Die Opposition in der Türkei befürchtet groß angelegten Wahlbetrug durch die Gefolgsleute von Präsident Erdogan. Das ist aber eher unwahrscheinlich. Die Opposition ist vorbereitet.
Wenn in der Türkei von einer „Katze im Trafohäuschen“ die Rede ist, geht es nicht um Tierschutz, sondern um Wahlmanipulation. Bei den Kommunalwahlen 2014 sah Melih Gökcek, Bürgermeister von Ankara und Mitglied der Regierungspartei AKP, am Wahlabend wie der sichere Verlierer aus, doch dann fiel bei der Auszählung in den Wahllokalen plötzlich der Strom aus – anschließend ergaben die Wahlzettel einen knappen Sieg für Gökcek. Der damalige AKP-Energieminister Taner Yildiz erklärte die Stromausfälle damit, dass eine Katze in einem Trafohäuschen einen Kurzschluss ausgelöst habe. Bei der Präsidentschafts- und Parlamentswahl am Sonntag will die Opposition verhindern, dass sich Betrugsversuche wiederholen.
Das Misstrauen ist groß. Kemal Kilicdaroglu, der Präsidentschaftskandidat der Opposition, traut nach eigenen Worten der Wahlkommission in Ankara nicht über den Weg. Kritiker werfen der Kommission vor, aufseiten der Regierung zu stehen. Sie verweisen auf die Volksabstimmung von 2017 über die Einführung des Präsidialsystems. Damals entschied die Kommission in der Wahlnacht auf Antrag der AKP, auch Wahlzettel zu berücksichtigen, die nicht als echt zertifiziert worden waren. Das Referendum endete mit einem knappen Ja zum Präsidialsystem von Staatschef Recep Tayyip Erdogan. Gegen Entscheidungen der Wahlkommission kann nicht geklagt werden.
Bis zum Abend im Wahlbüro
Nach Einschätzung von Experten hat es die Opposition am Sonntag in der Hand, Wahlbetrug zu verhindern. Die Überwachung der Stimmauszählung in den 190 000 Wahllokalen sei der Schlüssel dazu, denn an sich sei das türkische System transparent, schrieben Hürcan Asli Aksoy und Salim Cevik von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik in einer Analyse. Die Urnen werden nach Abschluss der Stimmabgabe von den Wahlausschüssen in den Wahllokalen geleert; dann beginnt die Auszählung. Mitglieder der wichtigsten Parteien sind in den Ausschüssen vertreten, können bei der Auszählung dabei sein und die Ergebnisse registrieren. Abweichungen können also schnell nachgewiesen werden.
Bei früheren Wahlen waren die Oppositionsparteien in den Wahllokalen nicht immer bis zum Schluss vor Ort, doch diesmal wurden Mitglieder und Anwälte frühzeitig für den Einsatz am Wahltag mobilisiert und geschult. Auch Organisationen der Zivilgesellschaft schicken Freiwillige in die Wahllokale.
Mit ihrer Präsenz in den Wahllokalen will die Opposition am Sonntag ein eigenes Auszählsystem schaffen. Das ist nach ihrer Einschätzung wegen der Erfahrung aus der Kommunalwahl 2019 nötig. Als sich am Wahlabend in Istanbul der Sieg des damaligen Oppositionskandidaten Ekrem Imamoglu gegen den AKP-Kandidaten abzeichnete, stoppte die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu plötzlich die Veröffentlichung von Teilergebnissen. Damit verhinderte die Agentur, dass sich Imamoglu zum Gewinner ausrufen konnte. Imamoglu durchkreuzte diese Taktik, indem er bis spät in die Nacht immer wieder vor die Kameras trat und die Daten seiner Helfer in den Wahllokalen verkündete. Am Ende siegte er.