Mit seinem Slogan „Berlin wähl dich neu“ hat der siegreiche CDU-Kandidat Kai Wegner den Nerv vieler Wähler getroffen. Bei der SPD gab es am Abend lange Gesichter.

Berlin: Tobias Heimbach (toh)

Eines der zentralen Themen, mit denen CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner in Berlin um Stimmen warb, war die Verkehrspolitik. Am Wahlabend hatte er dann ein Stau-Problem, über das er sich freuen konnte. Als er sich auf der CDU-Wahlparty im Berliner Abgeordnetenhaus kurz nach 18 Uhr den Weg zur Bühne bahnen wollte, kam er kaum vorwärts. Lachende Parteifreunde umarmten ihn, schüttelten ihm die Hand und klopften ihm auf die Schulter. Ein Triumphzug im Schneckentempo.

 

Als er oben angekommen war, konnte er selbstbewusst verkünden, was die Prognosen schon auf den Bildschirmen gezeigt hatten: Dieser Abend sei ein „phänomenaler“ Erfolg, sagte Wegner. Tatsächlich liegt die CDU klar an erster Stelle, so hatten die Berliner entschieden. 2,4 Millionen Hauptstädter waren am Sonntag dazu aufgerufen, das Abgeordnetenhaus und die Bezirksparlamente zu wählen – noch einmal.

Die CDU liegt erstmals seit 1999 in Berlin an erster Stelle

Denn bei der eigentlichen Wahl im September 2021 hatte es so schwerwiegende Pannen gegeben, dass das Landesverfassungsgericht die Wiederholung anordnete. Beim Wahlgang 2021 hatte die CDU noch mit 18,0 Prozent auf dem dritten Platz gelegen. Diesmal konnten sie ihren Stimmanteil deutlich steigern und liegt erstmals seit 1999 in Berlin an erster Stelle.

Profitieren konnte CDU-Kandidat Wegner von der Frustration vieler Berliner in zentralen Politikbereichen. Dauerthemen in der Hauptstadt sind die Krise am Wohnungsmarkt, die Probleme in der Verwaltung, wo vieles sehr lange dauert. Auch die Suche nach einem Kita-Platz ist für Berliner Eltern fast so nervenaufreibend wie die Suche nach einer bezahlbaren Wohnung. In Schulen fehlen Hunderte Lehrer. Zudem warfen die Krawalle der Silvesternacht warfen kein gutes Licht auf die Sicherheitslage. Mit seinem Slogan „Berlin wähl dich neu“, traf Wegner den Nerv mancher Berliner.

Schlechtestes Ergebnis der SPD seit dem Zweiten Weltkrieg

Bei der SPD gab es Sonntag vor allem lange Gesichter. „Es gab schon bessere Abende“, sagte die amtierende Regierende Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey, schmallippig. Die Sozialdemokratin dankte ihrer Partei für den Wahlkampf, doch während Wegner immer wieder Pausen in seiner Rede einbauen musste, weil seine Anhänger so frenetisch klatschten, blieb es bei der SPD lange still. Kein Wunder, denn die Genossen hatten ihr schlechtestes Ergebnis in der Hauptstadt nach dem Zweiten Weltkrieg zu verdauen. Die Wähler wünschten sich, „dass Dinge anders werden“, kommentierte Giffey zerknirscht das Ergebnis. Doch wie anders die Dinge werden, wird sich zeigen.

CDU-Spitzenkandidat Wegner sah in dem Ergebnis einen „klaren Regierungsauftrag“. Er darf sich als Gewinner fühlen. Aber wird er auch der Sieger sein? Denn ob Wegner am Ende eine tragfähige Koalition schmieden kann, bleibt offen. Eine Koalition aus CDU und SPD gilt als inhaltlich möglich, doch ob der linke SPD-Landesverband zustimmt, ist fraglich. Für eine Zusammenarbeit von CDU und Grünen gilt: Beide Parteien liegen in Berlin inhaltlich weit auseinander. Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch hatte im Wahlkampf dafür geworben, Autos zugunsten von ÖPNV und Radverkehr weniger Platz in der Stadt einzuräumen zu wollen. Wegner hingegen warb gezielt um die Stimmen von Autofahrern. Auch Jarasch mahnte: „Jeder der regieren will, muss eine parlamentarische Mehrheit schmieden.“

Die Wahl verläuft ohne Pannen

Das könnte die Chance für SPD, Grüne und Linke eröffnen. Linken-Spitzenkandidat Klaus Lederer musste zwar leichte Stimmverluste registrieren, zeigte sich aber offen, die gemeinsame Regierung fortzusetzen. „An uns wird es nicht scheitern“, sagte er. Zwar gilt die Stimmung zwischen den drei Regierungsparteien als schlecht, dennoch ist es möglich, dass sie sich erneut zusammenraufen. Vertreter von CDU, SPD, Grünen und Linken kündigten an, in den kommenden Tagen Gespräche führen zu wollen. Der Poker um die Macht hat begonnen.

Wahlpannen schien es am Sonntag nicht gegeben zu haben. „Es läuft zwar nicht reibungslos, aber reibungsarm“, sagte Landeswahlleiter Stephan Bröchler. Die Erinnerung an den Wahlgang 16 Monate zuvor war vielen Berlinern noch präsent. „Damals stand ich eine dreiviertel Stunde in der Schlange“, sagt Paula Heilmann (19), die ihre Stimme in einem Wahllokal in Friedrichshain-Kreuzberg abgegeben hat, einem der Bezirke, in dem es 2021 zu gravierenden Fehlern kam.

So gingen die Berliner am Sonntag ins Bett, ohne zu wissen, wer sie künftig regieren wird – jedoch mit der Gewissheit, dass auch in der Hauptstadt ordnungsgemäß gewählt werden kann. Zumindest im zweiten Versuch.