der großen Bühne des Weltfußballs.

Was machen Messi und Ronaldo?

Manch einen dieser alten Helden von 2006, von 2008, 2010, 2012 und von 2014 wird man nun nicht mehr bei einer WM oder EM sehen.

Die Zeitenwende ist eingeläutet – was nichts an der Größe eines jeden Einzelnen ändern wird. Der große Gigi Buffon, dieses lebende Monument eines Torhüters, mit einem Charisma, das von San Francisco bis Sydney reicht, wie gerne hätte der italienische Weltmeister von 2006 noch diese WM gespielt. Sie blieb ihm verwehrt. Ebenso wie Arjen Robben, dem niederländischen Tempodribbler mit dem famosen linken Fuß, der es wie ein Turner an einem Gerät geschafft hat, sein eigenes Element auf dem Fußballplatz zu hinterlassen. Das Robben-Tor – Tempodribbling von rechts nach innen, Abschluss mit links ins lange Eck – war stilprägend. Robben trat schon nach der verpassten Qualifikation für die WM aus der Elftal zurück.

Andere waren nun dabei beim Turnier in Russland– und sie haben trotz des recht frühen Ausscheidens nochmal alles gezeigt, was sie im Grunde schon immer bei großen Turnieren abgeliefert haben. Lionel Messi gab den Messi und durchbrach die Abwehrreihen mit seinen famosen Dribblings. Nicht dauerhaft zwar, aber die Genialität war immer mal wieder zu sehen. Cristiano Ronaldo gab den Ronaldo, mit all seinen Facetten. Mehr braucht über ihn nicht mehr zu sagen, über diese ebenso streitbare wie famose Legende des Weltfußballs.

Kommen die beiden Superstars nochmal wieder?

Noch ranken sich die Rücktritts-Spekulationen um sie – bei Javier Mascherano, Messis argentinischem Kollegen, sind die Dinge geklärt. Der Defensivmann gab nach dem Achtelfinal-Aus gegen Frankreich seinen Abschied aus dem Nationalteam bekannt. Er sei jetzt nur noch Fan des argentinischen Elf, sagte Mascherano. Von ihm selbst wird der Anhang immer Fan bleiben. Aufgrund seiner Zweikampfstärke, seiner Hingabe, seinem Auge für den vorletzen oder drittletzten Pass, seinem Taktgefühl – all das wird bleiben.

Ob Sergio Ramos und Gerard Piqué bleiben werden im Team der Spanier , diese beiden Defensivkünstler also, das alte und jetzt schon legendäre Schlachtross Ramos von Real Madrid und der virtuose Abwehrmann des FC Barcelona, gerne mal Piquenbauer ob seiner kaiserlichen Eleganz auf dem Platz genannt? Man wird es sehen.

Sicher ist, dass ihre Momente bleiben werden. Wie jene von Ronaldo. Von Messi. Von Buffon. Von Robben. Von Mascherano. Und von Andres Iniesta.