Wechsel in Kernen Hausarztpraxis in bald dritter Generation

Drei Arztgenerationen: Siegfried Knobloch mit seiner Nachfolgerin und Tochter Sibylle Knobloch und einem Foto seines Schwiegervaters und Vorgängers Felix Mahler. Foto: Eva Herschmann

40 Jahre lang hat Siegfried Knobloch als Hausarzt in Kernen praktiziert. Zum 1. Januar übernimmt seine Tochter Sibylle Knobloch, Fachärztin für Allgemeinmedizin, die Räume. Das ist nicht selbstverständlich – landesweit sinkt die Zahl der Praxen.

Für seine Patienten ist es ein vertrautes Bild: Mit dem Stethoskop in der Tasche des weißen Arztkittels und einem freundlichen Lächeln im Gesicht hat sich Siegfried Knobloch Zeit genommen für die kleinen und großen Wehwehchen. 40 Jahre lang hat er als Hausarzt der alten Schule in Stetten, dem kleineren der beiden Ortsteile Kernens, praktiziert. 1983 hatte Siegfried Knobloch die Praxis von seinem Schwiegervater Felix Mahler übernommen, und zum 1. Januar rückt mit seiner Tochter Sibylle Knobloch, Fachärztin für Allgemeinmedizin, die dritte Generation nach.

 

Unzählige Patienten sind in der Praxis im Erdgeschoss des Knobloch’schen Wohnhauses in der Albert-Moser-Straße 24 ein- und ausgegangen. Felix Mahler, der in Südafrika geboren wurde und in Rostock, München und Graz Medizin studiert hatte, ließ sich 1953 als erster und damals einziger Landarzt hier nieder und war neben Allgemeinmediziner auch Geburtshelfer.

Gesundheitssystem mit immer weniger Zeit für den Einzelnen

Vier Jahrzehnte später übernahm sein Schwiegersohn Siegfried Knobloch die Praxis. „Ich dachte mir, Hausärzte sind etwas Solides, in einem Krankenhaus kann es immer zu wirtschaftlichen Krisen kommen.“ Dass er so lange bleiben würde, sei nicht geplant gewesen. „Eigentlich sollte ich nur die Stellung halten, bis eines der fünf Kinder meines Schwiegervaters, von denen zwei Medizin studiert haben, mit ihrer Ausbildung fertig sind.“ Als es soweit war, wollte aber keiner die Hausarztpraxis übernehmen. „Beide sind an ein Krankenhaus gegangen. Also bin ich geblieben und habe nichts vermisst“, sagt Siegfried Knobloch. Er ist einer der ältesten noch praktizierenden Hausärzte in Baden-Württemberg.

Während viele Hausarztpraxen schließen, weil sich kein Nachfolger findet, führt seine Tochter die Tradition in Stetten fort. „Hausärzte sind kein Auslaufmodell“, sagt Siegfried Knobloch, der Tag und Nacht für seine Patienten da ist. Gerade jetzt, wo im Gesundheitssystem immer weniger Zeit für den Einzelnen bleibe und immer mehr technisiert sei, würden Hausärzte mehr denn je gebraucht, sagt der 79-Jährige. „Und das enge Verhältnis zu den Patienten ist wesentlich für die Arbeit.“ Schließlich kenne ein Hausarzt jede Krankengeschichte genau.

Offizielle Statistiken belegen jedoch, dass im Zeitraum 2012 bis 2020 die Zahl der praktizierenden Hausärzte in Deutschland von rund 60 000 auf 44 900 sank. Damit waren gerade mal 18,5 Prozent der Ärzte in Deutschland kassenärztlich tätige Hausärzte. Im Jahresbericht 2023 der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg wird darauf verwiesen, dass im Land mehr als 900 hausärztliche Stellen unbesetzt sind, was zu einer erheblichen Mehrbelastung für die Bestandspraxen führe. Im Rems-Murr-Kreis gibt es derzeit 252 zugelassene sowie angestellte Hausärzte. Die hausärztliche Versorgung ist in drei Mittelbereiche aufgeteilt: Im Mittelbereich Waiblingen beträgt, Stand Oktober, der Versorgungsgrad 92,2 Prozent, im Schorndorfer 97,6 Prozent und im Raum Backnang 77,8 Prozent. „Man sieht auch hier ein Stadt-Land-Gefälle“, sagt Sibylle Knobloch, die in Ulm studiert hat und eigentlich Chirurgin werden wollte.

Doch schon als Assistenzärztin im Krankenhaus erfuhr sie, dass dieser medizinische Bereich „noch immer sehr männlich ist“ und es nach wie vor „mit den Diensten in der Klinik schwierig ist, wenn man ein Kind und Familie hat“. Einige Jahre arbeitete sie in der orthopädischen Unfallchirurgie in der St.-Vincent-Klinik in Pfronten, danach im Gesundheitszentrum der Diakonie Stetten.

Die Entscheidung, eine eigene Praxis zu betreiben, habe erst reifen müssen. „Die Patienten kennen mich, weil ich schon einige Zeit mithelfe, und ich finde den Hausarztalltag total schön“, sagt die 43-Jährige, die sich mit Kinderheilkunde und Psychologie breiter aufgestellt hat. Dazu gehörten auch die Beziehungen zu den Patienten. „Im Krankenhaus sieht man viele nur einmal.“

Übergabe zwischen den Festtagen

Es sei nicht selbstverständlich, erklärt Siegfried Knobloch, der vor der Praxisübernahme als Handchirurg in Frankfurt und Internist in Backnang gearbeitet hatte, dass seine Tochter in seine Fußstapfen tritt. „Arztkinder studieren nicht gern Medizin.“ Außerdem sei der Numerus clausus für dieses Fach viel zu hoch. „Besser wäre es, auf die Eignung des Menschen statt auf die Noten zu schauen“, so Knobloch, der weiter für seine Patienten da sein wird. Jeden Tag will der Vollblutarzt in der Praxis vorbeischauen, mithelfen und seine Tochter auch bei Hausbesuchen begleiten. „Ich mache es gerne, aber sie ist die Chefin“, sagt Knobloch, der die menschliche Nähe zu seinen Patienten als Glück und Last zugleich empfindet. „Uns geht jeder schwere Fall nahe“, sagt Siegfried Knobloch. Aber als Arzt lerne man, mit Leid umzugehen. „Und von Frauen wird ein noch größeres Spektrum an Empathie erwartet, die hier ganz wichtig ist.“

Sibylle Knobloch weiß, auf was sie sich einlässt, und dass der Arbeitsalltag stressig ist. Zwischen den Festtagen bereiten Vater und Tochter die Übergabe der Praxis in der Albert-Moser-Straße vor. „Die Patienten haben meine Handynummer und können mich anrufen. In einer Hausarztpraxis auf dem Land ist der Doktor immer da, das wissen alle“, sagt Siegfried Knobloch.

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