Blasmusik vor dem Supermarkt und Pfarrerinnen mit einem Bauchladen: Wie an Heiligabend ein kurzes Innehalten den Menschen große Freude bereitet.

10.30 Uhr, Heiligabend, vor dem Rewe-Markt in Pattonville. Menschen mit Einkaufswagen eilen hinein, um noch schnell Leergut abzugeben oder Last-Minute-Einkäufe zu erledigen. Offenbar sind die ganz großen Einkäufe bereits erledigt. Manche holen nur eine Flasche Sekt, andere ein paar Knabbersachen.

 

Also alles wie immer? Nicht ganz. Vor einem Ständer mit weihnachtlichen Gestecken haben sich vier Blechbläser postiert. Ein älteres Ehepaar hat sich in froher Erwartung eines Platzkonzertes einen guten Platz gegenüber am Fußgängerüberweg gesichert. Die Bläser stimmen feierliche Stücke aus alter Zeit an. Bald versammeln sich mehr Zuhörer. Die Kinder sind ganz besonders fasziniert. Ein kleines Mädchen in Weihnachts-Leggins tanzt neben seiner Mutter im Takt der Musik. „Es gibt kaum ein Fest, bei dem Blasmusik besser passt als an Weihnachten“, findet ein Vater, der seine Tochter auf die Schultern genommen hat, damit sie alles gut im Blick behält.

Für den Segen gibt es Applaus

Unter die Zuhörer haben sich auch zwei Frauen im schwarzen Talar gemischt. Den beiden evangelischen Pfarrerinnen aus Pattonville, Stefanie Henger und Katrin Sältzer, ist es wichtig, dass sie als Theologinnen erkannt werden. Sie tragen Bauchläden mit der Aufschrift „Was brauchst du heute zum Feiern?“. Man kann zum Beispiel unter dem Stichwort „Eine gute Story“ aus einer Postkarte mit kleinen Abziehbildchen eine Weihnachtskrippe für zu Hause basteln.

10.40 Uhr. Pfarrerin Katrin Sältzer nimmt sich das Mikrofon und liest einen Brief von Susanne Niemeyer „Liebes Weihnachtsfest“. Viele der immer zahlreicher werdenden Zuhörer müssen lachen, als es um Kekse geht, die krumm und schief aus dem Ofen kommen und so gar nicht aussehen wie in der Anleitung. Die kleine Besinnung wird komplettiert durch den Segen der Pfarrerin, für den sich etliche mit Applaus bedanken.

10.50 Uhr. Das Bläserquartett ist zu amerikanischen Weihnachtsliedern übergegangen wie „Rudolph, the red-nosed reindeer“. „Die spielen einfach Klasse“, lobt ein Mann. Kein Wunder, Stefanie Henger hat mit dem Ludwigsburger Profitrompeter Hubertus von Stackelberg einen Vollblutmusiker ins Boot geholt. Diesmal hat er eine Quartettbesetzung mit Musikerfreunden zusammengetrommelt, der man den Spaß am spontanen Musizieren anmerkt. Stefanie Henger verliest einen Text zum Thema „Liebe“ und schließt auch diese nachdenklichen Minuten mit einem Segen ab.

Und manche Menschen gehen auf den Friedhof

11.00 Uhr. Zeit für eine Zwischenbilanz. Gleich wird es noch einen Pop-up-Gottesdienst auf dem zentralen Martin-Luther-King-Platz in Pattonville geben. Die Theologinnen sind begeistert. Viele hätten sich auf ein Gespräch mit ihnen eingelassen. „Und es sind auch ganz fremde Menschen miteinander ins Gespräch gekommen.“ Besonders berührt hat Stefanie Henger, dass ihr ganz persönliche Sorgen anvertraut wurden. „Etliche sind heute einsam und gehen auf den Friedhof, damit sie mit ihren Liebsten zusammen sein können.“

11.15 Uhr, Heiligabend auf dem Martin-Luther-King-Platz. Alles wie immer? Nicht ganz. An einer Seite haben vier Blechbläser ihre Notenständer aufgebaut. Schon haben sich zwei Dutzend Zuhörer versammelt, und bald werden zwei Theologinnen im schwarzen Talar mit ihren Bauchläden durch die Reihen gehen.