Weil in Weissach im Tal eine geplante Flüchtlingsunterkunft gebrannt hatte, stand die Gemeinde bundesweit im Fokus der Medien. Wie ist die Stimmung im Ort heute?

Rems-Murr: Phillip Weingand (wei)

Weissach im Tal - Arabisch, Türkisch, Russisch – und Schwäbisch: schon das Schild vor dem Bazärle in der Weissacher Friendsstraße zeigt, dass im ehemaligen Drogeriemarkt Schlecker nun Multikulti angesagt ist. Drinnen hängt eine bunte Weltkarte über einem siebenarmigen Leuchter. Einige Frauen sitzen am Tisch und trinken Kaffee, andere stöbern in der ausgelegten Kleidung. Seit Anfang Juli betreiben die Weissacherin Silke Müller-Zimmermann und ihr Team aus Ehrenamtlichen das Bazärle. Das Konzept hinter dem Laden: Anwohner spenden gebrauchte, aber tragbare Klamotten, Flüchtlinge können dort günstig einkaufen und sogar Arbeit finden – bezahlt wird in Naturalien aus dem Sortiment.

 

Das Bazärle ist nur ein Beispiel dafür, wie Asylbewerber in Weissach im Tal empfangen werden. Im Ort gibt es einen Arbeitskreis Integration, das Bildungszentrum Weissacher Tal trägt das Siegel „Schule ohne Rassismus“. Am Rathaus hängt ein Plakat aus, das in vielen Sprachen zum Mittagstisch „Globaler Löffel“ einlädt, und für den Ort existiert die Facebook-Gruppe „Weissach zeigt Herz“, in der Spenden und Aktionen für Flüchtlinge koordiniert werden. Weissach ist ein bunter, multikultureller Ort. Möchte man meinen.

Und trotzdem ist es genau hier passiert. Am Morgen des 24. August 2015 stand in Unterweissach ein Haus in Flammen, das für 20 Asylbewerber hätte hergerichtet werden sollen. Bald bestätigte die Polizei, was viele schon vermutet hatten: Es war Brandstiftung. Zwar hatte ein abgebrannter Öltank jede Chance zunichtegemacht, Brandbeschleuniger zu finden, weil Spürhunde und Geräte sowieso anschlugen, doch die vielen Brandherde, die die Ermittler in dem einsturzgefährdeten Gebäude fanden, ließen für sie nur einen Schluss zu: Jemand hatte das Feuer absichtlich gelegt.

Erst kommen die Medien, dann die Politiker

Schon als aus dem dreistöckigen Gebäude noch Flammen schlugen, stand Weissach im Fokus der medialen Berichterstattung. Kamerateams, Radioreporter und Boulevardmedien, die sich bislang um den kleinen Ort am Rand des Schwäbischen Waldes wenig gekümmert hatten, rückten an. Auch jetzt, vier Wochen nach dem Feuer, kommen noch Journalisten. „Neulich war das ZDF hier im Bazärle, heute müsste das Interview ausgestrahlt werden“, erzählt Silke Müller-Zimmermann.

Am Tag nach dem Brand kamen die Politiker. Baden-Württembergs Innenminister Reinhold Gall und verschiedene Abgeordnete machten sich ein Bild von der Lage. Sie sagten viel, aber wenig Konkretes. Gall meinte, es sei „für die Polizei unmöglich, jedes Asylbewerberheim rund um die Uhr zu schützen“. Jetzt sei die Zivilgesellschaft gefragt, verdächtige Beobachtungen zu melden.

Doch das hat im Weissacher Fall bisher kaum jemand getan. Der Brand ist genau einen Monat her, die 17-köpfige Ermittlungsgruppe „Tal“ ist inzwischen aufgelöst. Etwa 150 Spuren hat sie abgearbeitet, ohne einen Täter zu finden. Der Staatsschutz hat die Ermittlungen übernommen, die Staatsanwaltschaft prüft jetzt, ob zu einer Brandstiftung an einem früheren Vereinsheim im 90 Kilometer entfernten Remchingen eine Verbindung besteht.

Symbol für ein „Dunkles Deutschland“

Dass für den Weissacher Fall bei der Polizei noch zielführende Hinweise eintreffen, ist unwahrscheinlich: Das abgebrannte Gebäude hatte keine direkte Nachbarschaft. Inzwischen ist es wegen akuter Einsturzgefahr abgerissen worden, nur noch die Grundmauern des Erdgeschosses stehen jetzt neben einem Supermarkt und gegenüber einer alten Fabrik. Noch immer hängt der Geruch von Feuer und verbranntem Öl in der Luft. In einem Fensterrahmen steht eine Vase mit vertrockneten Rosen.

Die Berichte aus Weissach gingen durch ganz Deutschland, die meisten waren nicht schmeichelhaft für die 7000-Einwohner-Gemeinde. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ druckte beispielsweise ein Bild der brennenden Unterkunft in tiefschwarzer Nacht auf seine Titelseite – Weissach als das Symbol für ein „Dunkles Deutschland“. Viele Einwohner fühlen sich von dieser Darstellung verunglimpft: „Den ,Spiegel‘-Titel fand ich nicht fair“, sagt Müller-Zimmermann. „Das Bild, das auf diese Weise entstanden ist, trifft nicht die Realität. Weissach ist so was von offen. Bestimmt die Hälfte der Einwohner ist reig’schmeckt, und wenn sie aus Hamburg hergezogen sind.“

Die Gemeinde kämpft um ihren guten Ruf. „Wir müssen durch unser Handeln zeigen, dass wir den Stempel zu Unrecht tragen“, sagt der Weissacher Bürgermeister Ian Schölzel. Der Gemeinderat hat ohne große Diskussion einstimmig beschlossen, die abgebrannte Unterkunft wieder aufzubauen – an gleicher Stelle. Jetzt erst recht, lautet die Devise.

Einheimischen treffen Asylbewerber

„Viele Menschen sind nach dem Feuer aufgestanden. Sie wollen hier im Ort kein schlechtes Klima“, erzählt Silke Müller-Zimmermann. So habe etwa ein Lehrer seine Hilfe angeboten, jetzt erteilt er Flüchtlingen Deutschunterricht. „Nach dem Brand haben wir eine regelrechte Flut an Spenden bekommen“, sagt die 50-Jährige. Über der Theke des Bazärle hängt ein Schild mit der Bitte, vorerst keine Sachspenden mehr abzugeben, weil das Lager voll sei. Eine Familie kommt dennoch mit vollen Taschen vorbei – für sie macht Müller-Zimmermann eine Ausnahme.

Sie will, dass der Laden zum Treffpunkt wird. Dafür haben die Ehrenamtlichen viele Ideen: etwa die feste Einrichtung eines Repair-Cafés, in dem technische Geräte auf Vordermann gebracht werden. Oder regelmäßige Veranstaltungen, bei denen die Flüchtlinge Essen aus ihrer Heimat zubereiten. So sollen die Einheimischen mit den Asylbewerbern ins Gespräch kommen.

Beispielsweise mit Abeer Joubaili. Die 38-Jährige ist mit ihren zwei Söhnen und ihrem Mann aus dem Libanon hergekommen. Zwei Jahre lang lebte die Familie in einer großen Gemeinschaftsunterkunft in Backnang, seit vier Monaten gehört sie zu den 37 Asylbewerbern, die dezentral in Weissach untergebracht sind. „Im Libanon ist ständig Krieg, es gibt immer Probleme, die Schule fällt wochenlang aus“, erzählt Abeer Joubaili. Besonders wegen der Kinder seien sie hergekommen. In Deutschland sei alles besser, sagt sie. Ihre Kinder gingen zur Schule, auch sie selbst hat schon etwas Deutsch gelernt und hilft beim Verkauf der Secondhand-Klamotten im Bazärle.

Schmähkommentare bei Facebook

Draußen, vor einem Kiosk um die Ecke, hängt die aktuelle Ausgabe einer Boulevardzeitung aus. In großen Lettern berichtet sie von einem neuen Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim – diesmal hat es eine Sporthalle in Wertheim im Main-Tauber-Kreis erwischt, gut anderthalb Stunden Autofahrt entfernt. Allein im ersten Halbjahr dieses Jahres kam es laut Recherchen der „Tagesschau“ republikweit zu 202 Vorfällen dieser Art.

Keine Frage: auch in Weissach im Tal gibt es ein Stück „Dunkeldeutschland“, wie es der Bundespräsident Joachim Gauck genannt hat. Während das geplante Flüchtlingsheim in Flammen stand, äußerte ein junger Mann Verständnis für die Brandstifter und fotografierte das brennende Haus mit seinem Smartphone. Am Wochenende vor dem Brand hatten Unbekannte Aufkleber einer rechtsextremen Bewegung beim Rathaus angebracht. Und während der Mahnwache vor dem abgebrannten Haus rief ein Autofahrer Teilnehmern zu: „Der Brand ist erst der Anfang gewesen.“ Auf der Facebook-Seite der Gemeinde gab es zwar viel Lob für die Mahnwache mit fast 500 Teilnehmern – aber auch das Gegenteil. „Ich kenne nicht viele, die für diesen Irrsinn noch Verständnis haben. So ein paar Toleranzgeschwängerte sind noch nicht die Mehrheit“, schrieb eine Frau beispielsweise.

Zudem war der Anschlag auf das Haus an der Welzheimer Straße nicht der erste: Vor zehn Jahren flog ein Molotowcocktail auf das Gebäude, das damals schon als Asylbewerberunterkunft diente. Niemand wurde verletzt. Der Brandsatz richtete kaum Schaden an, die Täter wurden gefasst. Es waren Neonazis.

Eine positive Entwicklung

Laut der offiziellen Statistik ist die rechte Szene im Rems-Murr-Kreis in den vergangenen Jahren geschrumpft. 2014 hatte das Innenministerium hier zwölf Menschen als rechte Gewalttäter eingestuft – vier Jahre zuvor waren es noch fast dreimal so viele. Bei den Gewalttaten mit rechtsextremem Hintergrund, so das Ministerium, habe sich eine ähnliche Entwicklung gezeigt.

Der Weissacher Bürgermeister Ian Schölzel erzählt, für ihn sei seine Gemeinde immer ein bunter, toleranter Ort gewesen. Bis sich auf einer Informationsveranstaltung zu einer geplanten großen Gemeinschaftsunterkunft, etwa zwei Wochen vor dem Brand, viel aufgestauter Frust entladen hatte. Ein Mann zürnte damals, es könne nicht angehen, „was wir Deutschen uns gefallen lassen“, ein anderer meinte, man dürfe sich nicht wundern, wenn die große Unterkunft in Flammen aufginge, bevor sie bezugsbereit sei. „Das hat mich erschreckt“, sagt Ian Schölzel.

Der Brand hat die Stimmung im Ort verändert. „Viele Leute sind vorsichtiger geworden“, erzählt Bernd Hecktor. Der Mann mit der weißen Mähne sitzt für die Liste Weissacher Bürger im Gemeinderat und ist im Arbeitskreis Integration aktiv. „Auch bei den Flüchtlingen gibt es jetzt eine gewisse Unsicherheit.“ Am Wochenende habe es in einer Scheune gebrannt – da seien gleich Erinnerungen wach geworden, auch wenn keine Brandstiftung im Spiel war. Silke Müller-Zimmermann erzählt, dass auch manche Flüchtlinge umdenken müssten: „Einige syrische Christen sind richtig erschrocken, als sie erfuhren, dass sie hier mit Moslems zusammentreffen werden.“ Immerhin seien sie vor radikalen Islamisten aus ihrer Heimat geflohen. „Aber hier lernen sie, dass auch das funktionieren kann.“

Neue Diskussionen

Warum Menschen ein Haus anzünden, in dem Fremde unterkommen sollen, kann die Libanesin Abeer Joubaili nicht verstehen. „Meine Mutter ist christlich, mein Vater Muslim“, sagt sie. „Es geht doch auch miteinander.“ Ob sie jetzt, nach dem Anschlag von Weissach, Angst habe? „Ein bisschen. Aber im Bazärle nicht. Ich habe hier Arbeit, das tut mir gut. Ich kann doch nicht nur zu Hause herumsitzen.“

Noch viele weitere Asylbewerber werden Joubaili folgen, nicht alle von ihnen können in kleinen Gruppen über den Ort verteilt untergebracht werden. Der Bürgermeister Ian Schölzel betont, die Ängste der Weissacher Bürger wolle er ernstnehmen. In die Gemeinschaftsunterkunft auf einer Industriebrache, an der sich bei der besagten Informationsveranstaltung die Gemüter erhitzt hatten, sollen nach dem Willen der Gemeinde nur noch 80 Menschen einziehen – halb so viele wie ursprünglich geplant. Schölzel betont, dies sei keine Reaktion auf den Brand, sondern vorher beschlossen worden. Für zusätzliche Sicherheit rund um die große Unterkunft hat die Gemeinde ein Konzept: Drei pensionierte Polizisten haben versprochen, sich zu engagieren. „Sie sollen Vermittler sein – zwischen dem Wachdienst, dem Arbeitskreis Integration, den Flüchtlingen und den Anwohnern.“

Das Asylheim wird dennoch weiter Diskussionen entfachen. Ein Weissacher, der anonym bleiben will, fühlt sich kriminalisiert. „Nach dem Brand stand die Kripo bei uns vor der Haustüre, weil ich mich auf der Bürgerversammlung kritisch geäußert hatte“, sagt er. Zwar existiere die Bürgerinitiative, die sich für eine „sozialverträgliche Unterbringung von Asylbewerbern“ einsetze, weiterhin, doch nach dem Feuer traue sich kaum noch jemand, die Unterbringungspläne zu kritisieren.

Wenn die 80 Flüchtlinge bis zum Jahresende einziehen, wird sich zeigen, ob das Sicherheitskonzept der Gemeinde aufgeht. Und ob es den Weissachern gelingt, der Welt weiterhin das helle Gesicht ihrer Gemeinde zu zeigen.