Er war der jüngste Drei-Sterne-Koch Europas. Heute ist Andreas Caminada Unternehmer und Schlossbesitzer in der kleinsten Stadt der Welt. Ein Besuch in Fürstenau, wo man erkennt, wie wichtig Löffel und was Capuns für eine hervorragende Spezialität sind.
Die Söhne Finn und Cla spielen Fangen hinter dem Wohnhaus der Familie. Andreas Caminada führt durch den Garten, vorbei an einem erhöhten Punkt, wo der passionierte Golfer Abschläge übt. In seinem Rücken: das imposante Schloss Schauenstein. Er probiert Spinat und schwärmt von dessen „wunderbar nussigem Geschmack“.
800 verschiedene Pflanzenarten vom Szechuan-Pfefferbaum über Feige, seltene Kohlsorten bis hin zur Kaki gedeihen hier in Graubünden. Das Klima ist warm, zwei Stunden braucht es auf der Autostrada bis nach Mailand. Derzeit wird ein Hektar Garten bewirtschaftet, drum herum ist Platz zur Erweiterung. Mit Unterstützung von Permakultur-Pionier Sepp Holzer wird nun weiter geschaut, wo man was anbauen kann.
Caminada in seiner Küche in Schloss Schauenstein. /Digitale Massarbeit
Caminada ist einer, der eine Ausnahmestellung in der Gourmetwelt innehat, eine Art Roger Federer der Kulinarik – bodenständig, sympathisch und wahnsinnig erfolgreich. An seinem Lebenslauf lässt sich erfassen, wie schnell sich die Gastro-Welt dreht. Kochen gelernt hat er mit Luxusprodukten wie Steinbutt, Kaviar oder Hummer. Heute zupft er Begonienblätter im Garten und serviert sie zu intensiver Nussbutter und Aprikosen, die an der Schlossmauer wachsen und im halb reifen Zustand mit Shiso-Blättern fermentiert werden.
Er entscheidet stets nach Bauchgefühl
Geboren im Mai 1977, wächst Caminada in dem Schweizer Ort Ilanz auf. Sein Papa hat ein Baugeschäft. Doch Andreas zieht es an den Herd. Schon mit 13 Jahren absolviert er sein erstes Praktikum in der Küche. „Das war mein Bauchgefühl“, so Caminada. Eigentlich könne man in so jungen Jahren nicht wissen, was man werden will. Caminada schon. Noch heute hört er meist auf seinen Bauch.
In der Gemeinde Fürstenau leben 280 Menschen. Sie darf sich die kleinste Stadt der Welt nennen, weil dem Ort im Kanton Graubünden im Jahr 1354 das Stadtrecht von König Karl IV. verliehen wurde. Nur 30 Minuten Autofahrt von hier ist Caminada aufgewachsen. „Der Ort hat mich gefunden“, sagt er mit diesem charmanten Schweizer Akzent.
Hier angekommen ist er nach den berühmten Lehr- und Wanderjahren, die ihn von Laax nach Kanada bringen. Caminada hat eine Vorliebe für die Patisserie, für die Kunst der Konditoren. Er fängt im Hotel Walserhof in Klosters am, geht nach Bregenz, dann in den Schwarzwald als Chef Tournant im Restaurant Bareiss. „Ich war so begeistert vom Essen dort“, schwärmt Caminada. Ein Jahr ist er in Baiersbronn, anschließend zieht er zurück in die Schweiz, arbeitet bei Hans-Peter Hussong in Zürich. Wie so viele träumt er von einem eigenen Restaurant.
Bei der Arbeit im Schloss Schauenstein. /Digitale Massarbeit
2003 findet er das leer stehende Schloss Schauenstein, ein Wahnsinnsobjekt, aber auch eines, das Mumm braucht. Es war schon Adelssitz, Erziehungsheim, Privatschule, auch mal Brandruine. Er hört mal wieder auf sein Bauchgefühl. Traut sich, pachtet das knapp 350 Jahre alte Gemäuer. Mit vier Mitarbeitenden geht das los, was heute viel auf einmal ist: Da ist das Dreisternelokal Schloss Fürstenau mit exklusivem Hotel, das vegetarische Restaurant Oz, die Casa Caminada mit Bündner Hausmannskost, Gästezimmern und einem Kulinarikkeller, in dem die Gläser mit Fermentiertem und Eingewecktem lagern. Dann ist da eine Bäckerei mit dem Prachtexemplar eines Holzofens, 40 Tonnen schwer, in dem ein Franzose sehr gute Backwaren zaubert. In einem anderen Gebäude wird Kaffee geröstet.
„Eine Mischung aus dem jungen Mel Gibson und Bradley Cooper“
Caminada führt durch die Räumlichkeiten, klopft die Kissen auf dem Sofa zurecht. Ein Journalist hat ihn mal als „eine Mischung aus dem jungen Mel Gibson und Bradley Cooper“ beschrieben. Caminada hat nicht nur ein Gespür für großen Geschmack auf dem Teller, sondern auch für Stil in den Räumen, die dezent mit ausgesuchter Kunst ausstaffiert sind. Das Konzept kommt an: Wer im Dreisternelokal am Wochenende speisen will, muss sich bis zu acht Monate im Voraus um einen Tisch kümmern.
„Wir wollen Erinnerungen schaffen.“ Caminada sagt oft Sätze wie diesen – und nach einem Essen bei ihm weiß man, was er damit meint. Es geht hier um nichts weniger als um Geschmäcker für die Ewigkeit. Der Dreh- und Angelpunkt der Welt der Caminadas – seine Frau, sein Bruder und sein Vater arbeiten auch hier – ist Fürstenau. Von dem kleinen Ort aus hat er sich ein kulinarisches Königreich aufgebaut. Neben den drei Restaurants vor Ort gibt es noch die Lokale namens Igniv in Bad Ragaz, Zürich, Bangkok und Andermatt sowie das Mammertsberg. „Das ist vor allem eine Möglichkeit, den jungen Leuten Weiterentwicklungschancen zu geben“, sagt Caminada.
Das Gästehaus, die Casa Caminada. /Gaudenz Danuser
Caminada gründet dafür die Stiftung „Fundaziun Uccelin“: „Uccelin“ bedeutet auf Rätoromanisch „Vögelchen“. Viele kleine Kulinarik-Piepmätze können hier ihre Flügel ausstrecken. Man arbeitet mit namhaften Köchinnen und Köchen zusammen. Insgesamt sind es 70 Restaurants und rund 40 Produzenten, von denen man lernen kann – darunter Topchefs wie Massimo Bottura, Ana Roš oder Daniel Humm. Es gibt Programme für die Küche wie auch für den Service. „Das ist eine Stiftung, wie ich sie mir als junger Koch selbst gewünscht hätte“, sagt Caminada, der unbeirrt seinen Weg des Erfolgs geht: 2008 wird er als „Koch des Jahres“ ausgezeichnet, 2010 taucht sein Name zum ersten Mal auf der 50-Best-Liste auf. Den dritten Stern erkocht er sich im Schloss Schauenstein im Jahr 2010. Ein Meilenstein mit damals gerade mal 33 Jahren.
Capuns in der Casa Caminada. /Gaudenz Danuser
Caminada bleibt nie stehen. „Wir wollten immer unserem Stil treu bleiben“, sagt er. Und der ist eng mit der Region verwurzelt. In dem topmodernen Wirtshaus, der Casa Caminada, wird Kulturgut serviert und dafür traditionell gekocht, ohne Spielereien. Alles Gerichte, für die man vor allem Löffel braucht, um sie zu genießen. Capuns beispielsweise gehören zum Essen seiner Kindheit „und sind womöglich auch so etwas wie meine Henkersmahlzeit“, sagt Caminada.
Capuns sind in Mangoldblätter gewickelter Spätzleteig. Jede Familie hat ihr eigenes Rezept. In der Casa Caminada – der Beiz, wenn man so möchte – ist das Graubündner Spezialgericht etwas leichter. Man geht hier mit der Zeit.