Im Rahmen eines Projektes für die Baden-Württembergischen Literaturtage hilft die Stuttgarter Lyrikerin Susanne Stephan auf dem Weingut Gold in Gundeslbach mit. Ein Besuch bei einem ihrer Arbeitseinsätze im Weinberg.

Weinstadt - Wenn man Leon Gold reden hört, glaubt man, in einem Vorlesungssaal einer Universität zu sein, nicht in einem Wengert. Doch Letzteres ist der Fall. Hoch oben in den Weinlagen über Gundelsbach doziert der Weingärtner über Zwischensaaten mit sogenannten Leguminosen, die Stickstoff binden, über Saftstau, der auch die Rebstockbasis gut versorgt, sowie über den passenden Schnittzeitpunkt nach Mondphasen und die verschiedenen Böden der Rebenhänge, die den kleinen Weinstädter Teilort einrahmen. „Die Charakteristika des Bodens schmeckt man im Wein deutlich mehr als in den Trauben“, erklärt Leon Gold, dessen junges Weingut – vor nicht einmal zwei Jahren hat er es gegründet – auf der Erfolgsspur ist. Bei der Wein-Trophy 2016 des Gourmetjournals Falstaff gehörte der Existenzgründer zu den drei Nominierten der Kategorie „Newcomer des Jahres“.

 

Poetische Gedanken im Weinberg

In Susanne Stephan hat der junge Wengerter eine wissbegierige Schülerin gefunden. Ganz genau will die Lyrikerin, die im Rahmen des Landesliteraturtage-Projekts „Dichter im Weinberg“ Leon Gold durch das Weinjahr begleitet, alles von ihm erklärt haben. „Dass die Art des Bodens in den Aromen zum Ausdruck kommt, ist interessant“, sagt sie, „das finde ich einen ganz poetischen Gedanken“. Dieser Aspekt hat Susanne Stephan auch schon bei ihren vorangegangenen Besuchen bei der Lese im vergangenen Herbst besonders inspiriert – und bereits in einem ihrer Gedichte Eingang gefunden (siehe „Horizonte“).

„Hier oben haben wir Kieselsandstein, ganz unten Gipskeuper und dann Schilfsandstein“, vertieft Leon Gold die Materie und liefert der Dichterin gleich noch eine neue Inspiration: Ursprünglich sei da, wo sie gerade die Rebstöcke für die kommende Weinsaison in Form bringen, gar kein Weinbau betrieben worden. „Hier war früher Wald und erst weiter unten wurden Weinstöcke angepflanzt.“ Daher komme auch der Name der Lage: Koihwengert, abgeleitet von der schwäbischen Bezeichnung „koih“ für kein. „Das ist ja wie in Freuds Aufsatz über den Gegensinn der Urworte“, stellt die Dichterin fest, „das muss ich mir nachher gleich aufschreiben.“

Dichterin ist erfahrene Hobbygärtnerin

Jetzt indes hat Susanne Stephan erst einmal alle Hände voll damit zu tun, die Reben, die Leon Gold fachmännisch ausgeschnitten hat, vollends aus den Drahtspalieren zu entfernen. Wie selbstverständlich hat sich diese Arbeitsteilung zwischen den beiden ergeben. Schneiden, das sei ihr auch im heimischen Garten in Stuttgart-Botnang die liebste Tätigkeit, erzählt die Lyrikerin, nur dass es dort keine Reben sondern Rosen seien, denen sie zu Leibe rücke. Dabei sieht sie eine Parallele zum Gedichteschreiben. „Im Laufe eines Textes muss ich auch entscheiden, was haue ich raus, und was verfolge ich weiter“, sagt Susanne Stephan. „Wichtig beim Rebschnitt ist, dass man immer den Zielertrag vor Augen hat“, erläutert Leon Gold. „Wir schneiden von der Augenzahl her relativ kurz, um hier schon ein Qualitätszeichen zu setzen“ – getreu dem Motto weniger ist mehr.

Und wie sieht’s bei der Dichterin aus? Hat auch sie schon neue Verse vor Augen? „Das gärt und keimt noch in mir“, antwortet Susanne Stephan. Die Inspiration im Wengert sei das eine, dazu kämen dann noch „persönliche Tiefenschichten“. Eine solche sei etwa die Steinsammlung, welche sie beim Ausräumen des Hauses ihrer verstorbenen Eltern jüngst in einem Schrank wieder gefunden habe. Daher rühre auch ihre Faszination für die Bodenbeschaffenheiten der Weinberge um Gundeslbach und deren erdgeschichtliche Entstehung.