Der „Movimento 5 Stelle“ des Ex-Komikers Beppe Grillo fängt seine Wähler mit einfachen Parolen – sowohl links als auch rechts von der ebenfalls begeisterten Mitte. Umfragen sehen die Bewegung nun sogar vor dem regierenden Partito Democratico.

Rom - „Das Team Raggi steht“. Das verkündet die neu gewählte Bürgermeisterin Roms am Donnerstagmorgen. Und präsentiert stolz ihr Kabinett: Fünf Männer und fünf Frauen, plus die Bürgermeisterin selbst. Die Quote hat die 37-Jährige damit schon mal erfüllt – Gleichberechtigung ist ein Thema der Fünf-Sterne-Bewegung um den graulockigen Ex-Komiker Beppe Grillo. Außerdem auf der Agenda des Movimento 5 Stelle (M5S): Bedingungsloses Grundeinkommen für alle, weniger Autos in den Städten – Ach, und Flüchtlinge. Die seien kein humanitäres, sondern ein Sicherheitsproblem, heißt es. Grillo hat sie auch schon mit Abfall und Ratten verglichen. Mit diesem Sammelsurium an rechten und linken Parolen kommt der M5S beim Wähler gerade gut an.

 

Grillos Sterne leuchten im Moment heller denn je: Bei den Stichwahlen um die Bürgermeistersitze in 126 Kommunen Mitte Juni hat der M5S wohl endgültig den Durchbruch geschafft. In 19 der 20 Kommunen, in denen es ein Kandidat der Bewegung in die zweite entscheidende Runde geschafft hatte, hat dieser die Wahl gewonnen. Neben Virginia Raggi in Rom zum Beispiel auch die 32-jährige Chiara Appendino in Turin. Und das Universum scheint für die Sterne unendlich: In den jüngsten Umfragen der Zeitungen „la Repubblica“ und „Corriere della Sera“ hat der M5S den Partito Democratico, die Partei von Premierminister Matteo Renzi, zum ersten Mal überholt. Die Bewegung käme demnach aktuell auf 30,6 Prozent. Der Partito Democratico auf 29,8.

Eine Partei, die keine sein will

Zunehmend findet sich in Italien also eine Bewegung, die 2009 als „Anti-Partei“, als Gegenentwurf zu politischen Strukturen, gegründet wurde, an zentralen Stellen genau dieser Strukturen wieder. Seit den Parlamentswahlen im Februar 2013, als die Fünf-Sterne-Bewegung mit 25,6 Prozent der Stimmen mit 109 Abgeordneten zweitstärkste Kraft im Parlament wurde, mischen die Grillini, wie sie in den Medien genannt werden, im aktuellen Politik-Geschehen mit. Im Europaparlament ist die Fünf-Sterne-Bewegung mit 17 Abgeordneten vertreten. Die meisten von ihnen haben sich mit der rechtspopulistischen UKIP um Nigel Farage in der Fraktion „Europa der Freiheit und der direkten Demokratie“ zusammengetan. Vize-Vorsitzende dieser Fraktion ist Beatrix von Storch von der Alternativen für Deutschland.

Doch was steckt hinter dieser Bewegung? Das Programm der Partei, die keine sein will, füllt gerade einmal 15 Seiten. Darin: Alles was geändert werden muss. Wie? Das scheint nicht zu interessieren. Auch nicht, wer in der Bewegung eigentlich das Sagen hat.

„Das ist eine Anomalie Italiens“ sagt Michele Prospero, Professor für Philosophie und Politik an der Universität La Sapienza in Rom. Nach dem Ende der ersten Republik, die Mitte der 1990er Jahre in einem Netz aus Korruption, Amtsmissbrauch und illegaler Parteienfinanzierung untergegangen ist, seien in den vergangenen 20 Jahren etliche Formationen entstanden, die sich ausdrücklich gegen politische Strukturen wenden – aber trotzdem zu Wahlen antreten. Prospero findet es problematisch, dass der M5S nun in Städten wie Rom und Turin an der Macht ist: „Niemand weiß so recht, wie die interne Machtorganisation dieser Bewegung funktioniert.“ In „normalen“ Parteien gibt es Parteitage, lokale und nationale Direktorien. Die Fünf-Sterne-Bewegung hingegen stützt sich ganz auf das Internet und die Schwarmintelligenz. Im Netz werden die Kandidaten gekürt, im Netz entsteht das Programm. „Diese Form der direkten Demokratie fördert Grauzonen, was die wirklichen Machtverhältnisse angeht“, sagt Prospero.

Undurchsichtige Führung

Grillo selbst ist aktuell wieder als Komiker auf Tour durch Italien. Die Internetseite der Bewegung, einst der Blog von Beppe Grillo, wird von Casaleggio Associati geführt – der Berater-Firma für Strategien im Internet des im April gestorbenen Mitgründers des M5S Gianroberto Casaleggio. Dessen Sohn, Davide Casaleggio, leitet heute zumindest die Firma und das Treiben auf dem Grillo-Blog. Über seine politischen Ambitionen in der Fünf-Sterne-Bewegung weiß man nur wenig. Doch er und der 30-Jährige Luigi Di Maio, der jüngste Vizepräsident in der Geschichte des italienischen Parlaments, gelten als die Hoffnungsträger der Bewegung. Di Maio gar als künftiger Ministerpräsident.

Die neuen Umfragen sind nach den Kommunalwahlen ein weiterer Tiefschlag für die Regierung Renzi und den Partito Democratico. Aber wie konnte es eine so ungreifbare Bewegung so weit bringen? Die zahlreichen Krisen auf der Welt, sei es die noch immer unsichere Wirtschaftslage, der unberechenbare Terror des sogenannten Islamischen Staaten oder das drohende Auseinanderbrechen Europas verunsichern die Menschen. Auch in Italien. Sie wollen Veränderung. Fast scheint es egal, wer an die Macht kommt - Hauptsache unverbraucht und anders. Nachdem sich in Italien also jahrelang ein Politiker zum Komiker machte, konnte sich nun ein Komiker zum Politiker machen.

Mit Berlusconis Rücktritt fing der Aufstieg der Bewegung an

Der Aufstieg von Grillo und seiner Fünf-Sterne-Bewegung erklärt sich Michele Prospero vor allem aus den vergangenen fünf Jahren: Als Silvio Berlusconi 2011 seinen Rücktritt erklärte, wurden keine Neuwahlen abgehalten - der damalige Staatspräsident Giorgio Napolitano setzte Mario Monti als Ministerpräsident einer Regierung aus parteilosen Experten ein. Diese Regierung der Technokraten (Governo tecnico) sollte die strenge Sparpolitik im Sinne Europas durchsetzen. „Das Ende der Berlusconi-Ära bedeutete aber auch: Dem Partito Democratico fehlte plötzlich der politische Gegner“ so Prospero. Ein neuer Gegenspieler, der M5S, konnte sich in Stellung bringen. „ Bis 2011 lag die Bewegung in Umfragen bei lediglich zwei Prozent“, erinnert er. „Etwa sechs Monate nachdem die Technokraten-Regierung unter Monti eingesetzt wurde bereits bei über 20 Prozent.“ Der Trend hält an: Und der Reifen der PD verliert immer weiter an Luft.

Grillo und die Fünf-Sterne-Bewegung wissen, wie sie diese Luft einsaugen können. Mit eindeutig linken Forderungen, wie der nach einem bedingungslosen Grundeinkommen, und rechter Stimmungsmache gegen Einwanderer und Flüchtlinge. „Der M5S ist eine dreiteilige Bewegung“, erklärt Prospero: Etwa ein Drittel der Wähler komme von links, ein Drittel von rechts und ein Drittel aus der gemäßigten aber wütenden Mitte. „Dieser Radikalismus spricht vor allem junge Wähler an.“ In Italien herrscht noch immer eine Jugendarbeitslosigkeit von 46 Prozent.

Und der Partito Democratico, die einzige noch halbswegs intakte Partei Italiens, scheint ideenlos. Vielleicht entmachtet sie sich am Ende sogar selbst: Sollte Premier Renzi mit seinem Referendum zur Verfassungsänderung und der damit verbundenen Wahlreform Anfang Oktober Erfolg haben, stehen die Sterne für Grillos Bewegung noch günstiger. Erhält eine Partei/ein Bündnis nicht die dann vorgesehenen 40 Prozent für eine Regierungsbildung, käme es zu einer Stichwahl zwischen den zwei stärksten Parteien – derzeit die Fünf-Sterne-Bewegung und Renzis Demokraten. Bei den Kommunalwahlen zumindest setzte sich ein Trend klar durch: In jeder Stichwahl, in der die Cinque Stelle gegen den Partito Democratico angetreten sind, gingen sie als Sieger hervor.