Das Land verbietet die Bebauung hochwassergefährdeter Gebiete – in den Kommunen der Region ist der Unmut darüber groß, weil sie sich in ihrer Innenentwicklung behindert sehen.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Das neue Wassergesetz schlägt weiter hohe Wellen, obwohl es schon seit vier Monaten gilt – das konnte man beim ersten Hochwassertag am Montag im Haus der Wirtschaft mit 600 Teilnehmern und am Mittwoch beim Regionalverband sehr gut beobachten.

 

Vor allem die Bürgermeister sind auf der Palme. Denn über das Landesgesetz ist nun festgelegt, dass selbst im Zentrum einer Stadt jene Gebiete, die bei einem statistisch alle 100 Jahre vorkommenden Hochwasser überschwemmt werden, nicht mehr bebaut werden dürfen. Welche Flächen konkret betroffen sind, wird gerade in einem Mammutprojekt bestimmt: Für 12 000 Kilometer Fluss- und Bachläufe im Land werden Karten erarbeitet, auf denen genau eingezeichnet ist, wo wie tief das Wasser stünde. Zwei Drittel der Gewässer, darunter der Neckar, sind fertig ; unter anderen die Rems fehlt noch.

Konflikt zwischen Hochwasserschutz und Innenentwicklung

Die Kommunen sehen sich wichtiger Flächen beraubt; Tübingens OB Boris Palmer (Grüne) wetterte, die halbe Stadt werde mit der Regelung nach und nach entkernt. Das Verbot gilt im Übrigen selbst für bereits genehmigte Baugebiete – eine Übergangsfrist ist nicht vorgesehen. Neckartailfingen ist eine Kommune, die es hart trifft. Dort wäre ein großer Teil des Ortskerns sowie fast alle Gewerbegebiete überschwemmt. Ein geplantes Baugebiet musste Bürgermeister Jens Timm auf Eis legen, Ersatzflächen hat er keine: „Das ist nicht tragbar.“ Besonders schwierig findet Timm, dass in den 1990er Jahren Dämme für ein hundertjährliches Hochwasser errichtet wurden – doch die neuen Berechnungen sagen aus, dass der Damm zu niedrig sei. Jetzt muss neu investiert werden.

Daneben geraten Land und Kommunen in einen schwierigen Zielkonflikt: Um die Versiegelung von Äckern und Wiesen zu verhindern, sollen innerörtliche Areale und Baulücken vorrangig genutzt werden; das wird jetzt mit dem Hochwasserschutz konterkariert. Es droht die verstärkte Ausweisung neuer Baugebiete, und zwar selbst auf Flächen, die der Verband Region Stuttgart (VRS) als Grünzüge vor jeder Bebauung schützen wollte.

Thomas Kiwitt, der Planungsdirektor des VRS, sagte am Mittwoch bei einer Sitzung zum Thema, dass zahlreiche Kommunen in der Region betroffen seien, so auch Reichenbach an der Fils oder Nürtingen. Stuttgart und Esslingen sind dagegen aufgrund hoher Dämme weitgehend sicher vor einem hundertjährigen Hochwasser. Für Kiwitt ist klar, dass man den betroffenen Gemeinden im Zweifelsfall andere Bauflächen zugestehen müsse – das Motto „Pech gehabt“ dürfe nicht gelten.

Kritik gibt es auch vom baden-württembergischen Städtetag: „Die Einschränkung für die Städte ist erheblich“, sagt die zuständige Referentin Susanne Stock. Sie moniert vor allem, dass man parallel zum Gesetz hätte beginnen müssen, ein Register für Ausgleichsflächen anzulegen. Denn: Obwohl das Gesetz recht rigoros ein Bauverbot bestimmt, lässt es doch Ausnahmen zu. Und zwar laut dem Umweltbundesamt dann, wenn keine andere Möglichkeit für die Entwicklung des Ortes gegeben ist oder wenn für die zu überbauende Fläche ein Ausgleich geschaffen wird. Das kann in Form anderer Areale geschehen, auf denen sich das Wasser bei einer Überschwemmung ausdehnen kann oder durch den Bau von Rückhaltebecken. Dafür bräuchte es das angemahnte Register.

Beim Hochwassertag im Haus der Wirtschaft scheinen sich nun erste Kompromisse angedeutet zu haben. Laut Frank Lorho vom Umweltministerium dürften wohl zumindest bestehende Gebäude ersetzt werden. Klar sei aber weiter, dass der Ausgleich vor oder gleichzeitig mit dem Bauen stattfinden müsse.

Alfred Bachofer, Regionalrat der Freien Wähler, fordert daneben eine Übergangsfrist. Grüne und Linke im Regionalparlament plädierten dafür, die Grünzüge zu erhalten.

Umweltminister sieht Versäumnisse bei den Kommunen

Franz Untersteller, der grüne Umweltminister des Landes, kann die ganze Aufregung nur schwer nachvollziehen. Erstens sei seit 2005 klar, dass das Gesetz komme – da hätten manche Kommunen wohl nicht aufgepasst. Zweitens habe er gar keine Wahl gehabt und das längst geltende Bundesrecht schlicht umsetzen müssen. Und drittens sei dieses Gesetz aufgrund der überaus bitteren Erfahrungen beim Elbehochwasser 2002 entstanden: „Wir können es uns schlicht nicht leisten, weiterhin nur darauf zu hoffen, dass es schon kein Hochwasser geben wird“, so Untersteller. Bei einer extremen Überschwemmung wäre das Geschrei sonst groß, das Land habe zu wenig Vorsorge betrieben: „Wir dürfen die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen.“

Vor allem solle man sich nicht, so mahnt Franz Untersteller, von einem Missverständnis blenden lassen: Das statistisch als „hundertjährlich“ definierte Hochwasser komme wegen des Klimawandels jetzt häufiger vor als nur alle 100 Jahre. Sachsen beispielsweise war 2002 und 2013 betroffen.