Wandel im Emirat Katars Frauen zwischen Tradition und Moderne

Die katarische Köchin Noor al Mazroei fühlt sich als Frau weder bevormundet noch unterdrückt. Foto: privat/Adel Al Shammari

Viele Frauen in Katar sind nach wie vor Einschränkungen ausgesetzt. Doch das Bild, das häufig gezeichnet werde, sei zu schwarz-weiß, finden manche. Wie aber ist die Situation von Frauen in dem Emirat?

Noor al Mazroei hat die traditionelle Abaya abgelegt an diesem Abend, sie trägt ein schwarzes T-Shirt mit dem Aufdruck „Doha“ und einem Fußball. „Ich bin eigentlich nicht so für Fußball zu haben“, sagt sie und lacht, die Spiele gucke sie deshalb, wenn, dann zu Hause an. Mit der Weltmeisterschaft in ihrem Land hat sie trotzdem viel zu tun: Noor al Mazroei ist Chefköchin, sie kocht bei Events oder für Fernsehshows, berät große Hotels und Restaurants. „Mein Ziel ist, die katarische Küche für alle zugänglich zu machen – egal ob sie vegan oder laktosefrei essen“, erzählt sie im Videotelefonat. Eine ihrer Töchter sitze im Rollstuhl, dadurch habe sie angefangen, spezielle Bedürfnisse mitzudenken, auch beim Kochen. Heute ist Noor al Mazroei eine der bekanntesten katarischen Köchinnen – aber längst keine Ausnahme mehr. Als sie vor acht Jahren anfing, sah die Sache noch ganz anders aus.

 

Erfolgsgeschichten im Blog „Woman of Katar

Geschichten wie diese von erfolgreichen katarischen Frauen finden sich im Netz viele, der Blog „Women of Quatar“ sammelt sie. Da ist zum Beispiel die Geschichte von Afaf Abdi al Qorane, einer olympischen Boxerin. Oder jene von Abeer Hassan Buhelaiqa, die eine Vereinigung für Ingenieurinnen gegründet hat. Manche dieser Frauen tauchen in Werbefilmen zur Weltmeisterschaft auf oder bei Auftritten mit Mitgliedern der Herrscherfamilie. Katar als Land der selbstbewussten Frauen – davon erzählen die Geschichten.

„Auch wenn die konservativen Stimmen im Land seit einiger Zeit wieder hörbarer geworden sind, darf man sich Katar keineswegs als ein ‚Gefängnis‘ für Frauen vorstellen“, sagt der Politologe und Katar-Experte Nicolas Fromm von der Universität der Bundeswehr Hamburg. Wie in den anderen Staaten der Region gebe es „natürlich noch sehr viele Benachteiligungen“, etwa im Familien- und Erbrecht. Gesellschaftliche Veränderungen würden nicht über Nacht passieren, sagt er. Aber: „Immer mehr Frauen im Land entscheiden sich für Karrieren als Unternehmerin, Ärztin oder Anwältin – und das wird von den Männern überwiegend auch akzeptiert.“

Mutter des heutigen Emirs gilt als Wegbereiterin

Als Wegbereiterin für den Wandel gilt vielen die Mutter des heutigen Emirs von Katar – Scheicha Moza bint Nasser al Missned. Sie setzte sich für den Aufbau einer Bildungsstadt ein, dafür, dass mehr Frauen studieren oder Sportangebote für sie entstehen. Heute studieren den katarischen Behörden zufolge doppelt so viele Frauen an den Unis wie Männer, Fitnessstudios für Frauen sind in Doha keine Seltenheit mehr, genauso wenig wie Frauen in hochrangigen Ämtern. Der Wille, den sozialen Status von Frauen zu stärken, ist auch in der „Nationalen Vision 2030“ festgeschrieben, die die Herrscherfamilie ausgegeben hat.

Diese Vision, sagt Nicolas Fromm, enthalte viele wichtige Elemente, die neben der wirtschaftlichen auch die gesellschaftliche Modernisierung zum Ziel hätten. Das hat auch sozioökonomische Gründe, denn Katar – eines der reichsten Länder der Erde – ist stark abhängig von Arbeiterinnen und Arbeitern aus dem Ausland: Von den insgesamt knapp drei Millionen Einwohnern in dem Emirat sind nur rund 380 000 Kataris. „Letzten Endes können sich auch die arabischen Golfstaaten nicht leisten, dem Arbeitsmarkt die Hälfte ihrer Bevölkerung vorzuenthalten“, sagt Fromm. „Der Wille zur Modernisierung ist also authentisch, nur wird das Ergebnis nicht zwangsläufig den Vorstellungen der internationalen Beobachter entsprechen.“ Überhaupt hält Fromm die „westliche“ Erwartungshaltung im Entwicklungskontext „für nicht besonders hilfreich“.

Eltern haben Noor al Mazroei auf ihrem Weg unterstützt

Noor al Mazroei findet das Bild, das viele von ihrem Land und den Frauen dort haben, zu schwarz-weiß. „Natürlich gibt es Frauen, die zu Hause bleiben, aber dann wollen sie das auch so“, sagt sie, während sie mit dem Handy durch den Innenhof ihres Anwesens spaziert. Die Mauern sind beige getüncht, die Büsche werden von Lampen angestrahlt, und in der Einfahrt steht ein weißer Mercedes. Noor al Mazroei wehrt sich gegen ein Bild von bemitleidenswerten, muslimischen Frauen. „Ich trage mein Kopftuch und meine Abaya gerne – auch beim Kochen. Ich will damit zeigen, dass traditionelle Kleidung keine Hürde darstellt“, sagt sie. Ihre Eltern, übrigens Akademiker, hätten sie dabei stets unterstützt.

Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite aber gibt es für viele Frauen in Katar bis heute durchaus weitreichende Einschränkungen. In dem Emirat dominiert eine strenge, konservative Lesart des sunnitischen Islams, der Wahhabismus. Die Gesellschaft ist patriarchalisch geprägt, und obgleich es zuletzt gesetzliche Änderungen gab, beobachten Menschenrechtsorganisationen nach wie vor Missstände, die den Verpflichtungen des Landes zu internationalen Normen oder sogar der eigenen Verfassung widersprechen.

Bericht von Human Rights Watch ist weniger positiv

„Das diskriminierende System der männlichen Vormundschaft in Katar verwehrt Frauen das Recht, zahlreiche wichtige Entscheidungen über ihr Leben zu treffen“, schreiben etwa die Autorinnen und Autoren eines Berichts von Human Rights Watch aus dem vergangenen Jahr. Um zu heiraten, im Ausland zu studieren, teils auch zu reisen, in bestimmten Berufen zu arbeiten oder manche gynäkologischen Untersuchungen zu erhalten, sind Frauen demnach auf die Erlaubnis eines männlichen Vormunds angewiesen – also auf die des Vaters oder Ehemanns, Bruders oder Onkels. Und so hängen die Chancen, die katarische Frauen haben, auch stark davon ab, wie liberal die jeweilige Familie ist.

Hinzu kommt, dass Bildungsmöglichkeiten oder eine Karriere primär katarischen Frauen oder Zugezogenen aus westlichen Ländern offenstehen. Weniger im Fokus steht dagegen die Situation von Gastarbeiterinnen. Laut der Menschenrechtsorganisation Amnesty International arbeiten in Katar insgesamt etwa 175 000 Hausangestellte aus Ländern wie Bangladesch oder Nepal – über 60 Prozent davon Frauen. „Diese Frauen sind sehr isoliert und werden auch deshalb oft vergessen“, sagt Ellen Wesemüller von Amnesty in Deutschland. Im Jahr 2017 hat das Emirat gesetzliche Reformen beschlossen, die für Hausangestellte greifen sollen: eine Begrenzung der täglichen Arbeitszeiten etwa oder einen freien Tag pro Woche. Die Reformen seien grundsätzlich ein Fortschritt, sagt Wesemüller. „Wir müssen aber leider feststellen, dass sie in der Praxis nur sehr lückenhaft umgesetzt werden.“

Ausländische Hausangestellte nach wie vor unterdrückt

Im Jahr 2020 sprach Amnesty mit mehr als 100 Hausangestellten – und beobachtete, dass fast alle dieser Frauen weiter ausgebeutet wurden. Die meisten hätten noch nie einen freien Tag gehabt, die Hälfte arbeite täglich mehr als 18 Stunden, viele würden beleidigt oder körperlich angegangen. „Für die betroffenen Frauen ist es aber eine große Hürde, sich zu wehren“, sagt Wesemüller. Viele Arbeitgeber würden – obwohl nicht mehr erlaubt – die Pässe der Hausangestellten einbehalten. Der Arbeitgeber hätte viel in der Hand, so die Sprecherin. „Es braucht viel mehr Kontrollen, außerdem müssen die Arbeitgeber konsequent bestraft werden, wenn sie sich nicht an die Regeln halten.“

Budoor al Ahammari ist Kinderärztin in Doha. Sie findet, dass sich für Frauen in Katar in den vergangenen Jahren viel getan habe. „Ich wollte schon als Kind Ärztin werden“, erzählt sie, einfach sei der Weg dorthin nicht gewesen. „Wir Frauen im Mittleren Osten sehen uns einigen Hürden ausgesetzt.“ Aber sie habe dafür gekämpft, ihren Traum wahr zu machen. Heute, so sagt sie, verdiene sie so viel wie ihre männlichen Kollegen. Und sie sei froh, dass es für Mädchen in Katar inzwischen viel einfacher sei, selbst in Bereichen wie der Medizin.

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