Experten erwarten bis 2020 jährlich 300 Millionen Fluggäste. Gleichzeitig stoßen die Flughafenbetreiber beim Bau neuer Startbahnen auf Bürgerprotest. Es fehlt der Branche augenscheinlich an Ideen für mehr Nachhaltigkeit.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Ferien bedeuten für Millionen Deutsche, in den Urlaubsflieger zu steigen. Der Luftverkehr wächst und damit auch die Belastungen für Mensch und Umwelt. Der massive Widerstand vieler Bürger gegen neue Landebahnen wie derzeit in München und Berlin zeigt, dass schlüssige Zukunftskonzepte fehlen.

 

Wie entwickelt sich der Luftverkehr?

Einst ein teures Vergnügen für wenige, ist Fliegen für viele Bundesbürger heute fast so normal wie eine Taxifahrt. 175 Millionen Passagiere starteten oder landeten 2011 auf deutschen Flughäfen, das waren 5,6 Prozent mehr als im Vorjahr. Bis 2020 erwarten manche Experten einen Zuwachs auf rund 300 Millionen Fluggäste. Doch strengere Umweltauflagen, steigende Kerosin- und Ticketpreise sowie Engpässe bei der Infrastruktur bremsen das Wachstum. Zudem können Terroranschläge und Kriege euphorische Prognosen ausbremsen. Nach dem 11. September 2001 stürzte die Luftfahrt weltweit in ihre tiefste Krise.

Warum wachsen die Widerstände?

Schnell mal zum Einkaufen nach London oder zum Sonnen auf Spaniens Inseln – Fliegen ist eine geniale Sache und weltweit eine Wachstumsbranche, die viele Arbeitsplätze schafft. Doch der Luftverkehr belastet die Umwelt stark. Die Abgase in großer Höhe schädigen die Ozonschicht, Lärm und Emissionen die Gesundheit der Anwohner von Flughäfen. Beim neuen Hauptstadt-Airport hat die späte Bekanntgabe der genauen Flugrouten über dicht besiedelte Wohngebiete einen Sturm der Entrüstung und eine weitere Klagewelle ausgelöst. In München lehnte die Bevölkerung den Bau einer dritten Landebahn per Bürgerentscheid gleich ganz ab.

Welche Engpässe drohen?

Wenn der Luftverkehr wächst wie erwartet, könnten die Flughafen-Kapazitäten in Deutschland knapp werden. Die Lufthansa droht bereits damit, Flüge auf andere Standorte zu verlagern, falls in München nicht weiter ausgebaut wird. In Frankfurt/Main konnte eine weitere Startbahn erst nach einem langen Plan-und Genehmigungsverfahren gebaut werden. Die Bundesregierung will den Flugverkehr vor allem auf die beiden Drehkreuze und die fünf internationalen Flughäfen in Stuttgart, Köln/Bonn, Düsseldorf, Hamburg und Berlin konzentrieren, die 88 Prozent der Passagiere und 95 Prozent der Fracht abwickeln. Auch 15 weitere Standorte mit regelmäßigem Verkehr sollen bedarfsgerecht gefördert werden. Neubauten soll es nicht geben. Das sieht das Flughafenkonzept von 2009 vor.

Wo gibt es Fehlentwicklungen?

Kritiker vermissen ein nachhaltiges Gesamtkonzept für den Luftverkehr, das realistische Wachstumsziele und Strategien festlegt. Mehrere Ministerien beim Bund und die 16 Bundesländer rangeln um Kompetenzen. Einige Regionen haben viel Geld in manche der fast 100 deutschen Provinz-Flughäfen gesteckt, um nach dem Vorbild des ehemaligen US-Militärflughafens Hahn in Rheinland-Pfalz Billigflieger wie Ryanair anzulocken und so Arbeitsplätze und bessere Verkehrsverbindungen zu schaffen. Doch kaum ein Airport schreibt schwarzen Zahlen, viele brauchen dauerhaft staatliche Zuschüsse. Der Bund will eine solche Zersplitterung künftig verhindern. Auch bei den großen Flughäfen lief einiges schief. In München fehlt ein vernünftiger Bahnanschluss. Der neue Hauptstadtflughafen in Berlin liegt viel zu nah an der Stadt und beraubt sich so selbst seiner langfristigen Wachstumsperspektiven.

Wie werden die Bürger geschützt?

Beim Ausbau von Flughäfen wie in Berlin gibt es zwar umfangreiche Planverfahren und Bürgerbeteiligungen. Allerdings ist zum Beispiel der Schutz vor Fluglärm bisher sehr uneinheitlich und lückenhaft geregelt. In Frankfurt/Main bestimmten Gerichte für die neue Startbahn letztlich ein Nachtflugverbot zwischen 22 und 6 Uhr, für den neuen Hauptstadtflughafen dagegen nur zwischen 24 und 5 Uhr. Einen besseren Lärmschutz für ihre Häuser konnten Kläger an der Spree jüngst erst mit erfolgreichen Klagen durchsetzen.

Wie wird Fliegen nachhaltiger ?

Experten schlagen ein Bündel von Maßnahmen vor. Die Grenzwerte für Lärm und Emissionen könnten verschärft werden, ebenso die Regeln für den Emissionshandel. Das würde die technologische Entwicklung hin zu leiseren und effizienteren Triebwerken beschleunigen. Wenn die Steuerbefreiung für Kerosin wegfiele und auf grenzüberschreitende Flüge Mehrwertsteuer fällig würde, würde der Flugverkehr zudem einen großen Wettbewerbsvorteil gegenüber umweltfreundlicheren Verkehrsträgern wie der Bahn verlieren. Am Boden setzt die Bundesregierung auf eine effizientere Nutzung der vorhandenen Infrastruktur.

Wo steht die Flugbranche?

Auch den deutschen Airlines – allen voran Lufthansa und Air Berlin – geht es wie vielen Konkurrenten wirtschaftlich nicht sonderlich gut, man hofft auf Wachstum und lehnt weitere Belastungen ab. Die Branche fordert die Abschaffung der Luftverkehrssteuer und warnt, dass neue Arbeitsplätze im Luftverkehr vor allem in Asien und im Mittleren Osten entstehen, wo weitere riesige Flughafenprojekte realisiert werden, die auch internationalen Verkehr anziehen sollen. Die Bundesregierung will sich für faire Rahmenbedingungen im globalen Wettbewerb und eine weitere Liberalisierung des Flugverkehrs einsetzen.