Bundestagswahl Verliert die CDU im Südwesten Direktmandate an Grüne und SPD?

Grünen-Wahlkämpfer Cem Özdemir: Er hat gute Chancen auf ein Direktmandat in Stuttgart. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Vor vier Jahren noch gewann die CDU in Baden-Württemberg sämtliche Wahlkreise. Bleibt es dabei? Umkämpft sind besonders die Universitätsstädte.

Stuttgart - Wenn sich die – meistenteils männlichen – Bundestagsabgeordneten der CDU aus Baden-Württemberg treffen, dann erscheint ihnen die Welt noch in Ordnung. Vor vier Jahren hatten die Christdemokraten alle Direktmandate in Baden-Württemberg gewonnen. Die Wahlkreiskarte des Südwestens sieht aus, als wäre schwarze Tinte darüber geflossen. Das vermittelt das Bild einer gefestigten CDU-Herrschaft. Die Wahrheit sieht anders aus. Die schwarzen Throne wanken, die christdemokratischen Provinzfürsten fürchten um ihre Herrschaft. Hätten die Grünen den Start in den Wahlkampf nicht derart vermasselt, wäre jetzt schon sicher, dass grüne Flecken im schwarzen Einerlei aufscheinen. Aber so . . .

 

Doch wer weiß: Noch ist die Bundestagswahl nicht gelaufen. Der Klimawandel schiebt sich mit Macht ins Drehbuch des Wahlkampfs, das mag den Grünen mit ihrer unglücklichen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock helfen, auch wenn sie das kaum aussprechen, um nicht als Krisengewinnler dazustehen. Zwar verfügt die Südwest-CDU mit ihrem Berliner Landesgruppenchef Andreas Jung (46) aus Konstanz über einen profilierten Umweltpolitiker, doch im Ganzen erwartet von dessen Partei niemand, dass ausgerechnet sie die Welt vor der Selbstzerstörung bewahrt. Jung lebt auf der Insel Reichenau, wo es nicht schwer ist, ein besonderes Verhältnis zu Natur und Landschaft zu entwickeln. Seit 2005 gewinnt Jung den Wahlkreis direkt. In Berlin gilt der Vizechef der CDU-Bundestagsfraktion als ministrabel.

Südwest-CDU in Berlin kaum vertreten

Aktuell aber hat die Landes-CDU in Berlin wenig zu melden. Das einzige politische Schwergewicht der Südwest-CDU ist Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, der erneut antritt. Eine Woche vor der Wahl wird er sein 79. Lebensjahr vollenden. Wenn es für ihn dumm läuft, bleibt an ihm die Verantwortung hängen, Armin Laschet als Spitzenkandidaten durchgesetzt zu haben.

Aber auch die CDU-Abgeordneten der zweiten Reihe haben reizvolle Partien zu bestehen. Etwa die Parlamentarischen Staatssekretäre Steffen Bilger (Verkehr) und Thomas Bareiß (Wirtschaft). Letzterer trifft als Platzhirsch im Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringen auf Johannes Kretschmann, den Sohn des Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Bilger hat in Ludwigsburg die bisherige Grünen-Landesvorsitzende Sandra Detzer zur Gegnerin. An das Duell CDU gegen Grüne heften sich eine Reihe spannender Fragen. Erstens: Kommen die Grünen an ihr sensationelles Ergebnis bei der Landtagswahl heran? Fast 33 Prozent hatten sie im März erreicht, damit lagen sie annähernd neun Prozentpunkte vor der CDU. Gegen die Neuauflage dieses Erfolgs spricht die Erfahrung mit der Bundestagswahl 2017. Die Grünen gewannen keinen Blumentopf, obwohl sie ein Jahr zuvor bei der Landtagswahl 2016 auch schon an der CDU vorbeigezogen waren, wenn auch recht knapp. 2017 mussten die Grünen mit 13,4 Prozent und Platz drei vorliebnehmen. Die SPD erhielt 19,5 Prozent, die CDU 39,3 Prozent.

Nehmen die Grünen der CDU Direktmandate ab?

Dennoch könnte den Grünen das eine oder andere Direktmandat zufallen, etwa in den Universitätsstädten und Metropolen. Vielleicht schafft es Cem Özdemir in Stuttgart, wo er auf Stefan Kaufmann trifft, einen CDU-Abgeordneten aus der zweiten Reihe. Für die FDP tritt Judith Skudelny an, die Generalsekretärin der Südwest-Liberalen. Für die Linke ist der frühere Parteichef Bernd Riexinger am Start, für die SPD die Gemeinderätin Lucia Schanbacher. Oder in Heidelberg, wo die Grüne Franziska Brantner – neben Özdemir die Spitzenkandidatin im Land – auf Platz eins hofft.

Besonders spannend wird es bei Frage zwei: Gelingt den Grünen der Sieg in einem ländlichen Wahlkreis – in Ravensburg etwa mit der Kandidatin Agnieszka Brugger? Die Südwest-Grünen zeichnet eine Affinität zu ländlichen Regionen aus, außerhalb des urbanen Milieus geben sie sich bodenständig und volksnah. Bei den letzten zwei Landtagswahlen war es ihnen gelungen, tief in die kleinbürgerlich-ländliche Wählerschaft der CDU einzudringen. Ein Politiker wie Winfried Kretschmann wirkt dort glaubwürdiger als die mental glattgebügelten Träger schicker Anzüge aus der Jungen Union. Das Parteiabzeichen allein reicht nicht mehr, um das Wahlverhalten zu dominieren. Erfolge der Grünen im ländlichen Raum würden endgültig den politischen Strukturbruch im Südwesten offenlegen.

Wie dynamisch ist die CDU noch im Südwesten?

Frage drei lautet: Welcher Dynamik unterliegen die Parteien im Land gemessen am jeweiligen Bundestrend? Über lange Zeit hinweg verstand sich die Südwest-CDU als Zugpferd, das die Bundespartei auf demoskopische Höhen führte. In Umfragen schnitt sie regelmäßig weit besser ab als die Union insgesamt. Inzwischen ist es so: Die Landes-CDU hat stark nachgelassen, was nicht ohne Folgen für ihren Einfluss auf die Bundespartei blieb.

Die Landes-SPD wiederum hechelte immer schon hinter dem Bundestrend her. Dabei hatten die Genossen im Südwesten zumindest intellektuell einst Impulse gesetzt mit Politikern wie Erhard Eppler oder Hermann Scheer. Doch den Netzwerkern in der Partei ist es im Zusammenspiel mit den Parteilinken gelungen, das Niveau so weit nach unten zu nivellieren, dass die Partei und deren Politik nur noch wenig wahrgenommen werden. Die Südwest-SPD muss mehr auf Olaf Scholz hoffen, als dass dieser sich auf die Genossen im Süden stützen könnte. Angesichts der Schwäche der Konkurrenz können freilich plötzlich auch die Sozialdemokraten auf das eine, vielleicht auch das andere Direktmandate hoffen, in Mannheim zum Beispiel, ihrer alten Hochburg. Die Bundesvorsitzende Saskia Esken tritt in Calw an. Dort holte die Partei 2017 nur 14,4 Prozent, wobei Esken bei den Erststimmen 2,5 Prozentpunkte mehr erreichte.

Bei Grünen und FDP ist es anders. Beide Landesparteien werden zum jeweiligen Gesamtergebnis überdurchschnittlich viel beitragen. Wobei trotz aller Baerbock-Pannen für die Grünen gilt: Endlich einmal muss die Landespartei nicht gegen die grüne Bundespartei Wahlkampf machen, um erfolgreich zu sein. Ein bubenhaftes Lächeln des Spitzenkandidaten Robert Habeck reicht, um in bürgerlichen Halbhöhenlagen weibliches Entzücken auszulösen. Ministerpräsident Kretschmann machte wiederholt deutlich, dass er eine schwarz-grüne Bundesregierung präferiert. Klar: Flöge die Union aus der Bundesregierung, wäre das für Kretschmann fatal: Er verlöre Einfluss in Berlin – und müsste in Stuttgart mit einem rabiaten Koalitionspartner zurechtkommen.

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