In einem Jahr wird in Thüringen, Sachsen und Brandenburg gewählt – und überall liegt die AfD in den Prognosen vorn. Was bedeutet das für die politische Lage?
Wenn nichts mehr fruchtet, müssen religiöse Formeln her. Das hat eine gewisse Tradition in Thüringer Wahlkämpfen. Ministerpräsident Bodo Ramelow wurde in den vergangenen zehn Jahren schon des Öfteren mit religiösen Bannsprüchen belegt. Nun hat der Linke-Politiker selbst den Teufel an die Wand gemalt.
Als CDU und FDP im Thüringer Landtag einen weiteren Stein aus der Brandmauer nahmen, der vor einer Zusammenarbeit mit der AfD schützen sollte, rutsche es ihm raus: Die CDU habe sich aus ideologischen Gründen entschieden, einen Pakt mit dem Teufel einzugehen. Es ging ums Geld: Mit den Stimmen von FDP und AfD brachte die CDU gegen die rot-rot-grüne Minderheitsregierung ein Gesetz zur Minderung der Grunderwerbsteuer durch.
Die Fraktionschefin der Linksfraktion im Bundestag, Amira Mohamed Ali, äußert Verständnis für die CDU. „Ich wundere mich über diese Debatte und dass in diesem Fall auch vom Einreißen einer Brandmauer die Rede ist, das empfinde ich überhaupt nicht so.“ Und weiter: „Was die Union hier gemacht hat, ist einfach ganz normales parlamentarisches Vorgehen“, so die Linke-Politikerin.
„Pakt mit dem Teufel“ im Vorwahlkampf
Bodo Ramelows Äußerung mit dem „Pakt mit dem Teufel“ war Vorwahlkampf und lässt erahnen, was noch kommt. Noch ein Jahr ist es bis zu den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. In allen Umfragen steht die AfD dort auf dem ersten Platz. Besonders in Thüringen verheißen die Prognosen eine verfahrene Lage. Es sieht nicht so aus, als könnte hier eine Landesregierung entstehen, die auf eine stabile Mehrheit bauen könnte. Das ist, wie das Beispiel mit dem Teufel und den Steuern zeigt, auch im Moment nicht so.
Ministerpräsident Bodo Ramelow regiert seit dem Jahr 2020 mit einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung. Unregierbar war Thüringen deshalb bisher nicht. Und das liegt auch daran, dass es bei Themen, die weniger öffentlichkeitswirksam sind, Mehrheiten gab. Mit den Stimmen der CDU, der FDP – und, auch wenn es keiner laut ausspricht, der AfD. Die Thüringer AfD wird im Freistaat vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft und beobachtet.
Solide Mehrheit ohne AfD oder Linke wird nicht möglich
Die Vorhersagen sind seit vielen Monaten relativ stabil: Die zwei Parteien, die im Parteienspektrum von links nach rechts am weitesten voneinander entfernt sind, haben mehr als die Hälfte der Wählerschaft hinter sich. Bedeutet im Umkehrschluss: Eine solide Mehrheit ohne AfD oder Linke ist in Thüringen nicht möglich.
Während die AfD deutschlandweit gerade vor Kraft nur so strotzt, erlebt die Linke einen Abwärtstrend – allerdings weniger in Thüringen. Das dürfte vor allem dem doch eher bürgerlichen Kandidaten Bodo Ramelow geschuldet sein, der seit 2014 Ministerpräsident ist. Vor sieben Jahren, als das erste – und bislang einzige – Mal in Deutschland ein Linker zum Ministerpräsidenten gekürt wurde, prophezeiten politische Gegner den Untergang des Landes. Das ist nicht passiert. Das Bundesland hat sich seitdem nicht sehr viel anders entwickelt als alle anderen ostdeutschen Länder auch – das Bruttoinlandsprodukt ist überall, auch in Thüringen, kontinuierlich gestiegen. Im Detail gehen die Meinungen – wenig überraschend – auseinander: Die Regierungsparteien sehen eine gute Entwicklung, die Opposition einen negativen Trend.
Neuer Staatsvertrag sorgt für Diskussionen
Dass Thüringen nicht unregierbar war, hing mit einem gewissen Pragmatismus der Beteiligten zusammen. Oft gehen Gesetzesvorhaben ohne die AfD durch, manchmal sogar mit ihr. Das sieht dann beispielhaft so aus: Im letzten Plenum vor der Sommerpause wird ein Staatsvertrag zwischen den Ländern Thüringen und Niedersachsen diskutiert. Thüringen will Zuständigkeiten in Staatsschutzstrafsachen an Niedersachsen abgeben, weil bei Verfahren mit terroristischem und extremistischem Hintergrund im Gerichtsgebäude bestimmte Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden müssen. Da solche Prozesse nicht gerade Alltag sind, lohnt es sich nicht für Thüringen, solche Vorkehrungen bereitzuhalten. Also würde man gerne diese Verfahren statt beim Oberlandesgericht Jena am Oberlandesgericht Celle stattfinden lassen.
Die AfD hat damit insofern ein Problem, weil sie auch im Jahr 2023 – 33 Jahre nach der Wende – Zweifel hat, dass ein Ostdeutscher vor einem westdeutschen Gericht gerecht behandelt wird. Die Begründung ist wagemutig: Es gebe keine „vergleichbare Sozialisation“ zwischen Richter und Angeklagtem, ganz so, als blieben die Menschen immer an den Orten, an denen sie aufgewachsen sind und sei jede Sozialisation im jeweiligen Gebiet gleich. Wie auch immer – in dem Fall hatte sich die AfD entschieden, dagegen zu stimmen.
Es geht aber auch einstimmig. Im selben Plenum wird das geltende Sinnesbehindertengesetz geändert – Menschen etwa mit einer Sehbehinderung bekommen einen höheren Nachteilsausgleich. Bei dieser Abstimmung will sich niemand als behindertenfeindlich darstellen – das Gesetz geht einstimmig über die Bühne.
Auf der politischen Bühne werden dagegen schon Vorwahlkämpfe ausgetragen. Harsch geht es zu, wenn AfD und Linke übereinander reden oder CDU-Rechtsaußen Hans-Georg Maaßen die „Kommunisten“-Karte spielen und Ramelow vorwirft, ein „sozialistisches Kambodscha“ in Thüringen errichten zu wollen – also eine Diktatur aus den 1970er Jahren, die zur Absicherung der Macht keine Scheu hatte, einen Genozid zu begehen. Allerdings steht Maaßen nicht für die Thüringer CDU, auch wenn ein Rausschmiss aus der Partei am Kreisparteigericht in Thüringen scheiterte.
Das kleinere Übel?
Der Kurs der Christdemokraten, in den Wahlumfragen mit den Linken fast gleichauf, gleicht einer Fahrt zwischen Skylla und Charybdis – eine aus der griechischen Mythologie stammende Redewendung, die mit dem sprichwörtlichen Ratschlag „das kleinere von zwei Übeln zu wählen“ in Verbindung gebracht wird. In den Worten des CDU-Landeschefs Mario Voigt klingt das so: „Bodo Ramelow ist ein Mann der Vergangenheit. Und Björn Höcke ist der Feind der Zukunft.“
Ein Bundesparteitagsbeschluss verbietet ohnehin jegliche Koalition sowohl mit der AfD als auch mit der Linken. Aber miteinander reden darf man schon – auch mit der AfD. Und nun offenbar auch miteinander Gesetze beschließen. Kommunalpolitiker Michael Brychcy bemüht ein lokalpolitisches Beispiel: „Es gibt in meiner Stadt kein rotes, kein grünes, kein schwarzes und kein gelbes Schlagloch, sondern es gibt ein Schlagloch, und die Leute erwarten, dass wir es wegkriegen.“ Brychcys diplomatische Wendung lautet: keine Gespräche und keine gemeinsame Politik mit Björn Höcke und dem rechten Flügel. Aber da nicht alle in der AfD Faschisten seien, sollte man mit denen reden, die es nicht sind, und sie in kommunale Sachfragen einbinden. Damit ist er nicht weit weg von seinem Landesvorsitzenden, der für einen „pragmatischen Umgang“ mit der AfD wirbt.
Es gibt auch andere Töne in der CDU. Der frühere Ministerpräsident und Landtagsabgeordnete Mike Mohring plädierte unlängst dafür, sich für Gespräche mit der Linken zu öffnen. Diese Gespräche – aber vielleicht auch solche mit der AfD – werden sich voraussichtlich nicht erst nach der Landtagswahl, sondern schon nach dem 26. Mai 2024 intensivieren: Dann bestimmen die Thüringer über die Zusammensetzung der Kommunalparlamente und wählen Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landräte.