Sabine und Karl Hermann (Namen von der Redaktion geändert) leben seit 1967 zusammen in Leonberg. Ein eingespieltes Team, das einander so gut kennt, wie man sich eben nach einem halben Leben kennt. Im Jahr 2016 bemerkt Sabine Hermann, dass mit ihrem Mann etwas nicht stimmt. Er, der Architekt, hat Gespräche mit Handwerkern am nächsten Tag wieder vergessen. „Dann hat er wieder dort angerufen und der Handwerker meinte: ‚Herr Herrmann, das haben wir doch gestern schon besprochen’“, erzählt seine 77-jährige Frau heute. Zwei Jahre später kommt schließlich die Diagnose: Karl Hermann hat Demenz.
Eine Schockdiagnose. Bei einer Demenz werden Nervenzellen im Gehirn zerstört. Es kommt unter anderem zu Gedächtnis-, Orientierungs- und Sprachstörungen. Auch die Persönlichkeit verändert sich, Stimmungsschwankungen und Aggressionen können auftreten. Diese Störungen nehmen im Verlauf der Krankheit zu. Eine der häufigsten Ursachen für eine Demenz ist die Alzheimer-Krankheit. Der Welt-Alzheimertag am 21. September, diesen Donnerstag, macht jedes Jahr auf die Situation der Betroffenen und ihrer Familien aufmerksam. Denn auch für die Angehörigen ist die Erkrankung eine große Herausforderung.
Sabine Hermanns Mann verändert sich immer mehr
Wenn Sabine Hermann über die Demenz ihres Mannes spricht, wirkt sie gefasst, über manches kann sie sogar lachen. Dass es ihr aber nicht leichtfällt zu sehen, wie ihr Mann sich durch die Erkrankung verändert, merkt man ihr an. Ihre Stimme wird leiser, und sie senkt den Blick, wenn sie erzählt, wie die Persönlichkeit ihres Mannes immer mehr verschwinde. Eine große, ja schmerzhafte Belastung. „Ich vermisse einfach diesen Mann, wie er mal war. Ich vermisse es, dass man sich nett unterhält, dass man zusammen etwas erlebt. Davon ist nichts mehr da.“ Karl Hermann hat kein Interesse mehr an Dingen, die ihn früher begeisterten, wie beispielsweise Fußballspiele im Fernsehen. An die Reisen, die er mit ihr gerne unternommen hat, erinnert er sich mittlerweile nicht mehr.
Angehörige kostet es laut der Deutschen Alzheimer Gesellschaft viel Kraft, sich mit den Veränderungen durch die Krankheit abzufinden. Denn sie verlieren nach und nach den geliebten Menschen, wie sie ihn zuvor gekannt haben. Gleichzeitig sind es die Angehörigen, die die Betreuung und Pflege der Person mit Demenz oft zu Hause alleine stemmen. Mit der Zeit werden aus kleinen Hilfen eine Rund-um-die-Uhr Versorgung der Betroffenen. Das zehrt an den Kräften, das eigene Leben bleibt zurück.
Die Erkrankung wird zur Belastungsprobe
In den Jahren nach der Diagnose betreut Sabine Hermann ihren Mann bei sich zu Hause. Zeit alleine hat die Leonbergerin damals wenig, sie kommt kaum noch aus dem Haus. „Ich konnte ihn nicht alleine lassen. Er hat alles Mögliche umgeräumt“, schildert sie ihre Erinnerungen an diese Zeit.
Unterstützung bekommt sie von ihren beiden Töchtern und der Sozialstation Leonberg. An diese wendet sie sich im Jahr 2019, ein Jahr nach der Demenz-Diagnose. Ihr Mann kann schließlich zwei Tage die Woche in eine Nachmittagsbetreuung. „Das waren die einzigen Stunden, in denen ich mal etwas für mich tun oder in aller Ruhe einkaufen konnte“, erzählt sie. Außerdem schließt sich die Leonbergerin dem Gesprächskreis der Sozialstation für Frauen, die einen dementen Angehörigen pflegen, an. Frauen, denen es geht wie ihr. Dort erhalte sie Tipps und psychische Unterstützung, sagt Hermann.
Auch wenn es manchmal schwer ist, kommen Sabine und Karl zurecht. Eine radikale Veränderung bringt jedoch die Coronaerkrankung von Karl Hermann im vergangenen Februar. Bis dahin war er noch relativ mobil, konnte sich zum Beispiel noch selbst anziehen und waschen. Dann erkrankt er an Corona. „Das hat in seinem Kopf noch mal etwas ausgelöst, was zum Zusammenbruch geführt hat“, sagt Sabine Hermann. Berichte über ähnliche Fälle gibt es inzwischen viele. Corona hat offenbar Folgen für die kognitive Verfassung. Noch wird nach den genauen Mechanismen gesucht.
Die Beziehung wird toxisch
Karl Hermann ist nach der Erkrankung komplett pflegebedürftig. Er bekommt ein Pflegebett im ehemaligen Kinderzimmer. Er sitzt jetzt oft in einem blau gemusterten Sessel nahe dem Kamin im Wohnzimmer. Seine Frau ist rund um die Uhr für ihn da. Es ist noch schwieriger geworden, es gibt immer wieder harte Situationen: „Wenn er zum Beispiel gestürzt ist und ich ihn nicht mehr raufhieven konnte.“ Zwar wird Sabine Hermann von einem Pflegedienst unterstützt, doch der sei eben nicht den ganzen Tag da, schildert sie.
Auch die Partnerschaft leidet unter der Situation. „Unsere Beziehung war quasi toxisch“, erzählt Sabine Hermann. Der 81-Jährige wird oft wütend und beschimpft sie manchmal sogar. Auch sie selbst ist ab und an sauer auf ihn. „Das funktioniert einfach nicht, wenn man den ganzen Tag in so einer Anspannung lebt und nie weiß, wie er jetzt auf etwas reagiert“, schildert sie. Und irgendwann geht es einfach nicht mehr.
Karl Hermann ist seit Ende April in einem Pflegeheim. Die Veränderung tut nicht nur ihrem Mann gut, sondern auch ihr selbst. „Ich bin wie befreit“, erzählt Sabine Hermann dankbar. Sooft sie kann, kommt sie ihren Mann besuchen. Auch ihre Beziehung hat sich entspannt. Statt Wut und Frust sind da wieder Zärtlichkeit und Freude. Sabine Hermann erzählt: „Er freut sich wahnsinnig, wenn ich komme. Und wir gehen dann auch ganz liebevoll miteinander um.“
Rund um die Demenz
Verbreitung
Etwa 1,8 Millionen Menschen leben laut der Deutschen Alzheimer Gesellschaft in Deutschland mit Demenz. Vor allem Menschen im höheren Alter sind betroffen. Durchschnittlich treten pro Tag etwa 900 Neuerkrankungen auf – Tendenz steigend. Denn die Gesellschaft wird immer älter und damit nimmt auch die Zahl der Betroffenen kontinuierlich zu. Laut der deutschen Alzheimer Gesellschaft werden bis zum Jahr 2050 2,4 bis 2,8 Millionen Menschen über 65 Jahren an Demenz erkrankt sein.
Angebote für Angehörige
In Gesprächsgruppen für pflegende Familienmitglieder können sich Angehörige austauschen und gegenseitig Tipps und Kraft geben. Die Sozialstation bietet beispielsweise Gesprächskreise für pflegende Männer, Frauen und Kinder. Gesprächskreise für Angehörige von Menschen mit Demenz organisieren beispielsweise das Deutsche Rote Kreuz in Weil der Stadt und die Sozialstation Ditzingen.