Seit 71 Jahren leitet Gotthilf Fischer Chöre. Am Montag wird der Dirigent und Autodidakt 85 Jahre alt. Thomas Schwarz hat Fischer getroffen – was in diesen Tagen gar nicht so einfach ist. Gefeiert wird im kleinen Kreis.

Manteldesk: Thomas Schwarz (hsw)

Weinstadt - Einen Termin mit Gotthilf Fischer in den Wochen vor seinem Geburtstag zu bekommen, ist nahezu unmöglich. „Ha, wissen Sie, ich bin jetzt die ganze Zeit unterwegs. Zuerst geht es jetzt zum Opernball nach Dresden, danach gehe ich mit dem Silbereisen auf Tournee nach Österreich, in die Schweiz und hierzulande“, sagt der Musiker, der vor 71 Jahren zum ersten Mal einen Chor geleitet hat. Sein Faible für deutsche Volkslieder ist legendär, genauso wie die Auftritte seiner Chöre mit bis zu 1500 Sängerinnen und Sängern. So geschehen im Münchener Olympiastadion während der Eröffnung der Olympischen Spiele 1972 und vor dem Finale der Fußballweltmeisterschaft 1974. Zusammen mit Freddy Quinn sangen die Fischer-Chöre das Lied „Das große Spiel“. Am Montag wird der Autodidakt Fischer 85 Jahre alt. „Gefeiert wird im kleinen Kreis“, sagt der Jubilar.

 

„Mich hat man 60 Jahre lang ausgelacht.“

Neben der Musikalität hat Fischer die Gabe, über sich selbst lachen zu können. Das habe ihm in den Jahrzehnten, in denen er in der Öffentlichkeit steht, geholfen. „Mich hat man 60 Jahre lang ausgelacht und ich stehe immer noch auf der Bühne“, sagte er kurz vor seinem 80. Geburtstag, als er sich anschickte, zusammen mit dem Winnender Musik-Promoter Hans Derer und dem Death-Metal-Produzenten Falk Gruber ein neues Plattenlabel zu gründen. Im selben Jahr hatte das Trio einen Weltrekord in Leinfelden-Echterdingen aufgestellt: 1802 Gitarristen spielten gemeinsam den Deep-Purple-Klassiker „Smoke on the Water“, Fischer moderierte den Gitarren-Weltrekord, der im Sommer 2007 weltweites Aufsehen erregte.

Mut zum musikalischen Crossover hat Gotthilf Fischer immer wieder bewiesen. Sein schräger Auftritt auf der Love Parade sorgte im Jahr 2000 für Schlagzeilen im Boulevard, in einem Spielfilm über die Leutenbacher Punkband Normahl mimte er einen Nachbarn, der sich über den „Krach“ im Nachbarhaus aufregt.

Von der falschen Queen genarrt

Doch Fischers Leidenschaft gehört dem Volkslied. „Das sind Lieder, die in einem Zeitraum von bis zu 600 und 800 Jahren entstanden sind und überall auf der Welt gern gehört werden. Nur in Deutschland hat man anscheinend ein Problem damit“, sagt er. „Wir haben in Amerika ,Sah ein Knab ein Röslein stehn’ gesungen und die Leute haben mit glänzenden Augen zugehört.“ Herum gekommen ist Fischer mit seinen Chören auf der ganzen Welt: Rom und Washington waren Höhepunkte, Auftritte beim Papst und dem US-Präsidenten Jimmy Carter gehörten dazu. Nur die Queen, die 1983 in eine Chorprobe in der Schleyerhalle platzte, die war nicht echt. Kurt Felix hatte für die Sendung „Verstehen Sie Spaß?“ eine Doppelgängerin engagiert. Fischer verstand Spaß, machte bei dem Gag mit und nahm die in einen Union Jack verpackte Schokolade entgegen. „Es wäre doch blöd gewesen, so einen Spaß kaputt zu machen“, meint Fischer.

1946 gründete der 18-Jährige die Fischer-Chöre

Im Jahr 1946 gründete der damals 18-Jährige die Fischer-Chöre, nachdem er bereits mehrere Gesangsvereine dirigierte. Aus diesen und weiteren formte er schließlich den gewaltigen Klangkörper von bis zu 1500 Sängerinnen und Sängern. Die Initialzündung fand 1949 statt, als sein Chor beim Schwäbischen Sängerfest in Göppingen den ersten Platz errang. Danach strömten die Sänger nur so zu ihm. Die Hochzeiten der Fischer-Chöre waren mit Sicherheit die 70er-Jahre, sowohl was das Schallplattengeschäft anging, als auch die Auftritte. „Sing mit Fischer“, der Titel einer ganzen Reihe von Schallplatten, wurde sozusagen zum Slogan der Marke Fischer-Chöre.

Sein Talent, wildfremde Menschen spontan zum gemeinsamen Singen zu bringen, gehört ebenfalls zu seinen Stärken. Als Leser der Stuttgarter Zeitung während der Sommerferien-Aktion 2007 auf dem Silcher-Weg in Fischers Wohnort Weinstadt wanderten, musste er nicht lange gebeten werden. An Station 10 des Weges, der dem Schnaiter Komponisten Friedrich Silcher gewidmet ist, wartete er auf die freudig überraschten Teilnehmer. „Der Wandertrupp wird ganz spontan zum Fischerchor“, titelte unser Autor, nachdem die Wanderer mit Fischer „Hab oft im Kreise der Lieben“ und „Ännchen von Tharau“ gesungen hatten, letzteres ist eines der Lieblingslieder Fischers.

„Eine ganze Nacht lang Fischer sehen“

Gotthilf Fischers Spontanität und Gutgläubigkeit ist allerdings auch ausgenutzt worden. 1994 wurde er von einem Hochstapler geleimt, den er als Geschäftsführer für das Festival „Deutschland, deine Lieder“ engagiert hatte. Für Vermarktung, Werbung und Öffentlichkeitsarbeit des Festivals eingesetzt, nutzte der Betrüger Fischers Namen, um einen Schaden von einer halben Million Mark (rund 250 000 Euro) anzurichten. Das Festival hat nicht stattgefunden.

Umso erfolgreicher wurde Gotthilf Fischers Fernsehsendung „Straße der Lieder“, die von 1995 bis 2008 produziert wurde. Im Vorfeld seines 85. Geburtstages strahlte der SWR vor einer Woche ein einstündiges Porträt Fischers aus und im Anschluss eine Auswahl von Szenen aus „Straße der Lieder“. Gotthilf Fischer fand das großartig. „Anschließend wird das dann alles wiederholt. Wer will, kann eine ganze Nacht lang Fischer sehen.“