Wasserstoff hat eine Schlüsselrolle bei der umweltfreundlichen Umstellung der europäischen Industrie, noch ist er allerdings ein knappes und sehr teures Gut.
Brüssel - Ein Zauberwort im Kampf gegen den Klimawandel heißt Wasserstoff. Seine Erwähnung lässt die Herzen von Ingenieuren und Investoren gleichermaßen höherschlagen. Seit die EU die Energiewende ausgerufen hat, mit der sie den Ausstoß von Treibhausgasen in den nächsten Jahren dramatisch reduzieren will, ruhen große Hoffnungen auf dem leider sehr flüchtigen Gas.
„Sauberer Wasserstoff spielt eine Schlüsselrolle bei der umweltfreundlichen Umstellung unserer europäischen Industrie“, verkündete EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton in diesen Tagen. In Brüssel findet aktuell eine Wasserstoffwoche statt, und die Europäische Allianz für sauberen Wasserstoff hat eine Liste von mehr als 750 Projekten in ganz Europa veröffentlicht, die die Wasserstoffwirtschaft vorantreiben sollen.
Sie reichen von der Erzeugung von sauberem Wasserstoff bis zu seiner Verwendung in Industrie, Mobilität, Energie und Gebäuden. „Mehr als 600 Projekte sollen bis 2025 in Betrieb genommen werden“, erklärt Thierry Breton die Planung der EU. Auch die zukünftige Regierung in Berlin will nach eigenen Angaben im Koalitionsvertrag schnell eine Wasserstoffindustrie mit einer Leistung von zehn Gigawatt bis 2030 aufbauen – deutlich mehr als bisher vorgesehen.
Goldgräberstimmung in der Branche
Wegen Ankündigungen dieser geradezu euphorischen Art herrscht Goldgräberstimmung in der Branche. Davon profitierte zuletzt etwa der Mischkonzern Thyssen-Krupp, der sich seit geraumer Zeit in schwerem Fahrwasser befindet. Als das Gerücht die Runde machte, dass die Wasserstofftochter Uhde Chlorine Engineers (UCE) wohl teilweise an die Börse gebracht werden soll, setzte die Aktie des ehemaligen Stahlunternehmens zum Höhenflug an.
Dabei ist die Herstellung von Wasserstoff weder aufregend noch neu. Sein Schattendasein erklärt sich unter anderem aus der sehr teuren Gewinnung aus Süßwasser, für die sehr viel Energie benötigt wird. Genau das ist eines der zentralen Probleme für die Klimaschützer, denn für sie zählt nur der „saubere Wasserstoff“. Das heißt, er muss aus erneuerbaren Energien wie Wind oder Sonne gewonnen werden.
Deutschland muss Wasserstoff importieren
Für Industrieländer wie Deutschland wird diese Vorgabe zu einer unlösbaren Aufgabe. Erst im November wurde dazu vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln eine Studie veröffentlicht. Die Experten schreiben, dass die Versorgung mit sogenanntem grünem Wasserstoff in Deutschland auf absehbare Zeit nicht zu machen sei. In dem Papier heißt es: „Da die nationale Erzeugung in Deutschland nicht ausreichen wird, setzt die Bundesregierung auf umfangreiche Importe aus wind- und sonnenreichen Regionen wie Nordafrika oder Chile.“ Das haben die Firmen Siemens und Porsche längst erkannt. Sie wollen in Chile gemeinsam mit der Bundesregierung durch Windkraftanlagen an der Atlantikküste grünen Wasserstoff gewinnen, der dann in einen klimaneutralen Sprit für Pkw umgewandelt werden soll.
In den Golfstaaten ist ein Wettlauf um den Bau solcher Anlagen entbrannt. Sonne und Wind sind dort im Überfluss vorhanden, das Ende der Erdölförderung ist abzusehen. Für weit mehr als vier Milliarden Euro entsteht in Saudi-Arabien in Kooperation unter anderem mit der Thyssen-Krupp-Tochter UCE die größte Wasserstofffabrik der Welt. Experten gehen davon aus, dass dort in den nächsten Jahren Wasserstoff zu einem Preis produziert werden könnte, der mit den fossilen Treibstoffen mithalten kann.
Wasserstoff in den Gasnetzen transportieren
Parallel zum Bau von Produktionsstätten geht der Ausbau des Versorgungsnetzes voran. So loten im Moment mehr als 20 Gastransport-Unternehmen in Europa die Möglichkeiten aus, wie die bisherigen Erdgasleitungen das Rückgrat für den Transport von Wasserstoff bilden könnten. Die Initiative für einen Europäischen Wasserstoff, Backbone (EHB), zielt auf ein Wasserstoffnetz von knapp 40 000 Kilometern ab, das bis zum Jahr 2040 stehen soll und dann zu mehr als zwei Dritteln aus umgewidmeten Erdgasleitungen bestünde.
Die technische Machbarkeit des Transports oder der Herstellung ist allerdings nur die eine Sache. Die andere ist, dass nicht alle möglichen Produktions- oder Transitländer zu den politisch stabilsten Staaten zählen. So hatte die Bundesregierung auf eine Kooperation mit Marokko gehofft, doch es gibt Probleme. Das Königreich sieht sich offenbar von Deutschland hintergangen im Konflikt um die Westsahara, das Marokko als Teil seines Staatsgebietes ansieht. Nachdem die Bundesregierung offiziell erklärt hat, diese komplizierte Frage müsse auf der Ebene der Vereinten Nationen geklärt werden, liegen die politischen Beziehungen zwischen Berlin und Rabat auf Eis – ebenso wie der Bau einer Pilotanlage für grünen Wasserstoff.