Wasserbüffel am Bodensee Wilde Ökos
Im Hepbacher Ried am Bodensee weiden jetzt Wasserbüffel. Die Schlammsuhler helfen mit, die ganze Fülle eines Niedermoors auszubilden.
Im Hepbacher Ried am Bodensee weiden jetzt Wasserbüffel. Die Schlammsuhler helfen mit, die ganze Fülle eines Niedermoors auszubilden.
Kaum haben sie die Gäste auf ihrer Weide entdeckt, kommen sie von Weitem angelaufen. Hoffentlich halten die Kolosse auch wieder an! Zum Glück werden sie langsamer, um sich dann aus ein paar Meter Entfernung diese Menschen genau anzugucken. Vielleicht ja auch, um sich genau angucken zu lassen: feucht glänzende Schnauzen, schwarze Samtaugen, windschnittig geführte Hörner und ganz wunderbare Frisuren. Sehr individuell und wie für den Fotografen hingeföhnt. Ein Tier trägt Tolle im Rockabilly-Stil. Ein anderes setzt auf Mittelscheitel. Eines präsentiert seine Lockenmähne ungezähmt wie Ricky Shayne. Selbst die Hufe sehen sauber gerichtet aus. Aber alles Naturschönheiten. Ihr ruhiges Kauen im Synchrontakt gleicht einer meditativen Übung. „Das bedeutet, sie sind nicht nervös“, sagt Werner Spenninger.
Der 70-Jährige kümmert sich um die Wasserbüffel im Hepbacher-Leimbacher Ried, einem Niedermoorgebiet mit morastigen Wiesen, Tümpeln, Teichen, Sumpfzonen und Suhlen bei Markdorf am Bodensee. Ohne Gummistiefel kommt man hier nicht weit. Das Ried ist in den vergangenen Jahrzehnten zu einem wertvollen Lebensraum gewachsen. Und damit das so bleibt, damit das Gelände nass bleibt und nicht verbuscht oder gar verwaldet, gibt es die Büffel.
Seit Sommer sind die Landschaftspfleger da. Sechs Damen. Alle im Backfischalter, die älteste ist fünf. 12 000 Euro haben sie gekostet. Ein Mann aus der Gegend hatte als Letzten Willen verfügt: Sein Nachlass soll dem Naturschutz zugute kommen. Dass mit dem Geld mal solche Prachtexemplare finanziert werden, hätte ihn sicher gefreut. Drei Tiere sind vom Allgäu, drei vom Bodensee. Der eine Betrieb lebt vom Büffelfleisch und Mozzarella, der andere züchtet nur nebenbei.
Werner Spenninger ist Hufschmied von Beruf. Sein Opa war Landwirt, er habe wahrscheinlich dessen Blut, sagt er. Schon als Bub ist er geritten wie ein Kosak, seit mehr als 40 Jahren züchtet er Pferde. Er hatte auch schon Rinder, normale halt. Büffel sind ihm neu.
Und so ist das auch für ihn eine spannende Sache hier. „Tolle Viecher“, sagt er. Er schaut ihnen oft lange zu. „Hitze mögen sie, dann baden sie stundenlang, manchmal gucken nur noch die Nasenlöcher aus dem Wasser.“ Oder sie wälzen sich ausdauernd im Schlamm. Einmal hat er beobachtet, dass sie sich ganz auf die Seite legten wie Katzen. Sie lieben Feuchtgebiete. „Wo der Mensch nicht mehr weiterkommt, waten die einfach durch mit ihren breiten Klauen. Und wenn nur noch Wasser ist, schwimmen sie halt.“
Die Büffel sind umgänglich. „Aber wenn sie komisch werden, muss man gleich dominant gegenhalten. Wegrennen ist sinnlos, wenn die mal loslegen“, sagt Spenninger. Mit Kälte haben sie es nicht so. Im Winter rücken sie gern zusammen im Offenstall. Dann kann man ihnen auch richtig nahekommen, da ist ihnen alles recht, solange sie sich nur nicht groß bewegen müssen. Spenninger besucht sie täglich. Lernt sie immer besser kennen. Schaut, ob alle da sind und nicht eins festhängt oder ausgerutscht ist. „Bei vereistem Grund laufen sie aber eh vorsichtiger.“
Ihre Suhlen sind Magnete für andere Tierarten. Und wo sie mit ihrer halben Tonne Gewicht hintreten, bleiben Senken, die sich mit Wasser füllen und ideale Eiablageplätze für Amphibien oder Insekten abgeben.
Sie hauen sich noch die Pansen voll, wo es anderen Weiderindern längst zu nass und nicht lecker genug ist. Sie fressen Nesseln, Disteln, Binsen, Springkraut, Schilf. So halten sie die Tümpelränder niedrig, die ja schön schlammig und offen bleiben sollen. „Sie knabbern auch gerne die Rinde von jungen Weiden an. Das sieht fast so aus, als wär der Biber dran gewesen, wie abgeschält“, sagt Franz Beer. „Selbst wenn Süßgräser daneben stehen, nehmen sie manchmal lieber Sauergewächse, die ein anderes Rind nicht anrühren würde. Für die Wasserbüffel muss es nicht immer Schokolade sein.“
Beer ist 79. Früher war er Gymnasiallehrer für Chemie, Biologie und Geografie. Vor 40 Jahren hat er den BUND Markdorf gegründet und bringt das Ried seitdem unermüdlich voran. „Sehen Sie, so muss eine Weide aussehen. Nicht sauber abgefressen, sondern mit Altgras, mit hohlen, trockenen Stängeln für Insekten. Es kann ruhig unordentlich sein, auch wenn Landwirte das eine Sauerei nennen.“ Die schweren Viecher dürfen auch alles zertreten und niedertrampeln. „Kleinrelief ist gewollt. Im Frühjahr braucht die Weide eine dritte Dimension.“
Hundert Meter entfernt äsen Rehe. „Da sieht man mal, das sind tagaktive Tiere!“, sagt Beer. Im Naturschutzgebiet werden sie nicht geschossen. „Die spüren, dass sie sicher sind. Das ist doch faszinierend.“
Schon länger bauen Storche ihre Kinderzimmer im Ried. „Was hier aber in letzter Zeit noch so brütet, ist eine neue Qualität“, sagt Beer. Das Tüpfelsumpfhuhn und die Wasserralle. Die Rohrweihe. Der Schwarzmilan. Ein Zwergdommel-Paar wurde schon gesichtet. Der Feldschwirl ist jetzt hier zu Hause, sogar der Kiebitz zeigt seine hochakrobatische Flugschau – Lichtblick in einem finsteren Kapitel: „Es gibt ja landesweit nicht mehr viele Brutpaare, ganz fürchterlich.“
Bekassinen und Zwergschnepfen verbringen hier den Winterurlaub. Zu den Kurztouristen zählen Schnatterenten, Stelzenläufer und stark gefährdete Drosselrohrsänger. Die Libellenfauna ist sehr reichhaltig. Das Gleiche bei den Heuschrecken: Sumpfgrillen, Punktierte Zartschrecken, Säbelschrecken, Grüne Heupferde. Dass Betonien-Blattzikaden und Storchschnabel-Bläulinge entdeckt wurden: für Beer sensationell. „Das Insektensterben ist grauenvoll, man muss kleine Oasen schaffen wenigstens.“
Je intensiver die Nasslandschaft, desto mehr kleine Sonderbiotope können entstehen, sagt Beer. Und desto größer auch die florale Artenvielfalt: Hier wachsen Gelbe Seggen, Orchideen, Prachtnelken mit ihren zerfransten purpurnen Kronenblättern. Beer kann lange stehen und schauen und erzählen. Auch er blüht auf in seinem Ried.
Am meisten begeistert er sich für die Biberfamilie, die sich vor fünf Jahren niedergelassen hat. Der Biber ist ganz wichtig. Er legt Dämme an, Wasserstraßen, hält das Gehölz kurz, sorgt für kleinflächige Überschwemmungen. „Erst durch ihn konnten die Röhricht-Biotope mit ihren Reetgürteln entstehen.“ Und die Büffel halten sie offen, weil sie beim Schlammbad das Schilf flachwälzen.
Im November 2022 wurde der Bodenseekreis in Berlin für das Engagement im Hepbacher Ried ausgezeichnet. Beer ist froh über jede Aufmerksamkeit und Anerkennung, die das Naturschutzgebiet erfährt. Auch wenn die Würdigung seiner Arbeit dabei etwas kurz kommt. Und allen Kämpfen zum Trotz, die er früher gegen Stadt und Kreis fechten musste, damit das Ried endlich so werden konnte, wie es heute ist.
Über Jahrzehnte haben er und seine Mitstreiter viel geschafft: Eine Beobachtungshütte gebaut. Ein Fledermaus-Winterquartier eingerichtet. Sie haben Goldrute und Springkraut entfernt, Gehölze zurückgeschnitten, mit Grauweiden zugewachsene Tümpel freigelegt. Drainagegräben verschlossen, Flachteiche ausgebaggert. Den Bach revitalisiert. Hecken gepflanzt. Bombentrichter aus dem Zweiten Weltkrieg zu Biotopteichen umgestaltet. Baumhorste errichtet, als man hier nur gelegentlich durchziehende Jungstörche zu sehen bekam. Sie haben verhindert, dass die Autobahn mitten durchs Ried führt. Sie haben nicht nur Büffel, sondern ein paar Jahre vorher schon eine kleine Heckrinderherde hergeholt.
Das war aufregend, als die Rinder mit ihren mächtigen Hornlanzen auf die zierlicheren Wasserbüffel trafen. „Wir hatten Sorge vor Attacken, aber sie kommen gut miteinander klar“, sagt Werner Spenninger. Problemchen gibt es eher wegen der Büffel, die sich „a bissle gewalttätiger“ gebärden. Die Heckrinder weiden an diesem Nachmittag außer Sichtweite der Büffel, wo es nicht so nass ist. Neun Kühe, ein Stier, drei Ochsen: Sie glotzen, machen aber keine Anstalten, sich den Besuchern zu nähern. „Die akzeptieren uns aus der Entfernung, brauchen aber ihre Privatsphäre“, sagt Spenninger. Der Jungstier heißt Ratzi. Das erste Tier im Ried mit Namen. Er hat einen hellen Schopf, einen hellen Aalstrich und ein weißes Flotzmaul. „Ein schöner Kerle.“
Vor Kurzem sind zwei Kälber geboren. Spenninger hat gleich danach die Ohrmarken drangemacht. In den ersten Tagen können die Kälbchen noch nicht aufstehen und liegen oft weit weg von der Herde. Die Mutter kommt nur alle paar Stunden zum Säugen vorbei. Ist die Herde zu nah, fährt Spenninger lieber mit Traktor und Käfig heran, setzt das Gitter über dem Kalb ab und klettert hinein. Besser, als überrannt zu werden.
Heckrinder sind sehr robust. Eine Kuh hatte mal zwei geschwollene Zitzen. Um sie zu behandeln, hätte man sie sedieren müssen. Viel Stress für die Wildtiere und für Spenninger. Es wurde von allein wieder gut. Eine andere hatte ein eitriges Geschwür an der Klaue. Sie wurde auf der Weide geschossen, das Fleisch unter Bekannten verteilt.
Einmal jährlich, so die Vorschrift, muss jedem Tier Blut abgenommen und auf den Bovinen-Herpes-Erreger untersucht werden. Spenninger bleibt nicht anderes übrig, als eins nach dem anderen im Gitter zu fixieren. „Eine Viecherei ohne Ende“, sagt er. „Das sollten die Beamten, die sich so was ausdenken, mal mitansehen.“
Für die Wasserbüffel ist die Prozedur noch strapaziöser, weil ihre Rollvenen der Kanüle entwischen. Der Amtsveterinär musste manchmal ein halbes Dutzend mal stechen, bis er die Ader am Schwanzansatz traf. Mittlerweile haben sie eine Stelle am Hals ausgemacht, da geht es einfacher. Eine Plackerei bleibt es trotzdem. „Und ein Blödsinn obendrein“, sagt Beer. „Wie sollen sich die Tiere infizieren, wenn das Virus gar nicht mehr vorkommt in Baden-Württemberg? Und im Naturschutzgebiet gleich gar nicht.“
30 Hektar bewohnen die Tiere, umsäumt von großräumigen Apfelplantagen und kleinen Waldstücken. Im Gegensatz zu den Wasserbüffeln mögen es die Heckrinder lieber kalt als heiß. An Hochsommertagen suchen sie oft den Schatten des Unterstands und gehen nur nachts raus zum Fressen.
Spenninger kennt seine Herde. Ratzi, der Jungstier, macht noch nicht auf großer Macker, er lässt auch jede Kuh neben sich fressen. „Die da drüben liegt, das ist die lässigste, die kann so schnell nichts aufregen“, sagt er. „Die da vorne, das ist die älteste. Und fruchtbarste. Andere setzen mal ein Jahr aus. Die nicht.“ Wenn die Chefin kommt, müssen ihr die anderen aus dem Weg gehen. Nerven die Jungen, weil sie wieder ewig trödeln und nicht nachkommen, lässt die Leitkuh kurz einen Brüller los, dann ist die Sache erledigt.