Das Waldhaus hat ein neues Haus für die Inobhutnahme eröffnet. 1,8 Millionen Euro kostet der Bau, in dem es auch Apartments für Mitarbeiter und mehr Platz für die Verwaltung gibt.

Hidrizhausen - Großzügig, hell und luftig – sehr einladend wirkt das neue Gebäude auf dem Areal Waldhaus in Hildrizhausen. Der dreistöckige holzverkleidete Bau ist seit 1. April in Betrieb – ganz unbemerkt und ohne große Eröffnung: Corona geschuldet. Mit der Inbetriebnahme geht ein großer Wunsch vieler Mitarbeiter des Waldhauses, aber auch des Jugendamts in Erfüllung: Nun gibt es eine eigene Gruppe für die Inobhutnahme von zwölf- bis 17-jährigen Jungen.

 

Immer dann, wenn es zu Hause nicht mehr geht, wenn Kinder von den Eltern misshandelt werden, alleinerziehende Mütter ins Krankenhaus müssen oder Jugendliche von der Familie aus der Wohnung geworfen werden, muss das Jugendamt tätig werden und die Kinder unterbringen. „Das ist oft sehr kurzfristig“, sagt Wolfgang Trede, Chef des Jugendamts im Kreis Böblingen. Anrufe kommen häufig mitten in der Nacht, wenn Polizisten einen Minderjährigen auf der Straße aufgabeln und dieser nicht nach Hause kann. Oder die Polizei findet bei einer Drogenrazzia in einer Wohnung verwahrloste Kleinkinder. Jüngere Kinder bis etwa zwölf Jahre kommen zumeist in Notfallfamilien unter. 13 Plätze gibt es im Kreis. Manche Kinder bleiben nur eine Nacht, andere mehrere Wochen. „Es gab sogar schon Fälle, dass Kinder bis zu einem halben Jahr in einer Familie lebten“, sagt Trede – so lange, bis klar ist, wie es mit dem Kind weitergeht, ob es zurück in die Familie kann, in eine Wohngruppe kommt oder in eine Dauerpflegefamilie.

Rückzugsmöglichkeit im Einzelzimmer

Für ältere männliche Jugendliche ist das Waldhaus zuständig. Bisher gab es zwei Plätze für Notfallaufnahmen, angedockt an eine Wohngruppe des Waldhauses. Doch diese Plätze reichten bei Weitem nicht aus. „Wir mussten immer wieder Anfragen des Jugendamts ablehnen, weil wir voll waren“, sagt Michael Weinmann, Chef der stationären Dienste. Zudem brachten die Jugendlichen, die aus einer prekären Lage kamen, die festen Wohngruppen durcheinander. Jetzt haben sie ihr eigenes Refugium. Und rund um die Uhr sind Pädagogen da; sogar, wenn die Gruppe leer ist, haben sie Bereitschaft.

In sechs Einzelzimmern können die Jugendlichen unterkommen, im Notfall gibt es sogar neun Plätze. Damit dürften Engpässe wie in der Vergangenheit vorbei sein. „Die Jugendlichen brauchen eine Rückzugsmöglichkeit, deshalb bekommt jeder ein eigenes Zimmer“, sagt Weinmann. Wichtig seien aber auch gemeinsame Räume. Dort werde gegessen, gespielt und gebastelt. „Wir geben den Jugendlichen eine Tagesstruktur“, sagt Weinmann. Das sei wichtig, vor allem für junge Leute, die eine Weile auf der Straße gelebt oder die Schule abgebrochen hätten.

1,8 Millionen Euro hat das Waldhaus in den Neubau investiert. Im Obergeschoss gibt es vier Apartments für Mitarbeiter und allein lebende Jugendliche. Momentan stehen diese leer – als Isolierstation für potenzielle Corona-Fälle. Im Erdgeschoss wurde ein Verwaltungstrakt eingerichtet, um den Mitarbeitern, die beengt arbeiten, mehr Platz zu bieten.

Während ihrer Zeit in der Inobhutnahme gibt es Gespräche mit den Jugendlichen, den Eltern und dem Jugendamt, um den besten Weg für jeden Einzelnen zu finden. Häufig seien die Eltern froh über die Unterstützung, sagt Wolfgang Trede. Manchmal legten sie auch ihr Veto gegen die Unterbringung ein. „Dann entscheidet das Familiengericht.“

In der Corona-Zeit gibt es vermutlich eine hohe Dunkelziffer

Interessanterweise hat es in den vergangenen Wochen weniger Notaufnahmen gegeben als in den Jahren zuvor. Gerade in Corona-Zeiten ist das unverständlich, so Hans Artschwager, Chef des Waldhauses: „Unsere Familienhelfer berichten, dass es in den Familien gewaltig kracht.“

Wolfgang Trede bestätigt dies. „Wir gehen von einer hohen Dunkelziffer aus.“ Vieles sei vermutlich unentdeckt geblieben, weil auch die Mitarbeiter des Jugendamts wegen Corona nur wenige Hausbesuche gemacht hätten. „Jetzt aber merken wir, dass viele Familien überfordert sind, weil die Schulen und Kitas nicht öffnen“, so Trede. Er versteht nicht, „warum man Hygienekonzepte für die Bundesliga macht, aber die Familien alleinlässt mit Homeoffice und Homeschooling“.