Der Erfolg rechter Parteien ist ein Echo der Verunsicherung, deren Kulminationspunkt die Flüchtlingskrise war. Daraus erwächst eine neue Sehnsucht nach Orientierung, kommentiert der StZ-Autor Armin Käfer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Die Wiener Hofburg ist Kulisse für einen historischen Akt, von dem sich noch nicht absehen lässt, wie er enden wird. An diesem Montag hat der österreichische Bundespräsident dort die neue Regierung vereidigt. Auf dem Heldenplatz wurde derweil gegen „Nazis“ demonstriert. Das richtet sich gegen die fragwürdigen „Helden“, die fortan die Geschicke der Alpenrepublik bestimmen. Weniger schlichte Gemüter nennen sie Neofeschisten: Der fesche Sebastian Kurz wird jüngster Kanzler aller Zeiten, sein Kompagnon Hans-Christian Strache, ein Mann mit rechtsextremer Vergangenheit, dank ihm salonfähig. Kurz hat die radikalere Konkurrenz einzuhegen versucht, indem er ihre Ziele weitgehend übernahm. Kein Wunder also, dass sich diese Koalitionäre schnell handelseinig wurden. Das Bündnis steht für einen Kurs, der als Affront gegen die deutsche Kanzlerin begann, von dem diese inzwischen aber profitiert.

 

...als ob ein Bundeskanzler Markus Söder mit der AfD koalieren würde

Anders als bei der Erstauflage einer solchen Rechtskoalition im Jahre 2000, als Europa sich über Straches Vorbild Jörg Haider empörte, ist die Resonanz jetzt flau. Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit sind allerorten auf dem Vormarsch. Und niemand redet mehr von Sanktionen gegen Österreich. Die Erfahrungen mit den Trumps und Orbans unserer Zeit stumpfen ab. Die FPÖ ist kein Einzelfall mehr. Parteien von ihrem Schlag regieren in halb Osteuropa. Sie haben die Briten zum Brexit aufgewiegelt, den Franzosen bei den letzten Wahlen das Fürchten gelehrt und auch in Deutschland die Parlamente erobert.

Zudem haben sich Konservative und Rechtspopulisten in Wien auf eine Agenda verständigt, die mancherorts mehrheitsfähig wäre. Das gilt vor allem für das Kapitel „Ordnung und Sicherheit“ ihres 182-seitigen Regierungsprogramms. Dort ist ein strikter Umgang mit Flüchtlingen beschrieben, eine Art Abschottungspolitik, die sich allerdings nur unwesentlich von Maßnahmen unterscheidet, die auch in den deutschen C-Parteien schon diskutiert wurden. Doch die Verhältnisse in beiden Ländern lassen sich nicht unmittelbar vergleichen. Was Österreich jetzt bevorsteht ist in etwa so, als würde ein Bundeskanzler Markus Söder mit der AfD koalieren.

Der Erfolg rechter Parteien ist das Echo auf eine Verunsicherung, deren Kulminationspunkt die Flüchtlingskrise vor zwei Jahren war. Diese Verunsicherung ist mit dem Umstand, dass die Armen und Verfolgten dieser Welt und mit ihnen auch manche Glücksritter und Handelsreisende des Terrors plötzlich an unsere Tür klopfen, aber nicht hinreichend erklärt. Sie ist auch als Zerfall von Strukturen zu erleben, die ehedem Geborgenheit vermittelten: Familien, Vereine, Kirchen, verlässliche Arbeitsplätze, stabile Partnerschaften. Viele fühlen sich der Globalisierung ausgeliefert, vermissen vor lauter Multikulti, offenen Grenzen und einer inflationären Vielfalt von Rollenmodellen vor allem: Orientierung.

Gabriel bläst der SPD den Radetzkymarsch

Aus dieser Erkenntnis speist sich ein Vorstoß des vielleicht orientierungslosesten SPD-Chefs der jüngeren Vergangenheit: Sigmar Gabriel will seine Partei auf den rechten Kurs bringen. Er bläst den Genossen den Radetzkymarsch – eine Art Sehnsuchtsmelodie, die an unwiederbringliche Zeiten erinnert, in denen zumindest Ordnung herrschte. Während sein Ziehvater Gerhard Schröder einst neue Zielgruppen ins Auge fasste, die heute Hipster heißen, besinnt sich Gabriel wieder auf jene, für die seine Partei vor anderthalb Jahrhunderten erfunden wurde: die Benachteiligten der Gesellschaft. Gabriel will Heimat, Sicherheit und konservative Werte nicht der Konkurrenz von rechts überlassen. In einem strukturell ähnlichen Dilemma sieht sich die Union gefangen. Angela Merkel hat das neuerliche Wohlwollen in den Reihen der CSU mit einer Politik erkauft, die näher bei Kurz und Strache als bei ihrer Linie vom Spätsommer 2015 ist.