Großbritannien stationiert nach 15 Jahren wieder US-Atomwaffen. Bei den Briten wächst die Angst, in einen dritten Weltkrieg verwickelt zu werden.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

Nicht genug, dass immer mehr Politiker und Militärs in Großbritannien vor einer rasch wachsenden Kriegsgefahr warnen: Zusätzliche Nervosität hat jetzt die Nachricht ausgelöst, dass erstmals seit 15 Jahren wieder US-Atomwaffen gelagert werden sollen auf englischem Territorium. Es soll sich um B61-12-Präzisionsbomben mit der mindestens dreifachen Sprengkraft der Hiroshima-Bombe handeln. Die Berichte, die Londons „Daily Telegraph“ aus dem Pentagon erhalten haben will, kommentiert die britische Regierung erwartungsgemäß nicht. In Militärkreisen auf der Insel zweifelt aber niemand an der Information.

 

Kate Hudson, die Generalsekretärin der Anti-Atomwaffen-Organisation Campaign for Nuclear Disarmament (CND), klagt, man kehre zu einer Situation zurück, „in der wir alle hier erneut in die Frontlinie eines Atomkriegs rücken“. Mittlerweile sind Demonstrationen geplant gegen die Stationierung und das eigene Arsenal – vier mit Atomraketen bestückte U-Boote. Die legendäre „Doomsday Clock“, die von Atomwissenschaftlern regelmäßig neu gestellte „Weltuntergangsuhr“, zeige gegenwärtig 90 Sekunden vor Mitternacht an, mahnt CND.

Die „Weltuntergangsuhr“ steht kurz vor Mitternacht

Auf die „Doomsday Clock“ verweist auch Oberst Hamish de Bretton-Gordon, ein früherer britischer Kommandeur der ABC-Spezialeinheiten der Nato. Allerdings zieht er andere Schlüsse aus dieser Endzeit-Warnung. Die „Peaceniks“, zu denen er Friedensverbände wie CND und „die ganze Ultralinke“ zählt, müssten endlich aufhören, den Westen wegen seiner Wehrbereitschaft zu „dämonisieren“. Vor allem sei es in der gegenwärtigen Lage wichtig, dass die Regierung für den Fall eines plötzlichen Atomkriegs „die Nation auf diese mögliche Katastrophe sachgemäß vorbereitet“.

Die Anti-Atomwaffen-Bewegung hält eine solche Vorbereitung für eine Art Vorbereitung eines Selbstmords. Einer jüngsten Studie der Universität Princeton zufolge würden bei einem Abtausch von Atomschlägen zwischen Russland und dem Westen innerhalb von viereinhalb Stunden 90 Millionen Menschen getötet werden. Ganz abgesehen vom qualvollen Tod einer enormen Zahl weiterer Opfer in der Zeit danach. Geradezu perplex stehen viele Briten und Britinnen dem Gefühl der Unausweichlichkeit gegenüber, das ihnen auch einige ihrer Politiker vermitteln. In der ihm eigenen Art hat Verteidigungsminister Grant Shapps bekundet, dass die Nachkriegszeit endgültig vorbei sei und sich seine Landsleute „in einer neuen Vorkriegswelt“ wiederfänden. Alle Alarmleuchten „rot aufblinken“ sieht auch Außenminister David Cameron am „globalen Armaturenbrett“.

Militärs sprechen von einem „Hauch von 1939“

Militärs und Verteidigungsexperten sprechen davon, dass der aktuellen Lage „ein Hauch von 1939“ anhafte oder dass sie daran erinnere, wie Großbritannien völlig unvorbereitet in den Ersten Weltkrieg geschlittert sei. Das Gefühl, von allen Seiten bedroht zu sein, hat auf der Insel zu dramatischen Rüstungsappellen und einer heißen Debatte über eine neue Wehrpflicht geführt.

In gewisser Hinsicht sei „die jetzige Situation ja auch viel gefährlicher als 1914 oder 1939, weil so viele Nationen heute über Atomwaffen verfügen“, meint dazu David Wearing, Dozent für Internationale Beziehungen an der Uni Sussex. Und ein Atomkrieg könne ohne vorgefassten Entschluss ausgelöst werden. Schon Missverständnisse könnten dazu führen, dass „ein nuklearer Abtausch beginnt“. An Konflikten herrsche kein Mangel, meint der Thinktank Atlantic Council – vom Ukraine-Krieg über Iran und Israel bis zu Nordkorea und dem Südchinesischen Meer. „Kaum jemals zuvor“ sei das Potenzial für eine Konfrontation zwischen Atommächten so groß gewesen, befürchtet der Militär-Kommentator Cahal Milmo: „Ein Atomkrieg kommt einem immer weniger unvorstellbar vor.“